Auf seiner großen Bewerbungsreise nach Paris sollte Mozart endlich die Karriere machen, die ihm seinem Talent nach zustand. "Fort mit Dir nach Paris! und das bald, setze Dich großen Leuten an die Seite, aut Caesar aut nihil", mahnt der Vater – entweder Du wirst ein Caesar oder ein Nichts. Am 18. Juni 1778 hatte Mozart seinen ersten großen Auftritt in Paris – dafür entstand die sogenannte "Pariser Symphonie", Köchelverzeichnis 297. Bernhard Neuhoff stellt es zusammen mit dem Dirigenten Frans Brüggen vor.
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Mozart ist sich seiner Sache sicher: Die Pariser wird er um den Finger wickeln. Doch der Vater, der ihn auf die große Bewerbungsreise geschickt hat, ist misstrauisch. Leopold argwöhnt, der Sohn könnte beim Komponieren wieder einmal zu sehr auf sein eigenes Vergnügen achten, zu schwierig, zu herausfordernd schreiben. Dabei geht es doch gerade jetzt um den Beifall des ganzen Publikums! Die Kunst? Die ist Leopold ziemlich egal. Gute Musik ist für ihn bestenfalls eine Frage des Handwerks. Vor allem aber geht es um geschickte Selbstvermarktung: "Wenn man nur Beyfal findet und gut bezahlt wird; das übrige hohle der Plunder! Es ist um Ehre und Geld-Einnahme zu tun. Mach nichts umsonst, lass Dich für alles bezahlen!"
Mozart hat diese Symphonie speziell geschrieben, um das Pariser Publikum mit seinem Genie zu überraschen.
Sagen wir's offen: Leopold konnte manchmal ein Kleinkrämer sein, ein Spießer, wie man heute sagen würde, ein "Philister", wie es damals hieß. Dabei sind die väterlichen Ermahnungen gerade diesmal wirklich nicht nötig. Wolfgang selbst nämlich ist fest entschlossen, den Applaus aus dem Pariser Publikum förmlich herauskitzeln. Mozarts neue Symphonie in D-Dur ist für die wichtigste Konzertreihe in Paris gedacht, die Concerts spirituels – und selten hat Mozart plakativer den Geschmack der Masse bedient, meint der Dirigent Frans Brüggen. "Das ist eine Art von 'Glanz-Stück', um in Paris Karriere zu machen. Und er hat diese Symphonie speziell geschrieben, um das Pariser Publikum mit seinem Genie zu überraschen."
Mozarts mahnender Vater Leopold | Bildquelle: © ISM, Mozart-Museen & Archiv Leopolds Ermahnungen, beim Komponieren nur ja auch immer ans Geldverdienen zu denken, waren also nicht nur instinktlos gegenüber dem künstlerischen Selbstverwirklichungsdrang des jungen Genies, sondern auch völlig überflüssig. Kein Wunder, dass Wolfgang fast trotzig wird: "Ob es aber gefällt – das weiß ich nicht – und die Wahrheit zu sagen, liegt mir sehr wenig daran. denn, wem wird sie nicht gefallen? den wenigen gescheiden Franzosen die da sind, stehe ich gut dafür dass sie gefällt; den dummen – da sehe ich kein großes Unglück, wenn sie ihnen nicht gefällt. Ich habe aber doch Hoffnung, dass die Esel auch etwas darinn finden, das ihnen gefallen kann."
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Damit lag Mozart richtig. Der Grund liegt für Frans Brüggen auf der Hand: "Das ist zum größten Teil oberflächliche Musik. (Lacht.) Das konnte er auch. Und das hat die Franzosen sehr angesprochen. Mzart hat über die Aufführung der Symphonie einen Brief an seinen Vater geschrieben, worin er heißt, dass das Werk gut ankam, und es habe eine Stelle im ersten Satz gegeben, an der das Publikum plötzlich applaudiert habe. Ich glaube, ich kann Ihnen die Stelle nennen: Da wird es plötzlich so Moulin-Rouge-artig, das muss das Pariser Publikum angesprochen haben."
Die Pariser liebten es laut und effektvoll, und so verwendet Mozart mehr Instrumente denn je: Zum ersten Mal in seinen Symphonien setzt er Klarinetten ein, außerdem Pauken, Trompeten, Flöten, Oboen, Fagotte und Hörner. Prunkvoll ist diese Musik, aber auch komödiantisch, voller Überraschungen und Kontraste. "Er benutzt allerhand Tricks in dieser Musik, um die Zuhörer still zu kriegen", erklärt Frans Brüggen. "Das Pariser Publikum war nämlich bekannt dafür, dass es ständig schwätzte und hin- und herlief."
Den dritten Satz lässt Mozart gezielt mit einem Überraschungseffekt beginnen, wie er stolz an den Vater berichtet: "Weil ich hörte dass hier alle letzte Allegro mit allen instrumenten zugleich und meistens unisono anfangen, so fing ichs mit die 2 violin allein im piano an – darauf kam gleich ein forte – mithin machten die Zuhörer, wie ichs erwartete, beim piano schschsch, dann kam gleich das forte – sie das forte zu hören und die Hände zu klatschen war eins."
Frans Brüggen | Bildquelle: wikimedia commons Szenen-Applaus in einer Mozart-Symphonie: Heute wäre so etwas ein Sakrileg. Die Pariser des Jahres 1778 kannten da keine falschen Hemmungen: Jede gelungene Pointe wurde beklatscht. Nur der langsame Mittelsatz kam nicht ganz so gut an. Mozart ersetzte ihn für die zweite Aufführung kurzerhand durch einen neuen. Die Pariser Symphonie ist also durchaus ein Gelegenheitswerk, komponiert, ja: kalkuliert für einen ganz bestimmten Zweck. Es ging darum, in einer kulturell übersättigten Metropole um jeden Preis Furore zu machen. Normalerweise kommen unter solchen Umständen Machwerke heraus, im besten Fall verzeihliche Kompromisse. Die Pariser Symphonie aber ist ein Meisterwerk: unwiderstehlich in ihrer draufgängerischen Lebensfreude, sprühend vor Energie und Ideen und geradezu abgefeimt in der trickreichen Dramaturgie. Auch Frans Brüggen ist ihrem Zauber erlegen: "Ich liebe sie – vielleicht gerade wegen dieser meisterhaft komponierten Oberflächlichkeit".
Wolfgang Amadeus Mozart:
Symphonie D-Dur KV 297, "Pariser Symphonie"
Orchestra of the 18th Century
Leitung: Frans Brüggen
Label: Philips
Sendung: "Das starke Stück" am 20. April 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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