"Mein nächstes größeres Werk wird ein Cellokonzert sein", erklärte Dmitrij Schostakowitsch im Sommer 1959. Bereits im Oktober fand die Uraufführung dieses Ersten Cellokonzerts von Schostakowitsch statt: mit dem Widmungsträger Mstislaw Rostropowitsch als Solist und den Leningrader Philharmonikern unter Jewgenij Mrawinsky. Susanne Herzog stellt das Werk gemeinsam mit dem Cellisten Johannes Moser vor.
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"Das Erste Cellokonzert von Schostakowitsch habe ich zum ersten Mal an meinem 18. Geburtstag gespielt", unterstreicht Johannes Moser seine besondere Beziehung zu diesem Werk. "Seitdem habe ich es bei für mich wichtigen Momenten immer wieder rausgekramt – zum Beispiel zu meiner Aufnahmeprüfung an der Hochschule oder beim Tschaikowsky-Wettbewerb. Eigentlich hatte ich es bei allen Vorspielen für diverse Dirigenten immer im Programm. So etwas schweißt einfach zusammen und insofern war es für mich wichtig, dieses Stück einmal aufzunehmen. Im Übrigen liegt es einfach toll in der Hand und lässt sich fantastisch spielen."
Mstislaw Rostropowitsch | Bildquelle: picture-alliance/dpa Auch wenn das Werk gut in der Hand liegen mag, so ist es für den Solisten durchaus sehr anspruchsvoll . Und das ist kein Wunder: Schließlich hatte Dmitrij Schostakowitsch sein Erstes Cellokonzert für den Meistercellisten Mstislaw Rostropowitsch geschrieben. Die beiden waren befreundet und hatten mehrfach Schostakowitschs Cellosonate gemeinsam aufgeführt. In nur drei Tagen lernte Rostropowitsch die neue Partitur und konnte sie sogar auswendig. Als er allerdings mit einem Verbesserungsvorschlag für eine Stelle an Schostakowitsch heran trat – so erinnert sich Rostropowitsch –, antwortete der Komponist: "Du bist schlau. Wenn ich das mache, wirst Du der einzige sein, der es spielen kann. Aber, weißt du, ich schreibe für alle."
"Da gibt es einige Stellen, wo ich natürlich an Rostropowitsch denke und an das, was er darüber gesagt hat", erklärt Moser seinen Zugang zu Schostakowitschs Opus 107. "Ich habe aber versucht, mich für die Aufnahme davon ein bisschen zu befreien. Weil ich finde, dass diese Interpretationen, die Rostropowitsch hinterlassen hat, so stark sind, dass man sich leicht darin verliert. Und dann ist es ganz wichtig, sich davon loszulösen und vielleicht dann eine Interpretation zu liefern, die manche vielleicht nicht so stark finden wie das Original, sagen wir so, aber sie ist dann wenigstens persönlich. Und darum geht es ja."
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Johannes Moser | Bildquelle: Sarah Wijzenbeek Der preisgekrönte Cellist Johannes Moser hat bei David Geringas studiert, ist also sozusagen ein Enkelschüler von Rostropowitsch. Als Schostakowitsch sein Cellokonzert 1959 für Rostropowitsch komponierte, hatte er gerade eine persönliche Schaffenskrise hinter sich. Mit dem Konzert befreite der Komponist sich daraus. Befreit muss sich Schostakowitsch außerdem nach Stalins Tod gefühlt haben, als eine politische Tauwetterperiode anbrach. "Worüber Geringas auch oft gesprochen hat ist natürlich Schostakowitschs Situation in der Sowjetunion", sagt Moser. "Und auch davon habe ich versucht, mich etwas loszulösen. Die Musik von Schostakowitsch wird oft extrem politisch gesehen. Das mag auch in vielen Fällen wirklich seine Richtigkeit haben. Aber auf der anderen Seite ist es fantastische Musik, die auch absolut bestehen kann und nicht unbedingt diesen geschichtlichen oder persönlichen Überbau benötigt."
Ein Viertonmotiv steht am Anfang des ersten Satzes, eine Abwandlung von D-Es-C-H, den in (deutsche!) Notensprache übertragenen Initialen Schostakowitschs. In diesem scherzhaft heiteren Marsch, wie Schostakowitsch den ersten Satz nannte, tritt das Horn immer wieder solistisch zum Cello hinzu. Der zweite Satz: eine melancholische Kantilene des Cellos, die sich allmählich aber immer stärker zuspitzt. "Wir kommen ans Ende des zweiten Satzes, und da dreht Schostakowitsch das Thema, das am Anfang vom Cello und von den ersten Geigen gespielt wurde, jetzt um", erläutert Moser eine der schönsten Stellen des Werks überhaupt. "Das heißt: Auf einmal sind nicht mehr die Geigen das Höchste, sondern das Cello, weil man eben diese künstlichen Flageoletts spielt in Abwechslung mit der Celesta. Und für mich ist das ein Sinnbild: Die Welt ist auf den Kopf gestellt."
Im zweiten Teil der Kadenz kommen wir quasi aus dem Nichts, und Schostakowitsch verliert gegen Ende quasi den Verstand.
Der Cellist Mstislaw Rostropowitsch (li.) und der Komponist Dmitrij Schostakowitsch | Bildquelle: picture-alliance/dpa Auf die elegische Klage des langsamen Satzes, folgt eine ausgedehnte Kadenz, quasi ein eigener Satz für Cello solo. Diese Kadenz sei eine große Herausforderung, sagt Johannes Moser: "Es ist eher so eine Art Monolog – eine Selbstbetrachtung des Themas, die dann zu einem großen Ausbruch führt. Im zweiten Teil der Kadenz kommen wir quasi aus dem Nichts, und Schostakowitsch verliert gegen Ende quasi den Verstand. Und das finde ich so unglaublich: dass innerhalb von lediglich zwei Minuten so eine unglaubliche Steigerung entsteht." Die Kadenz mündet in das Finale, das noch einmal auf das Hauptthema des ersten Satzes zurückgreift, stets ironisch und sarkastisch im Unterton. Johannes Moser weist auf eine Besonderheit hin: "Es gibt im letzten Satz ein Zitat vom Lieblingslied Stalins. Das war ein georgisches Volkslied – eher seicht, aber es musste immer und überall gespielt werden, weil es eben Stalins Lieblingslied war. Und viele Komponisten haben das ein bisschen persifliert, unter anderem eben auch Schostakowitsch in seinem Cellokonzert. Er hat es aber so gut versteckt, dass Rostropowitsch das gar nicht gemerkt hat. Schostakowitsch musste es ihm dann in den Noten zeigen."
Von den versteckten Seitenhieben auf Stalin abgesehen, ist das Finale ein motorisch drängender, Energie geladener Satz, der dem Interpreten äußerste Virtuosität abverlangt. Johannes Moser fasst die Gesamtdramaturgie des Werks folgendermaßen zusammen: "Ich finde die dramatische Kurve unglaublich gut. Es fängt ja mit diesem – wie Schostakowitsch selber sagt – heiteren Marsch an: mit etwas, was wirklich sehr nach vorne drängt. Dann haben wir den langsamen Satz, der sich durch die Kadenz unheimlich verdichtet und intensiviert. Und dann endet das Stück eben mit diesem wirklich total verrückten Finale. Die Kurve der Dramatik gibt es natürlich auch in kleineren Formaten innerhalb des Konzerts, also kleinere Wellen innerhalb der großen Welle. Für mich ist das faszinierend."
Dmitri Schostakowitsch:
Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur, op. 107
Johannes Moser (Violoncello)
WDR Sinfonieorchester Köln
Leitung: Pietari Inkinen
Label: Hänssler Classics
Sendung: "Das starke Stück" am 13. April 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK