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Johann Sebastian Bach Zweistimmige Inventionen

Bis heute kommt kein Klavierschüler an ihnen vorbei. Bachs Inventionen sollten dazu dienen, "eine cantabile Art im Spielen zu erlangen". Aber diese ursprünglich rein zu Lernzwecken konzipierten Stücke faszinieren auch reife Pianisten. BR-KLASSIK stellt sie zusammen mit der 2019 verstorbenen Pianistin Dina Ugorskaja vor.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das starke Stück

Bach – Zweistimmige Inventionen

Am 22. Januar 1720 legte Johann Sebastian Bach ein kleines Notenbüchlein für seinen ältesten, damals zehnjährigen Sohn Wilhelm Friedemann an. Einige Stücke schrieb der Vater selbst hinein – als vorbereitende Übungen. Am Ende des Büchleins ließ er Platz, damit Wilhelm Friedemann später seine eigenen Kompositionen hineinschreiben konnte. Unter anderem gab es in dem Büchlein auch zweistimmige Inventionen und dreistimmige Sinfonien.

Traditionelles Übungswerk für Pianisten

Nachdem Bach fast drei Jahre lang mit seinem Sohn und seinen anderen Schülern an diesen Inventionen gearbeitet hatte und sie dabei ständig umschrieb und verbesserte, verfasste er schließlich eine weitere Version von zweimal 15 Stücken, die er Inventio (zweistimmige Stücke) und Sinfonia (dreistimmige Stücke) nannte. Das Büchlein bekam folgendes Vorwort:

Auffrichtige Anleitung, womit mit denen Liebhabern des Clavires, besonders aber denen Lehrbegierigen, eine deutliche Art gezeiget wird, nicht alleine mit 2 Stimmen reine spielen zu lernen, sondern auch bey weiteren Progressen  auch mit dreyen obligaten Partien richtig und wohl zu verfahren. Anbei auch zugleich gute inventiones nicht alleine zu bekommen, sondern auch selbige wohl durchzuführen, am allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen, und darneben einen starcken Vorschmack von der Composition zu überkommen.
Verfertigt
Anno Christi 1723
von Joh: Seb: Bach.

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Dina Ugorskaja lernte die Stücke schon als Kind

Die 15 Inventionen in verschiedenen Tonarten erfüllten mehrere Zwecke: Sie sollten dem Künstler zur Ausbildung pianistischer Fertigkeiten dienen sowie den musikalischen Geschmack bei ihm schärfen und das gesangliche Legatospiel schulen. So sind die zweistimmigen Inventionen bereits Jahrhunderte lang ein traditionelles Übungswerk für angehende Pianisten. Auch Dina Ugorskaja kannte diese Stücke seit ihrer Kindheit auswendig. Sie stammte aus Sankt Petersburg und sammelte ihre ersten Musikeindrücke bei ihrem Vater, dem Pianisten Anatol Ugorskij. "Die erste Invention habe ich mit sechs Jahren von meinem Vater gelernt, ich konnte noch nicht Noten lesen: Er hat es mir einfach vorgespielt und ich es nachgespielt. Und so, nach und nach, hat sich für mich diese Welt eröffnet."

Man übt, ein Stück aufzubauen.
Dina Ugorskaja über Bachs Inventionen

Ein musikalisches Puzzle

Dina Ugorskaja | Bildquelle: Marion Koell/CAvi-music Die Pianistin Dina Ugorskaja | Bildquelle: Marion Koell/CAvi-music Dass sich die Inventionen, an die sich viele Klavierschüler – manchmal auch mit Schrecken – erinnern, mittlerweile von ihrem pädagogischen Nutzen weitgehend gelöst haben, ist sicherlich auch der Verdienst von Pianisten wie Dina Ugorskaja. Sie interpretierte die Inventionen immer wieder bei Konzerten und spielte sie auch auf CD ein.
Was ist das Besondere an den kurzen, eigentlich für den Lehrgebrauch gedachten Stücken? Ugorskaja faszinierte, dass es sich zwar um Übungsstücke handelt, die aber auch dazu gedacht waren, den Klavierschüler in die Geheimnisse der Gestaltung einzuweihen: "Wenn man diese Form für sich begreift und für sich aufbaut dann ist es wie ein Puzzle, das sich immer mehr füllt und das ist in erster Linie spannend. Und das ist eine Art Übung: Man übt, ein Stück aufzubauen. Von kleinen Grundsteinen, die in dem Stück selbst angelegt sind."

Grundverschiedene Stimmungen

Alle 15 Inventionen sind in ihrer Stimmung grundverschieden. Ihre Emotionspalette reicht von ausgelassener Freude bis zur lyrischen Innigkeit und tiefstem Schmerz. Gemeinsam ist all den Miniaturen ein Anfangsgedanke, der mit Hilfe von Imitationen, Sequenzen, Umkehrungen, Stimmentausch und anderen polyphonen Kunststücken weiterentwickelt wird.

Es gibt keinen "kleinen" und "großen" Bach

Die Zweistimmigkeit bildet das Fundament und den Ausgangspunkt aller polyphonen Musik. Viele von Bachs Konzerten, Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier, Suiten und Partiten sind zweistimmig geschrieben. Die Vielfalt dieser Stücke ist ein Beweis dafür, dass Bach sie als ebenbürtig zu seinen Hauptwerken empfand. Er hat nur ein einziges schriftliches Dokument hinterlassen, das sich mit der Interpretation seiner Werke befasst. Und dieses Dokument ist das Vorwort zum Büchlein von Wilhelm Friedemann aus dem Jahr 1723. Hat der "große Bach" seinen "kleinen" Lehrstücken eine ganz besonders wichtige Rolle in seinem Schaffen beigemessen?  "Für mich ist sowieso die Frage wie Bach seine eigene Werke einschätzte", sagt Dina Ugorskaja. "Ich stelle mir nur vor, das er ein sehr bescheidener Mann war, und er hat seinen Dienst der Musik und Gott gegenüber gehalten. Das war für ihn eben ständige Danksagung in Form des Komponierens. Alles was er getan hat, war auf einen unglaublichen Niveau, deswegen würde ich überhaupt nicht sagen: Dass ist der kleine Bach das ist der große. Diese Inventionen – genauso wie die dreistimmigen, die wahnsinnig raffiniert sind – gehören auch zu seinen großen Werken."

Musik-Info

Johann Sebastian Bach:
Zweistimmige Inventionen BWV 772-786


Dina Ugorskaja (Klavier)
Label: Venus-Music

Sendung: "Das starke Stück" am 29. Oktober 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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