"Philosophin am Klavier" wurde Dina Ugorskaja einmal genannt, und tatsächlich machte sich die Pianistin besonders durch ihr von tiefer Ernsthaftigkeit und Sensibilität geprägtes Spiel einen Namen. Zusammen mit der Cellistin Tanja Tetzlaff spielte sie am Dienstag im BR-KLASSIK Studiokonzert auch Werke von Ustwolskaja und Schostakowitsch.
BR-KLASSIK: Galina Ustwolskaja lebte zurückgezogen in St. Petersburg, 1919 wurde sie dort geboren, 2006 ist sie gestorben. Dina Ugorskaja, Sie stammen auch aus St. Petersburg. Kannten Sie diese Komponistin persönlich?
Dina Ugorskaja: Nicht direkt. Ich war in einem ihrer Konzerte, wo gerade das große Duett ("Grand Duet") gespielt wurde. Und die Musik hat mich völlig umgehauen - ich war damals 15 Jahre alt. Ich habe die Komponistin ein paar Reihen vor mir sitzen sehen. Aber sie hatte so etwas Magisches, fast Misanthropisches an sich, etwas Umschlossenes, dass ich mich niemals getraut hätte, sie anzusprechen. Aber sie zu sehen, das war schon unglaublich wertvoll und auch vielsagend.
BR-KLASSIK: Wie präsent war sie denn aus Ihrer Sicht in Musikerkreisen in der damaligen Sowjetunion?
Dina Ugorskaja: Sie war eher im Hintergrund tätig. Die Kenner wussten von ihr, aber sie war eher eine Persona non grata und stand abseits, weil sie ab einem gewissen Zeitpunkt dem Regime gegenüber keinerlei Zugeständnisse mehr gemacht hat.
BR-KLASSIK: Galina Ustwolskaja hat 25 Werke auf ihrer Werkliste. Sie hat noch einiges darüber hinaus komponiert, dann aber mit dem Zusatz "für Geld" vermerkt und manches dann auch vernichtet. Worin liegt denn der Reiz dieser speziellen Musik?
Dina Ugorskaja: Sie ist sehr, sehr stark, und sie hat viele Facetten - wie auch im Leben. Aber so über das Schmerzhafte und Schlimme zu sprechen wie sie, trauen sich nicht viele. Das ist es, was mich reizt, weil das so seriös und so großartig ist.
BR-KLASSIK: Ohne Filter, ohne Taktstriche, Aussparen der Mittellage - also viel Diskant und viel Bass -, massige Klangwirkungen, Cluster: Das sind die Mittel, mit denen Galina Ustwolskaja arbeitet. Sie hat mal gesagt "Der innere Gehalt meiner Musik schließt den Begriff Kammermusik aus." Was könnte sie damit gemeint haben?
Dina Ugorskaja: Ich denke, aus ihrer Sicht ist Kammermusik etwas kleiner und gemütlicher. Und es geht um den Begriff Musik, egal um welche Besetzung oder Gattung es sich handelt: Musik ist Musik. In diesem Stück verwendet sie (zum Cello) den Kontrabassbogen, das Klavier wird mit den Fingern gespielt. Es gibt andere Werke, wo auch mit Knöcheln gespielt wird - in der 5. Klaviersonate, die ich auch sehr gerne spiele, muss man mit geballter Faust und abgespreiztem Daumen mehrfach auf die Tasten einschlagen. Merkwürdigerweise ist das nicht nur ein Cluster, sondern das klingt auch. Ich finde, wie sich der Klang der Töne bildet, ist etwas ganz Besonderes. Und das schmerzt auch, und das muss auch so sein. Da muss man durch. Es ist ein bisschen masochistisch.
Nicht du befindest dich unter meinem Einfluss, sondern ich mich unter deinem.
BR-KLASSIK: Galina Ustwolskaja war von 1939 bis 1950 Schülerin von Dmitrij Schostakowitsch und galt auch als eine Lieblingsschülerin. Er muss einmal zu ihr gesagt haben: "Nicht du befindest dich unter meinem Einfluss, sondern ich mich unter deinem." Meinen Sie, er hat das wirklich ernst gemeint?
Dina Ugorskaja: Ich glaube, er hat es wirklich ernst gemeint. Er hätte sie auch gerne geheiratet und hat ihr einen Antrag gemacht, den sie abgelehnt hat. Und sie hat ihn später verpönt, weil seine Zugeständnisse dem sowjetischen Regime gegenüber für sie nicht vertretbar waren. Man darf nicht über die Menschen in dem Land urteilen, die damals mit Zwängen und Problemen fertig werden mussten. Und Schostakowitsch hat ja auch ganz vielen Menschen geholfen. Insofern ist es eine schöne Verbindung, Werke von beiden Komponisten im Programm des Studiokonzerts zusammenzuhaben.
Sendung: "Leporello" am 23. Januar 2018, 16:05 Uhr und "Studiokonzert" am 23. Januar 2018, 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Dienstag, 23. Januar 2018
Mit Tanja Tetzlaff (Violoncello) und Dina Ugorskaja (Klavier)
Auf dem Programm:
Ludwig van Beethoven (1770–1827): Sonate für Violoncello und Klavier, A-Dur, op. 69 (1807/08)
Galina Ustwolskaja (1919–2006): Großes Duett für Violoncello und Klavier in fünf Sätzen (1959)
Robert Schumann (1810–1856): Fantasiestücke für Violoncello und Klavier, op. 73 (1849)
Dmitrij Schostakowitsch (1906–1975): Sonate für Violoncello und Klavier, d-Moll, op. 40 (1934)
Das Studiokonzert wird ab 20:05 Uhr live im Radio übertragen.