Der Rhein zieht sich durch Schumanns Leben wie ein roter Faden. Im Rheinland durchlebte er seine glücklichsten und seine schwärzesten Momente. Als gefeierter Komponist und Dirigent wurde er dort empfangen. Später stürzte er sich, von Psychosen geplagt, in den Fluss. Seine 3. Symphonie stammt noch aus einer positiven Phase im Leben des Komponisten. Starke Stimmungsschwankungen merkt man aber auch hier. Florian Heurich hat sich mit dem Dirigenten Yannick Nézet-Séguin über Schumanns gespaltene Persönlichkeit unterhalten und darüber, wie viel "rheinisches Naturell" in seiner 3. Symphonie steckt.
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Das starke Stück zum Anhören
"Von Anfang an hat man durch diesen pulsierenden Dreivierteltakt den Eindruck eines Bootes auf dem Fluss", sagt Nézet-Séguin über Schumanns "Rheinische": "Alles fließt, und gleichzeitig spürt man eine gewisse Mechanik. Und dann hat man diesen bäuerlichen Tanz des zweiten Satzes. Diese Symphonie ist also stark von der Natur inspiriert und auch von der Religion. Außerdem gründet sie sich auf eine Poesie, die man bei Schumann schon seit seinen Klavierstücken findet. Diese Symphonie ist zwar keine Tondichtung, man darf aber dennoch nicht diesen poetischen und ganz direkten Einfluss von konkreten Bildern außer Acht lassen."
Die "Rheinische", Schumanns Dritte Symphonie, ist keine Programmsymphonie. Ihren Beinamen hat sie auch nicht vom Komponisten selbst. Erst im Nachhinein hat sein Freund und späterer Biograph Wilhelm Joseph von Wasielewski sie so genannt, da sie kurz nachdem Schumann von Dresden nach Düsseldorf gezogen war, entstanden ist. Eine ungewöhnlich glückliche Zeit in Schumanns Leben, und das hört man auch in dieser Symphonie.
Yannick Nézet-Séguin | Bildquelle: Hans van der Woerd Die "Rheinische" ist weit mehr Stimmungsbild als tonmalerische Nachzeichnung konkreter Situationen. Und wo steckt hier die vielzitierte "rheinische Fröhlichkeit"? Die spricht am ehesten aus dem zweiten Satz, einem Scherzo im Stil eines sanften Ländlers. "Hier sieht man vor allem die romantische Seite Schumanns", erklärt Yannick Nézet-Séguin. "Romantisch im Sinne von Natur, von seiner Liebe zu ländlichen Festen. Das Besondere an diesem Satz ist aber nicht nur das, sondern vor allem dieser langsame Ländler-Rhythmus anstatt eines Scherzos. Und paradoxerweise gibt es in der Mitte eine Stelle, die trotzdem den Geist eines Scherzos à la Mendelssohn evoziert. Fast wie Elfen im Wald. Außerdem gibt es diesen Moment in a-Moll mit seinem obsessiven Orgelpunkt im Kontrabass. Also trotz eines eher ländlichen und folkloristischen Bildes gibt es immer diese zweite Schicht, diese dritte Schicht, die eine Parallelwelt eröffnet. Und das ist wirklich einzigartig bei Schumann."
Respekt, Liebe und Angst
Das träge Fließen des Flusses, die stetige Bewegung eines Raddampfers, die Feststimmung des Rheinlandes, Schumanns eigene Euphorie. Und noch eine weitere Anekdote rankt sich um diese Symphonie, die Schumann in einem riesigen Schaffensrausch innerhalb eines einzigen Monats komponierte: Der feierliche Eindruck des Kölner Doms soll ihn zum langsamen vierten Satz inspiriert haben; er klingt ehrfurchtsvoll, grüblerisch, bedrohlich! "Schumanns Beziehung zur Religion ist einerseits mystisch und voller Respekt, andererseits aber auch mit Anzeichen von Rebellion, Ablehnung und Distanz" führt Nézet-Séguin aus. "Und gerade die Tonart dieses Satzes, es-Moll, ist eine sehr entfernte und sehr eigenartige Tonart - voller Mysterium, voller Fragen. Selbst die letzten Akkorde im Fortepiano bilden überhaupt keinen Abschluss. Auch das sind Fragen. Sie hängen mit Schumanns Liebe zum Kontrapunkt und zu Bach zusammen. Die Kunst des Kontrapunkts in diesem Satz ist ein sehr religiöser Aspekt. Das drückt aber nicht die Furcht vor etwas ganz Dunklem und Erschreckendem aus, sondern steht für Gottesfurcht. Eine Mischung aus Respekt, Liebe und auch Angst."
Robert Schumann, nach einer Lithographie von Eduard Kaiser (1847) | Bildquelle: picture-alliance/dpa So kommt also die dunkle Seite von Schumanns rätselhafter, oft abgründiger Psyche in einem ansonsten eher positiv gestimmten Werk an die Oberfläche. "Für mich hat Schumann eine bipolare Persönlichkeit", sagt Nézet-Séguin zu diesem Themenkreis. "Oft ist er sehr depressiv. Seine Symphonien allerdings sind von Anfang an, also von der Frühlingssymphonie an, ein Zeichen dafür, dass Schumann alle Anstrengungen unternimmt, um zum Licht hin aufzusteigen. In seiner Bipolarität bedeutet das ein fast manisches Streben nach Kraft und Energie. Symphonien zu schreiben heißt für Schumann, an der Spitze eines Orchesters zu stehen. Und das waren für ihn die besten Momente seines Lebens, als er für eine Institution verantwortlich war."
Mit Schumanns gespaltener Persönlichkeit erklärt sich Yannick Nézet-Séguin auch die radikalen Stimmungswechsel in diesem Werk. Gleich nach dem düsteren vierten Satz endet die "Rheinische" nämlich so, wie sie begonnen hat: in einer Hochstimmung. Und in der befand sich Schumann durch seinen Neuanfang in Düsseldorf, wo er zum städtischen Musikdirektor berufen worden war. "Ich denke, hier kommt der Wunsch Schumanns zum Ausdruck, seine persönlichen Schwierigkeiten zu überwinden", erläutert Nézet-Séguin diesen Satz. "Diese Musik ist aber niemals leicht. In der Aufnahme, die ich mit dem Chamber Orchestra of Europe einspielte, habe ich zwar versucht, ein bisschen die Textur aufzuhellen, dennoch wird es dadurch aber nicht leicht. Zu Vieles spielt sich gleichzeitig ab. Deshalb bleibt es eine sehr dichte Musik, die uns aber am Ende trotz allem vielleicht zum Triumph und zum Licht führt."
Robert Schumann: Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 97 "Rheinische"
Chamber Orchestra of Europe
Leitung: Yannick Nézet-Séguin
Label: Deutsche Grammophon