Seit seiner Enstehung 1853 scheiden sich die Geister, ob Schumanns Violinkonzert Abglanz eines seelisch erkrankten Komponisten ist oder vielmehr verklärtes Aufglühen eines musikalischen Genies.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
Den Beitrag anhören
Als Robert Schumann am 7. Oktober 1853 seiner Frau Clara sein gerade vollendetes Violinkonzert am Klavier vorspielt, reagiert sie zurückhaltend. Es ist sollte der Anfang einer Rezeptionsgeschichte werden, in deren Verlauf das Konzert lange Zeit für düster und ungeigerisch gehalten wird, bis es schließlich am 26. November, 1937, mehr als 80 Jahre nach seiner Entstehung seine Uraufführung erlebt – durch den Geiger Georg Kulenkampff und das Philharmonische Orchester Berlin unter Leitung von Karl Böhm. "Es ist einfach alles sehr menschlich, oder sehr programmatisch, auch wenn es noch so absolute Musik ist", sagt der österreichische Geiger Thomas Zehetmair über das Werk. "Es ist immer ein Ausdruck von seelischen Empfindungen. Und das auch persönlich zu empfinden, ist natürlich ganz wichtig." Für Zehetmair galt lange Zeit die Interpretationskunst von Gidon Kremer als Vorbild, bevor er eigene Wege ging – und 1988 schließlich auch Robert Schumanns Violinkonzert aufnahm.
"Das starke Stück - Musiker erklären Meisterwerke" gibt es auch als Podcast: Jetzt abonnieren!
Clara und Robert Schumann | Bildquelle: Ernst Burger: "Robert Schumann. Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten", Mainz 1998 Schumanns Frau Clara und Johannes Brahms waren sich nach dem Tod des Komponisten einig, das Konzert nicht zu veröffentlichen, weil sie glaubten, so sein Andenken an die Nachwelt in hellerem Lichte zu bewahren. Ein Andenken, das nicht getrübt wäre durch die letzten Werke, die Schumann ihrer Meinung nach im Zustand geistig-seelischer Erkrankung schrieb. Dem Geiger Joseph Joachim, einem Freund von Robert Schumann, ist es zu verdanken, dass die originalen Noten wenigstens aufbewahrt wurden. Gerade der zweite Satz spiegelt in seiner dunklen Farbgebung den Schatten wider, der seit 1853 auf Schumanns musikalisches Schaffen gefallen war. "Meine Musik kommt mir mehr und mehr so wunderbar verschlungen vor. Bei aller Einfachheit. So sprachvoll aus dem Herzen. Alles ist verschränkt ineinander. Unlösbar auf mehreren Ebenen." So kommentiert Robert Schumann sein Befinden in den letzten Lebensjahren.
Nach Schumanns Tod schlummerte das Konzert in der Preußischen Staatsbibliothek, bis es der Mainzer Schott-Verlag schließlich im Jahr 1937 veröffentlichte. Die Uraufführung kam der Reichskulturkammer der Nationalsozialisten für ihre Jahrestagung in der Deutschen Oper gerade recht. Da konnte man einen "echten" deutschen Romantiker präsentieren. Attraktiv wurde das Konzert unter Geigern aber noch lange nicht, weil sich der solistische Part vor allem in der tiefen Lage bewegt, fernab der Register, in denen ein Violinvirtuose brillieren kann. So ist auch zu erklären, warum der Violinist Georg Kulenkampff, der das Werk 1937 zur Uraufführung brachte, Änderungen vornahm.
Es gibt sehr viele Bearbeitungsversuche, die aber alle scheitern.
Thomas Zehetmair | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Das meiste hat er eine Oktave höher notiert", äußert sich Zehetmair dazu. "Und er hat sehr viele virtuose Sachen in den Solopart integriert. Ich verstehe das überhaupt nicht, denn das passt so wenig zu diesem Stück." Thomas Zehetmair hat das Manuskript des Violinkonzerts in der Preußischen Staatsbibliothek Berlin studiert. Für ihn war die originale Version als Basis seiner Aufnahme selbstverständlich. Dieses Opus dürfe man eben nicht als Virtuosenfutter verstehen, so Zehetmair, sondern als emotional tiefschichtiges Werk, für das man als Geiger die nötige Reife benötige. Es ist ein wunderbares Manuskript, klar geschrieben und sehr ausdrucksvoll", begeistert sich Zehetmair. "Dass Schumann nicht im Besitz seiner vollen Schöpferkraft war, kann nicht sein. Es gibt sehr viele Bearbeitungsversuche, die aber alle total scheitern. Wenn man beispielsweise die Bearbeitung von Fritz Kreisler hört, dann ist das schon faszinierend. Die ist toll gemacht, im Gegensatz zu der Kulenkampff-Bearbeitung, nach meinem Empfinden. Aber sie steht so hinter dem originalen Werk zurück, dass ich mir nicht vorstellen kann, warum man sie so lange bevorzugt hat."
Es war der Geiger Henryk Szeryng, der Schumanns Konzert in den 1960er Jahren neu entdeckte und später für eine Referenzaufnahme sorgte. Dann machte sich Gidon Kremer um das Stück verdient, beeindruckt von der tiefen Empfindsamkeit und inneren Spannung der Schumann'schen Musik. Unter den Geigern der jüngeren Generation nahm sich schließlich Thomas Zehetmair des Violinkonzertes an. In seiner Aufnahme spürt man die lange Beschäftigung mit den Details der Phrasierung, entdeckt man ein Spätwerk von Schumann, dass ein Stück großer romantischer Musik ist und doch seine besonderen Eigenheiten besitzt.
Robert Schumann:
Konzert für Violine und Orchester d-Moll WoO 23
Thomas Zehetmair (Violine)
Philharmonia Orchestra London
Leitung: Christoph Eschenbach
Label: Teldec
Sendung: "Das starke Stück" am 14. November 2023, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK