Bei der Uraufführung am 4. Dezember 1881 in Wien ging es hoch her. Das Publikum tobte, und zwar nicht nur vor Begeisterung. Tschaikowskys Violinkonzert in D-Dur spaltete die Gemüter, und der berühmte Wiener Kritiker Eduard Hanslik schrieb über diese Uraufführung: "Tschaikowskys Violin-Concert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört." Hanslik hin oder her, Tschaikowskys Violinkonzert setzte sich später durch und das, obwohl Leopold Auer, dem es zuerst gewidmet war, es als zu schwierig und zu radikal abgelehnt hatte.
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Eine Geschichte ist es, die das Soloinstrument nach Ansicht Christian Tetzlaffs im Tschaikowsky-Konzert erzählen will. Dazu passt es, dass der Geige eine viel stärker virtuos konzipierte Rolle zugedacht ist als etwa in den Konzerten von Beethoven oder Brahms. Und auch die beiden Themen des ersten Satzes sind anders aufgebaut als normalerweise üblich, meint der Violinist Christian Tetzlaff: "Nun, da hat er bestimmt ein bisschen an die Qualitäten der Geige gedacht, die vielleicht noch mehr im Lyrischen zu finden sind als im wilden Perkussiven oder Schnellen –im Vergleich zum Klavier zum Beispiel. So haben das erste und das zweite Thema ausgesprochen lyrischen Charakter, wo sonst die Klassiker und viele meist versuchen, dass die beiden Themen kontrastieren. Was aber hier kontrastiert, sind die Dinge, die zwischen den beiden Themen passieren".
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Und diese erfordern vom Solisten ein immenses technisches Können. In Tschaikowskys Violinkonzert gibt es nicht die einzig schwere Stelle, an der der Geiger gemessen wird, hier reihen sich die technisch anspruchsvollen Episoden aneinander wie die Perlen einer Perlenkette: Technisch schwierige Läufe, Doppelgriffe und das Spiel in extrem hoher Lage. Höhepunkt ist die große Solokadenz in der Mitte des ersten Satzes. Auch hier komponiert Tschaikowsky aus dem vorhandenen Themenmaterial wieder alle erdenklich technischen Schwierigkeiten in den Violinpart: "Die schöneren Momente sind sicherlich vielleicht eigentlich danach, wenn die Flöte das Thema übernimmt und alles, was vorne schon mal war, in leicht veränderter Form wiederkommt", erklärt Christian Tetzlaff. "Vielleicht kann man es dann noch mehr genießen".
Es ist so, als wenn ich jetzt zu Ihnen ganz vertraut spreche – wie zwischen Freund und Freund.
Christian Tetzlaff | Bildquelle: © Giorgia Bertazzi Nach dem anstrengenden, gut zwanzigminütigen ersten Satz mit seinen extrem hohen technischen Ansprüchen folgt der zweite Satz, die "Canzonetta". "Das bedeutet 'kleines Liedchen'", sagt Christian Tetzlaff. "Es ist ein langsamer Walzer in g-moll, den der Geiger auch tunlichst die ganze Zeit mit Dämpfer zu spielen hat. Es geht um ein trauriges schönes Bild, das von den beiden großen Ecksätzen umrahmt wird. Und deshalb tut mir das immer weh, wenn dieses Stück, wie es ja sehr oft gemacht wird, im halben Tempo als schwerer, großer langsamer Satz gespielt wird. Und auch der Dämpfer ist einfach ganz wichtig in diesem Satz. Es ist so, als wenn ich jetzt zu Ihnen ganz vertraut spreche – nicht für jeden zum Mithören, sondern eben wie zwischen Freund und Freund."
Dezent begleiten die Streicher den Solisten im zweiten Satz, die Holzbläser kommunizieren mit dem Geiger und es entwickelt sich ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Doch diese Ruhe, diese Eintracht hält nicht bis zum Ende an. "Der Satz zerfällt und zerfasert vollständig, die Geige hat fertiggespielt; das Orchester verlangsamt sich und auch harmonisch ist es so, als ob man sich irgendwo verläuft", erklärt Christian Tetzlaff das Ende der "Canzonetta". "Und am Ende dieser dieses Verlaufens, wo man wirklich nicht mehr weiter weiß, kommt dann wie ein Gott aus der Maschine der letzte Satz angefahren, und dann gibt es keine weiteren Fragen mehr."
Jossif Kotek (li.) und Peter Tschaikowsky. Der Geiger Kotek beriet Tschaikowsky bei der Gestaltung des Soloparts seines Konzerts. | Bildquelle: Wikimedia Commons Der letzte Satz fordert dann noch mal höchstes technisches Können und Virtuosität vom Solisten. Aber es gibt auch noch andere Momente, die wie eine Oase aus dem Satz hervorstechen. "Es ist halt ein Rondo", so Tetzlaff. "Das sehr schnelle und eigentlich wirklich lustige Hauptthema wird dann von verschiedenen Couplets unterbrochen." Dieses Hin- und Her zwischen schnellen, virtuosen und ruhigen, melancholischen Abschnitten im letzten Satz von Tschaikowskys Violinkonzert mündet schließlich in einen fulminaten Schluss. Das Ende eines außerordentlich anspruchsvollen Konzerts.
Aufgrund seiner Länge und der Anhäufung von technischen Schwierigkeiten bei gleichzeitig hohem Anspruch an die musikalische Gestaltungskraft bedeutet es Schwerstarbeit für den Solisten. Ein Kraftakt, bei dem man sicher auch einige Kilos abnimmt. "Ich fürchte, das ist mehr ideell, was man da verliert, zumal nach einem Tschaikowsky-Konzert man dann ja unbedingt hinterher auch seine drei, vier Bier trinken muss, um wieder auf die Erde zurückzukommen und dann hat man das längst wieder drin".
Peter Tschaikowsky: Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 35
Christian Tetzlaff (Violine)
Russisches Nationalorchester
Leitung: Kent Nagano
Label: PentaTone