Moskau, 15. Februar 1868: Peter Tschaikowskys Erste Symphonie wird mit beachtlichem Erfolg uraufgeführt. "Winterträume" heißt sie - schockgefrostete Momentaufnahmen und impressionistisch neblige Klangbilder reihen sich aneinander.
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Schnee funkelt in der fahlen Wintersonne, ein Pferdeschlitten gleitet durch ein lichtes Birkenwäldchen. Eisblumen wachsen an der Fensterscheibe, in der Stube brodelt der Samowar. Tschaikowsky macht dem berühmt-berüchtigten russischen Winter mit all seinen Erscheinungen eine stimmungsvolle Liebeserklärung.
Und doch würde statt "Winterträume" der Titel "Winteralpträume" die Sache viel genauer beschreiben: Knapp zwei Jahre plagt sich Tschaikowsky mit der Entstehung. Selbstzweifel überrollen ihn wie eine Lawine. "Ich bin nutzlos, ich bin eine Null", sagt er. Tagsüber kann Tschaikowsky mit Mühe und Not einen einigermaßen geregelten Alltag hinbekommen: Unterrichten am Konservatorium, Korrespondenz erledigen und ausgedehnte Spaziergänge unternehmen. Nachts jedoch tost ein Schneesturm in seinem Inneren.
Ich bin nutzlos, ich bin eine Null!
Die Nerven liegen blank, er schläft nicht, neurotische Anfälle suchen ihn heim. Über Monate hinweg. Tschaikowsky analysiert die Ursachen:
1) Meine Arbeit an der Symphonie zeigt nur mäßige Fortschritte.
2) Meine Kollegen Rubinstein und Tarnowsky verbringen den halben Tag damit, mich zu bedrängen und zu quälen.
3) Ich werde den Gedanken nicht los, dass ich bald sterben könnte. Ohne es geschafft zu haben, wenigstens eine Symphonie zu vollenden.
Er HAT sie vollendet. Und zwar gleich zwei Mal. Eine Überarbeitung der "Winterträume" schreibt er sechs Jahre später. Und in einer späteren Lebensphase, in der ihm das Komponieren nicht wesentlich leichter gefallen ist, verklärte Tschaikowsky dann sogar den Kampf um die Erste Symphonie: "Eine Sünde meiner süßen Jugendzeit!"
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