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Maurice Ravel "Miroirs"

Zwar hatte er sich auch im Jahr 1904, wie schon die Jahre zuvor, erfolglos für den begehrten Rompreis für Komposition beworben. Trotzdem war Maurice Ravel zu dieser Zeit, fast 30-jährig, ein angesehener Komponist. Er schrieb gerade an den "Miroirs", den Spiegelbildern für Klavier solo. 1906 brachte eine Besprechung dieses Werkes in der Pariser Tageszeitung "Le temps" einen Streit zwischen den Anhängern Ravels und denen Debussys in Gang – man bezeichnete Ravel in einer Kritik als Plagiator Debussys. Über die "Miroirs" hat sich Aurelia Weiser mit dem Pianisten Herbert Schuch unterhalten.

Bildquelle: picture alliance / Leemage

Die Sendung zum Anhören

Eine reiche und neue Harmonik attestierte der Komponist Maurice Ravel selbst seinen Klavierstücken "Miroirs" - den sogenannten "Spiegelbildern" - die er 1905 für Klavier solo fertigstellte. Die Stücke hätten auch diejenigen Musiker aus der Fassung gebracht, die bis dahin an seine Art zu komponieren gewöhnt waren, meinte Ravel, und spielte damit auf den Kreis der "Apachen" an. Das waren Musiker, Kritiker und Komponisten, wie Paul Sordes, Maurice Delages, Manuel de Falla, Michel-Dimitri Calvocoressi und Ricardo Vines, die sich häufig trafen und neue Werke vorspielten, diskutierten oder einfach lärmend durch das nächtliche Paris zogen. Deswegen bezeichneten sie sich auch als "Noctuelles – als Nachtschwärmer", und vielleicht liegt hier eine weitere Analogie zu dem Titel "Noctuelles", dem ersten Stück der "Miroirs" vor. Den Apachen widmete Ravel die "Miroirs" auch. Pianist Herbert Schuch sagt zu den "Noctuelles": "Das erste Stück ist sicherlich das Schwierigste, was den Charakter angeht, weil es schon von der Art der Komposition etwas unglaublich Flüchtiges hat."

Die Idee eines Lebewesens, das mit den Flügeln schlägt und von einem Punkt zum anderen fliegt, ist da schon sehr genau getroffen.
Herbert Schuch über die 'Noctuelles'

Inspiration durch Debussy

Apachenmitglied und Freund Ricardo Viñes hatte Ravel von Debussys Arbeit an einem Klavierwerk erzählt, das in seinem formalen Aufbau so frei sei, dass es improvisatorisch wirke. Ravel war begeistert von der Idee Debussys, und so wurde das "D'un cahier d'esquisses", das er später selbst für Debussy uraufführen sollte, zur Inspiration für Ravel. Von daher rührt auch die Radikalität der Form und Harmonik in den "Miroirs", allen voran im zweiten Stück, den "Oiseaux tristes": "Es sind einsame Vögel, die verloren sind, in der Beklemmung eines dunklen Waldes", schrieb Ravel selbst über diesen Satz.

Rufe einer Amsel im dunklen Wald

Die Mitglieder der Apachen ließ diese Musik nach Bericht des Kritikers Calvocoressi lange Zeit völlig kalt, was Ravel sehr kränkte, waren sie doch als Kritiker eine Instanz für ihn. Einzige Ausnahme war Viñes, dem er das Stück widmete, weil er es lustig fand, einem Pianisten ein nicht im mindesten pianistisches Stück zu widmen. Vogelrufe einer Amsel, durch ein Ornament nachgebildet; einhüllender Wald, verkörpert durch eine Auf- und Abwärtsbewegung in einer kleinen Sekund, Beklemmung, ausgedrückt in einem fallenden Terzmotiv – diese drei Elemente variiert Ravel in "Oiseaux tristes", setzt sie in vier Molltonarten, die ineinander übergehen, ohne in irgendeinem harmonischem Bezug zueinanderzustehen.

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Impressionistische Schilderungen

Pianist Herbert Schuch | Bildquelle: Felix Broede Der Pianist Herbert Schuch | Bildquelle: Felix Broede Nach der Beklemmung des zweiten Stückes entführt Ravel den Hörer in einer Barke auf die hohe See. Bewegtes Wasser, auf dem sich gleißend das Licht bricht, Wellenberge, Wellentäler – eine eindeutige impressionistische Schilderung ist "Barque sur l'océan".
Es folgt "Alborada del gracioso", das "Morgenlied des Spaßmachers", Die Deutung dieses Stücks ist für den Interpreten, wie für den Hörer zweischneidig. Das empfindet auch Herbert Schuch so: "Ich empfinde das Stück unglaublich herrisch, die Musik hat unglaubliches Rückgrat; das ist wirklich wie diese Tänzer, die mit absolut durchgebogenem Rücken da sind, und man denkt sich: Oh!! Gefahr in Verzug! Ravel hat dieses spanische Lebensgefühl unglaublich wiedergeben können, obwohl er selber kein Spanier war. Ich empfinde bei diesem Stück überhaupt keine witzigen Elemente, ich finde eher, das ist so ein typisch südländischer Todernst, der aber durch dieses Feuer, und das ständige Wachsein und diese Ausbrüche, wird das natürlich sehr stark beleuchtet und es wird nie irgendwie flach."

Glocken im Klangnebel

Seine Spiegelbilder beschließt Maurice Ravel mit dem traumähnlichen Stück "Vallée des cloches" – "Tal der Glocken", das in einer Tradition von Glockenstücken Ravels steht. In Liszts Art hat er sein Stück auf drei Systemen notiert. Zu einem Klangnebel der rechten Hand, sehr sanft und ohne Akzentuierung, wie es sich der Komponist wünscht, erklingen zahlreiche unterschiedlich klingende Glocken. Zur Realisation sagt Herbert Schuch: "Man muss sich überlegen, wie man die Töne anschlägt, es gibt ja durchaus verschiedene Arten und Weisen eine Taste zu drücken: Man kann ja eine Taste drücken und dann den Finger auf der Taste lassen. Man kann aber auch den Finger gleich weg nehmen, wenn man das Pedal durchtritt. Das ist nur ein ganz banales Beispiel, wie man zwei verschiedene Klänge, die eigentlich die gleiche Lautstärke haben können, dann tatsächlich noch verändern kann!"

Ähnlichkeiten zum "Gaspard"

Die "Miroirs" sind in zeitlicher Nähe zu "Gaspard de la nuit" entstanden. Da die Thematiken der Zyklen große Ähnlichkeiten aufzeigen, drängt es sich auf, "Miroirs" und "Gaspard" miteinander zu vergleichen. Für Herbert Schuch sind es beides Meisterwerke: "Ich würde schon sagen, dass für mich persönlich die 'Miroirs' und 'Gaspard' auf der gleichen Stufe stehen!"

Musik-Info

Maurice Ravel:
"Miroirs"


Herbert Schuch (Klavier)

Label: Oehms Classics

Sendung: "Das starke Stück" am 15. Juni 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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