Bei der Uraufführung seines Oboenkonzertes wäre der Komponist Richard Strauss beinahe in der letzten Reihe gesessen, hätte nicht eine Konzertbesucherin aus der ersten Reihe mit ihm den Platz getauscht. Wiebke Matyschok stellt das "Starke Stück" zusammen mit dem Oboisten Albrecht Mayer vor.
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Das starke Stück
Strauss - Oboenkonzert
Eine unendlich dahin fließende Melodie, eine heitere Idylle, sommerlich warm, eine Ahnung von Herbst durchströmt diese Musik. Klingt so, als ob niemals etwas gewesen wäre, nicht die Experimente der Moderne, die Erfindung der Zwölftonmusik, keine zwei Kriege. Der Schein trügt. Die Welt des Herrn S. war in Schutt und Asche gefallen, als im Sommer 1945 aus seiner Feder diese unendliche Melodie floss. Die Wirkungsstätten seiner Kunst lagen in Trümmern, die Opernhäuser in Dresden, München, Wien.Vielleicht hatte Richard Strauss nichts Besseres zu tun im Sommer 1945. Als "Handgelenksübung", "um die Langeweile müßiger Stunden zu vertreiben, da man nicht den ganzen Tag Skat spielen kann" entstand eines der wichtigsten Werke für Oboe: das Konzert für Oboe und kleines Orchester.
Villa von Richard Strauss in Garmisch-Partenkirchen | Bildquelle: picture-alliance/dpa Da erspähte sein Enkel am 30. April den ersten amerikanischen Panzer auf einem Feld nahe der Villa in Garmisch."I’m Richard Strauss – the Composer of the Rosenkavalier", antwortete der achtzigjährige Komponist, als die ersten GI’s auf den Stufen an seiner Tür erschienen. Und dann passierte das Unwahrscheinliche. Es waren Musikliebhaber. Ein Schild stellten sie vor der Villa auf: "Off Limits". Hieß keine Konfiszierung von Eigentum, und in den nächsten Wochen gingen amerikanische GI’s bei der Familie Strauss ein und aus.
Welten stießen da aufeinander. Der Pianist Joseph Kalm saß etwa am Klavier und spielte Gershwins "Summertime". Und Strauss sagte nur: "Sehr hübsch. Haben Sie das komponiert?" John de Lancie, Solo-Oboist aus Philadelphia, sprach mit dem Alten stundenlang über Literatur und Musik auf Französisch. Nebenbei beschaffte er das Nötigste: Seife. Auf die Frage, ob der Maestro denn Nichts für Oboe geschrieben habe, antwortete der entschieden knapp: Nein. Damit war das Thema beendet.
Vielleicht hatte Richard Strauss nichts Besseres zu tun im Sommer 1945. Als "Handgelenksübung", "um die Langeweile müßiger Stunden zu vertreiben, da man nicht den ganzen Tag Skat spielen kann" entstand eines der wichtigsten Werke für Oboe: das Konzert für Oboe und kleines Orchester. Ein durch und durch kammermusikalisches Werk, voller Heiterkeit und Reminiszenzen an das Lebenswerk eines großen Komponisten. Eine Rückschau in drei Sätzen. Die sind ohne Unterbrechung eng miteinander verwoben, eine Szene folgt auf die nächste. Ein dankbares Werk, ein gnadenloses Werk für den Solisten.
Gleich zu Anfang ein unendlicher Gesang. Das bedeutet: eineinhalb Seiten in der Oboenstimme ohne Pause zum Luftholen.
"Das ist sicherlich eine der größten Herausforderungen (…) also Richard Strauss hat sicherlich ganz genau gewusst, was er schreibt und hatte vielleicht auch schon den einen oder anderen Oboisten gehört, der mit permanenter Atmung (…) umgehen konnte. Anders kann man sich das auch nicht vorstellen (…) und es ist auch heutzutage, wenn man Zirkuläratmung kann (…), zählen diese beiden ersten Seiten zum Schwierigsten und Anstrengendsten, was es im normalen Repertoire für einen Oboisten gibt." (Albrecht Mayer, Solo-Oboist der Berliner-Philharmoniker.)
Der Trick geht so: Atmen, während man spielt. Unhörbar.
Albrecht Mayer | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk "Zirkuläratmung – das heißt so ganz einfach übersetzt: Man kann während man spielt, während man Luft aus den Lippen presst einatmen. Das ist so die Idee, also man atmet, während man spielt. Das ist eine Technik, die ist sicherlich mehrere tausend Jahre alt, die aus dem asiatischen Raum kommt. Und auch jetzt noch, wenn man den alten Abbildungen der Griechen und Römer, sieht man auch noch Musiker, die so ein Aulos, so eine frühe Form der Oboe spielen, (…), dass die die ganze Zeit mit so aufgeblasenen Backen gespielt haben und dabei eingeatmet haben. Das, was jetzt noch die türkischen Bandas machen mit ihren Schalmeien, ihren Surmas. Eigentlich haben nur wir in den letzten siebzig Jahren (…) das total vergessen (…) dann wurde das allmählich wieder populär. Heute ist das Standard, dass man das kann." (Albrecht Mayer)
Strauss' Opern, alle symphonischen Dichtungen klingen irgendwie an in dem Konzert, geschrumpft aufs Kleinformat, farbig fein gezeichnet. Spätsommer, eine Ahnung von Herbst. 1948 erst schrieb Strauss seine vier letzten Lieder. Doch im zweiten Satz des Konzerts – da erklingt schon so eine Herbstmelodie, schlicht, einfach, ergreifend. Farbspiel mit Oboe, Klarinette, Hörnern und Streichern.
"Man hat nur das Gefühl gegen Ende des zweiten Satzes, wo der eigentliche Epilog kommt vor der großen Kadenz, dass ist wirklich etwas vom Feinsten, was er jemals geschrieben hat. Für mich ist das auch immer so die Stelle, wo sich alles konzentriert, die ganze Musik von Richard Strauss. Es ist eigentlich ganz einfach geschrieben und doch in höchster Vollendung." (Albrecht Mayer)
Als Strauss die Komposition begann, saßen er und seine Frau Pauline fast schon auf gepackten Koffern. Pauline war krank, Richard Strauss würde sich einem Entnazifizierungsverfahren stellen müssen. Am 9. Oktober 1945 in aller Frühe verließen sie Garmisch, im Gepäck zahlreiche Handschriften und das unfertige Oboenkonzert. An der Grenze wurden sie erst einmal verhaftet. Doch gegen ein Exemplar der Partitur der Alpensinfonie ließ der französische Oberbefehlshaber sie die Grenze passieren. Sie erreichten Zürich, die Handschriften wanderten in den Hotelsafe als Pfand gegen unbezahlte Hotelrechnungen. Wenige Tage später vollendete Strauss das Konzert, 1946 wurde es in Zürich uraufgeführt – von Marcel Saillet und nicht von diesem Oboisten aus Chicago, wie Strauss sich irrtümlicherweise an seinen Gesprächspartner aus Philadelphia erinnerte.
Der Komponist mit Ehefrau Pauline, 1949 | Bildquelle: Fosch / Süddeutsche Zeitung Photo Die nächsten Jahre verbrachte Strauss in der Schweiz, nicht mehr sorglos, finanziell immer in Schwierigkeiten. Doch im letzten Satz des Konzerts scheint noch einmal die unbekümmerte Heiterkeit früherer Jahre auf. Sprunghaft schlüpft die Oboe von einer Rolle in die nächste, den ganzen Schalk in der Stimme - wie Till Eulenspiegel. Am Ende schließlich eine Anklänge an die untergegangene Welt des Walzers, letzter Abschiedsgruß im Sechsachteltakt. Wie aus weiter Ferne – Klänge wie beim "Rosenkavalier". Und Till Eulenspiegel macht sich aus dem Staub. Mit einem Augenzwinkern.
Richard Strauss: Oboenkonzert
Albrecht Mayer, Oboe
Capella Bydgostiensis
Daniel Stabrawa, Leitung
Label: Cavalli Records