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Giuseppe Verdi Streichquartett e-Moll

1871 war er Italiens berühmtester Komponist, fast schon ein Nationalheld. Auf den Straßen Italiens wurden seine Opern gepfiffen und geträllert. Einzig um das Komponieren von Instrumentalmusik hatte Giuseppe Verdi lange Zeit einen Bogen gemacht. Unvorstellbar! Ein Italiener und ein Streichquartett?

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Sonniges Südlicht. Eine helle Musik, heiter, aber auch irgendwie melancholisch und: italienisch. Komponiert im Frühling in Neapel, als ob es sich um eine Nebensächlichkeit handelte. Mit leichter Feder aufs Papier geworfen? Der Anekdote nach handelte es sich bloß um Handgelenksübungen eines äußerst gelangweilten Komponisten. Doch dieser gab ja schon länger, mit allem Sinn für Theatertricks und Täuschungen begabt, den bärbeißigen Alten. Der meldete sich, so wie es ihm gefiel, ab und an mit einem Coup in bester Theatermanier zu Wort.

Reich geworden durch "Aida"

Und nun also ausgerechnet mit einem Streichquartett in e–Moll! Seitdem er mit seinen Opern zu einem Vermögen gekommen war, gefiel er sich zunehmend in der Rolle eines "Bauern von Roncole", der das einfache Leben auf dem Land liebt und aus ärmlichen Verhältnissen stammt. Tatsächlich hatte der Sohn eines Gastwirts Latein gelernt. Spätestens "Aida", der Legende nach komponiert zur Einweihung des Suezkanals, hatte ihm den Luxus des leichten Lebens beschert: Die Tantiemen vor allem für den Triumphmarsch aus dieser Oper flossen zuverlässig. Und Verdi konnte es sich in der Folge erlauben, Kompositionsaufträge auszuschlagen.

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Verdis erstes Kammermusikwerk

Noten, geschrieben zum Zeitvertreib? Im März 1873 war "La Stolz", die Primadonna Teresa Stolz, erkrankt – eine langjährige Affäre des Komponisten. Daher waren die Proben zur "Aida" ins Stocken geraten. Und so kam es, dass der Komponist dieses Erfolgsstücks im Alter von 60 Jahren sein erstes Kammermusikwerk überhaupt – einem launischen Einfall gleich – in einem Hotelzimmer in Neapel zu Papier brachte. Ausgerechnet Verdi, der felsenfest davon überzeugt war, dass die Instrumentalmusik eine "Sache der Deutschen und das Streichquartett eine Pflanze sei, der das italienische Klima nicht bekommt".

Streichquartette aus Italien

Eckart Runge vom Artemis Quartett  | Bildquelle: © Nikolaj Lund Eckart Runge | Bildquelle: © Nikolaj Lund "Ich denke, er spielt damit auf die Intellektualität des Quartetts an, das natürlich immer eine Komponente war", so denkt der Cellist Eckart Runge über die Äußerungen des Komponisten. "Das italienische Klima bekommt dem Streichquartett meiner Meinung nach sehr gut. Es stimmt natürlich, dass aus diesem Land eher eine Opern- und Sängertradition hervorgegangen ist, aber das legendäre Quartetto Italiano beispielsweise ist ein Meilenstein der Quartettgeschichte. Und es ist ja nicht so, dass Verdi der einzige Italiener ist, der für Quartette etwas geschrieben hat. Klar ist die ganze große Tradition im deutschsprachigen Raum zu finden, aber ich persönlich glaube, dass die Italiener einen sehr schönen Beitrag geliefert haben zur Gattung Streichquartett: Respighi hat zum Beispiel ein wunderbares Quartett geschrieben und Puccini die 'Chrysanthemen'. Nonos 'An Diotima' haben wir sehr oft gespielt, es ist ein phänomenales Werk."

Es steckt sehr viel Humor in dieser Fuge.
Eckart Runge zum Finale von Verdis Streichquartett

Vernünftige Konversation

Für die Kammermusikvereinigungen, die sich seit Neuestem nun auch überall in Italien gründeten, hatte Verdi nur bissigen Spott übrig: "neumodische Clubs"! Vielleicht war dem berühmten Italiener im Frühjahr 1873 aber auch der Satz eines berühmten Deutschen in den Sinn gekommen. Dieser Klassiker hatte nicht nur seine Liebe zu Italien entdeckt, sondern er hatte unter dem Eindruck von Beethovens Opus 59 eine viel zitierte Formulierung über das Wesen des Streichquartetts in die Welt gesetzt: Er höre vier vernünftige Leute sich unterhalten. Der vierstimmige Satz erschien Johann Wolfgang von Goethe als Inbegriff ernsthafter und erhabener Musik. Tönend bewegtes Gedankenspiel. Doch Verdi wäre nicht Verdi, wenn er sich bei der Komposition seines Streichquartetts nicht einen Witz erlaubt hätte mit dem vierten Satz: "Das ist eine fünftaktige Fuge", erklärt Eckart Runge. "Total skurril – dieses Thema ist so irrsinnig ungerade, dass man es kaum versteht und dann setzt schon der Nächste ein. Es steckt sehr viel Humor in dieser Fuge."

Rasanter Aprilscherz

Gregor Sigl (li.), Vineta Sareika, Eckart Runge, Anthea Kreston (re.) | Bildquelle: Felix Broede Artemis Quartett | Bildquelle: Felix Broede "Eine Spielerei", nannte der Komponist dieses Kabinettstück vierstimmigen Komponierens und untertrieb wie so oft. Ein ernsthaft wie sorgfältig durchgearbeiteter erster Satz, elegant durch und durch, zwei Mittelsätze, die den Geist der italienischen Oper zu atmen scheinen. Bühne frei! Eine Arie, gesungen vom Cello. Und am Ende eine Fuge, so aberwitzig und rasant, dass einem beim Hören fast schwindlig wird. Ein Aprilscherz? So schien es, denn auf den Abend des ersten April des Jahres 1873 hatte Verdi ein paar Freunde eingeladen. Er trank und aß gern gut – vornehmlich italienische Pasta. Doch den Freunden, die vielleicht ein gutes Essen erwartet hatten, servierte Verdi Schwarzbrot: die Uraufführung eines Streichquartetts in vier Sätzen. Er hatte sein Publikum noch verschämt darum gebeten, um Himmels Willen nicht einzuschlafen. Doch die hungrigen Gäste baten am Ende sogar um eine Wiederholung. Die Musik eines gelangweilten Opernkomponisten? Eine Musik, die verrät, dass Verdi die Quartette Haydns und Beethovens sehr genau studiert hatte: Vier Streichinstrumente plaudern feinsinnnig und pointiert. Und wie aus weiter Ferne klingen da auch Beethovens ernsthaft verzwickte Streichquartette an. Frühling in Italien eben.

Musik-Info

Giuseppe Verdi:
Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello e-Moll


Artemis-Quartett
Label: Ars Musici

Sendung: "Das starke Stück" am 26. Februar 2019, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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