"Gaspard de la nuit" gilt als Ravels virtuosestes Klavierstück. Inspiriert dazu hatten ihn die Prosagedichte des Schriftstellers Aloysius Bertrand. Die Vertonung von fließendem Wasser, wie Ravel sie in "Jeux d´eau" begonnen hatte, hat er vielleicht in keinem seiner Werke so intensiv gestaltet wie im ersten Satz des Gaspard: "Ondine". Für die Klänge der Glocken, die dem Toten in "Le gibet" schlagen, bräuchte jeder Pianist – so hört man immer wieder – mindestens 27 unterschiedliche Arten anzuschlagen ... Aurelia Weiser stellt das Werk mit dem Pianisten Herbert Schuch vor.
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Das starke Stück
Ravel - Gaspard de la Nuit
"Gaspard de la nuit (Schatzmeister der Nacht) – drei Gedichte für Klavier nach Aloysius Bertrand" betitelt Ravel das dreiteilige Klavierwerk 1908. In ihm hatte er versucht, den Ausdrucksgehalt der Prosagedichte des vorromantischen Schriftstellers in Klänge zu fassen. Zudem wollte Ravel damit Klavierstücke schaffen, die noch virtuoser als die "Islamey" Balakirews sein sollten – und diese Komposition galt damals als unspielbar. "Von transzendentaler Virtuosität" nannte Ravel die drei fertigen Stücke dann in Anlehnung an Franz Liszts "Études d'exécution transcendante".
Gaspard ist in dem Sinne wirklich sehr schwer, als dass es fast nicht möglich ist, wirklich alle Noten zu spielen, die da stehen. Ich glaube, fast jeder Pianist lässt die eine oder andere Stelle aus, einfach an Stellen, wo es nicht zu sehr auffällt.
"Es ist eben wirklich die Frage, wie man die Noten interpretiert", beschreibt Pianist Herbert Schuch die tedhnische Virtuosität des "Gaspard": "Als Aufforderung wirklich alles genauso zu machen, wie es eben in den Noten steht, oder als Idee – ein bisschen wie bei Beethoven – dass man sagt: Das wäre die Idealversion, aber du armer Erdenwurm darfst sozusagen deine unperfekte Version auch einmal spielen."
Der Figur des "Gaspard de la nuit" ist ein Symbol von Bertrand, der zu Lebzeiten unbekannt blieb, später aber Mallarmé und Baudelaire beeinflusste. Seine Prosagedichte prägen Nachtgesichte, historische Visionen, eine unruhige Phantastik. Bertrand dürfte wiederum inspiriert gewesen sein von den grotesken Kunstwerken des Kupferstechers Callot, einem Zeitgenossen Rembrandts, dessen Stiche gleiche Titel wie Bertrands Gedichte aufweisen. Ein großer Beziehungsreichtum liegt also vor zwischen Musik, Literatur und bildender Kunst.
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Herbert Schuch | Bildquelle: Felix Broede Ravel faszinierte an Bertrands Gedichten vor allem die musikalische Eleganz und die geschliffene Raffinesse der Sprache -Parameter, die auch für Ravels Musik immer kennzeichnend sind. Die Gedichte "Ondine – Die Wassernixe Undine", "Le gibet – Der Galgen" und "Scarbo – Ein listiger Kobold" wählte er für seine Musik aus und ließ Bertrands Texte zusätzlich zu seiner Musik abdrucken. In der deutschen Übersetzung sind die Gedichte allerdings kein Schlüssel zum Werkverständnis, meint Herbert Schuch: "Man ist ein bisschen enttäuscht. Ich dachte mir, wenn ich diese Gedichte übersetze, dann hab ich endlich den Schlüssel zum 'Gaspard', und das ist eben überhaupt nicht so. Man kann sich dann schon vorstellen, um was es geht. Und man liest vielleicht auch die anderen Gedichte und wird sich dann klar, was da alles für Dinge noch in Bertrands Kopf herumgespukt haben, aber ohne die französische Sprache sind diese Sachen einfach verloren."
Sprunghaft, nur aus drei kleinen motivischen Zellen ist der "Scarbo", das dritte Stück in "Gaspard", angelegt. Ein Zwerg, der hochvirtuosen Schabernack treibt und den Herbert Schuch übertragen auf das Thema Nacht oder dunkle Seiten folgendermaßen interpretiert: "wie so ein Teil der Persönlichkeit, die ein bisschen außer Kontrolle geraten ist, einfach so die Möglichkeit die ganzen negativen Dinge in eine Person hineinzulegen, die dann außerhalb von einem ist."
Während der Schaffensphase zwischen Mai und September 1908 ging es mit Ravels Vater nach einem Schlaganfall rapide abwärts. Die Familie rechnete täglich mit seinem Tod, der einen Monat nach Fertigstellung des "Gaspard" eintrat. Die Allgegenwart dieser Stimmung ist spürbar in der Wahl der Thematik und dem Gefühlsgehalt der drei Stücke. Vielleicht sind dies Ravels einzige Stücke, die autobiographische Züge tragen. Oft verglich man ihn mit Debussy und betonte, dass bei aller Ähnlichkeit beider Komponisten Debussys Musik wesentlich mehr Gefühl besitze und dass der unmittelbare Eindruck eines Naturbildes, den Debussy in seiner Klangsprache schildere, bei Ravel schon zu einer Art intelligent betrachtendem Destillat verwandelt sei.
Im Fall von "Gaspard" handelt es sich um ein Destillat, das in jedem Fall sehr starke Emotionen und Eindrücke zeigt und weckt. Das hat auch mit Ravels Arbeitsweise zu tun, meint Herbert Schuch: "Bei Ravel gibt es einfach auch viel mehr Arbeitsschritte. Ich denke, dass er eben auch jemand war, der das Ganze sehr genau überprüft hat, und diese Nicht-Unmittelbarkeit kann dann eben auch immer wieder ganz stark auf den Punkt treffen."
Maurice Ravel:
Gaspard de la Nuit. Trois poèmes für Klavier
Herbert Schuch (Klavier)
Label: Oehms Classics
Sendung: "Das starke Stück" am 05. April 2022, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK