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Maurice Ravel Streichquartett F-Dur

Mit diesem Werk bewarb sich der 28-jährige Ravel für den Prix de Rome. Es löste einen Eklat aus, weil es gegen tradierte Kompositionsnormen verstieß. Bei den Interpreten ist es bis heute populär. Ulrich Möller-Arnsberg stellt das Starke Stück zusammen mit der Geigerin Annette Reisinger vom Minguet-Quartett vor.

Porträt Maurice Ravel | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das starke Stück zum Anhören

Das Streichquartett in F-Dur hat Maurice Ravel seinem Lehrer Gabriel Fauré gewidmet. Im Widmungstext urteilt der junge Komponist selbst über sein Stück und schreibt, es zeige den Willen nach musikalischer Konstruktion, die, obwohl nur unvollkommen verwirklicht, dennoch viel deutlicher als in seinen früheren Kompositionen in Erscheinung trete. Im Alter von 28 Jahren zu solch eigener musikalischer Sprache gefunden zu haben, ist allerdings ungewöhnlich.

Früher Geniestreich

Ähnlich wie Mendelssohn-Bartholdy gelingt Ravel mit seiner frühen Streichquartett-Kunst ein Geniestreich, der im geschichtlichen Kontext des Genres besonders auffällt. Als Vorbild diente das Quartett des älteren Kollegen Claude Debussy von 1893. Eine große Rolle spielen die Klangfarben: "Man hat natürlich auch immer diese Bilder des Impressionismus vor Augen, wenn man an Ravel und Debussy denkt", sagt Annette Reisinger, zweite Geigerin des Minguet-Quartetts. "Aber ich erinnere mich an einen sehr schönen und guten Unterricht bei Herrn Kakuska vom Alban Berg Quartett vor vielen Jahren. Der uns ausdrücklich gesagt hat - und das stimmt wirklich -  dass man Ravel wie Mozart angehen muss, damit die Farben wirklich leuchten."

Nah an Haydn und Mozart

Minguet-Quartett | Bildquelle: © Christina Feldhoff Annette Reisinger (zweite v. links) mit ihren Kollegen vom Minguet-Quartett | Bildquelle: © Christina Feldhoff Im Eröffungssatz von Ravels Quartett wechseln sich dramaturgisch verdichtende Tremolopassagen ab mit einem schimmernden Auf und Ab von Linien, die wie ein launisches, schalkhaftes Suchen wirken, an dem alle vier Instrumente gleichermaßen beteiligt sind. Schließlich hat die Erste Violine das Thema gefunden. Heiter entspannt fließt es dahin. "Es ist oft so, dass die Leute denken, es könnte alles ein bisschen verschwimmen und dann käme diese Leuchtkraft zustande", erläutert Annette Reisinger.

"Aber auch Ravel hat Bindebögen geschrieben - genaue Artikulationen. Da gibt es Striche, die sehen aus wie im Pointilismus in den Bildern, feine Pinselzüge. Und deswegen würde ich sagen, interpretatorisch bzw. handwerklich ist es sehr nah an Haydn und Mozart, damit diese Strahlkraft zustande  kommt."

Viel spanisches Flair

Spätestens im zweiten Satz macht sich Ravels Bruch gegenüber der Tradition deutlich bemerkbar. Statt eines zu erwartenden langsamen Satzes, der erst an dritter Stelle kommt, rückt das Scherzo von seinem Stammplatz nach vorne an die zweite Stelle. Und dieses "Assez vif - Très rythmé" hat viel spanisches Flair und beginnt ganz unkonventionell mit einer Pizzicato-Passage aller vier Streicher. "Es hat auch jeder Satz einen Aufbau zur Mitte hin, wo es dann regelrecht etwas bestialisch wird", sagt Annette Reisinger. Es gibt ja aus dieser Zeit Romane, wie zum Beispiel von Zola "Die Bestie Mensch". Sowas spüre ich da ein bisschen: Dass das Tier in einem raus muss, um dann wieder ganz in der Stille zu schließen. Diese Momente, wo es ganz ins Extrem geht, entweder ganz nach oben oder ganz nach unten."

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"... Sachen, die man nur fühlen kann"

Der langsame Satz "Très lent" ein träumerisches Andante, wirkt nur scheinbar ruhig. Tatsächlich ist in ihm eine stetige Unruhe. Ganze zehn Mal wechselt der Takt zwischen 4/4 und 3/4-Takt, einmal sogar in den 5/4-Takt: "Tempowechsel, Taktwechsel, das ist auf jeden Fall bei diesem Stück ein sehr langer Weg", erklärt Geigerin Annette Reisinger. "Es ist genauso schwer darüber zu sprechen, wie in der Probe zu diskutieren. Weil das wirklich Sachen sind, die man nur fühlen kann und die man im Konzertleben wirklich ausprobieren muss. Die können in der Probe gut funktionieren und man kann das diskutieren. Aber wieweit man runter gehen kann, wieweit man ausbrechen kann, dass kann man nur auf der Bühne ausprobieren, um dann das Ganze wirklich darzustellen."

Erfahrung mit der Klangkultur der Klassiker

Was Tempowechsel angeht, stellt der Finalsatz noch höhere Anforderungen an die Spieler. Jetzt wechselt der Takt nicht mehr lento, gewissermaßen in „slow motion“, sondern - wie Ravel verlangt - "Vif et agité". Was die musikalischen und technischen Anforderungen angeht, fordere Ravel zweierlei, resümiert Geigerin Annette Reisinger: Dass man sich einerseits mit der Klangkultur der Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven auskennt, andererseits aber auch mit zeitgenössischer Musik.

Denn in Ravels Meisterwerk verbindet sich Mozartsche Zartheit mit Klang- und Formexperimenten der Moderne: "Dass so ein Stück wie Ravel sicherlich rein technisch oder mechanisch davon lebt, dass wir Erfahrung mit neuer Musik machen, weil er ja auch schon für seine Zeit an unglaublich klangliche Grenzen gegangen ist. Und einen die Arbeit mit Haydn und Mozart wieder schärft in der anderen Richtung. Wenn man das zusammenführt, dann ist man eigentlich gut beraten für das Spiel von Ravel."                                                                      

Maurice Ravel: Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello F-Dur

Minguet-Quartett
Ulrich Isfort (Violine)
Annette Reisinger (Violine)
Irene Schwalb (Viola)
Matthias Diener (Violoncello)

BR-Eigenproduktion
Konzertmitschnitt von den Europäischen Wochen Passau 1998

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