Wiesbaden, 6. September 1894. Max Reger bereitet seiner Umwelt Sorgen. Dabei hatte alles so gut angefangen für ihn: Das erfolgreiche Studium bei Hugo Riemann, die herzliche Aufnahme in dessen Familie, erste Erfolge als Komponist. Doch nun bleibt er schon seit längerem dem Haus des einstigen "Pflegevaters" fern.
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Elisabeth Riemann hatte Reger bereits vor zwei Jahren die Pistole auf die Brust gesetzt, als er mit sechs Pflastern im Gesicht zum Essen erschienen war: kein Alkohol mehr! Vergeblich. Jetzt muss sie feststellen, "dass er tagelang, ja ich möchte sagen, wochenlang halb und ganz berauscht umherging … In früheren Zeiten waren auch Ausschreitungen vorgekommen, aber niemals so anhaltender Art."
Ja, Reger säuft. Und das nicht nur in Gesellschaft, auch allein! Außer seiner Familie und den Riemanns gibt es allerdings niemanden, der sich darum schert. Der 21-Jährige ist ein unbeliebter Außenseiter, ein "Fugenmaxe", der während des Studiums das "intellektuelle Gequassel" und "inhaltlose Getue" seiner Mitstudenten verurteilte und stattdessen an Bach und Brahms und "feste stramme Arbeit" glaubt.
Wiesbaden, Rheinstraße mit Ringkirche | Bildquelle: Max-Reger-Institut An seine Arbeit. Wenngleich die ersten Kammermusikwerke auf sehr unterschiedliche Meinungen gestoßen sind. In Wiesbaden ist sogar so mancher aus dem Saal geflüchtet. Aber dafür hat Reger sich nun gerächt und öffentlich kritisiert, dass das künstlerisch träge Musikleben der Stadt in Lokalpatriotismus versinke. Die Folge: Jetzt ist er auch noch seine Rezensentenstelle bei der Allgemeinen Musik Zeitung los. Die Geldsorgen sind erdrückend, ganz zu schweigen von permanenten Depressionen und Zweifeln. Dazu die unglückliche Liebe zu Tilly Hilf, bei deren Eltern er nicht erwünscht ist.
Es wäre wirklich ein Jammer, wenn ein solches Talent an einer so erbärmlichen Schwäche zu Grunde ginge.
Die eigenen Eltern haben ebenfalls lauthals ihre Probleme mit dem Größenwahn und den Tobsuchtsanfällen ihres Sohnes bekundet. Elisabeth Riemann hat Recht: "Wenn es ihm jetzt nicht gelingt, seiner bösen Leidenschaft Herr zu werden, dann sehe ich für ihn eine traurige Zukunft … Es wäre wirklich ein Jammer, wenn ein solches Talent an einer so erbärmlichen Schwäche zu Grunde ginge." 1898 zieht Regers Familie die Notbremse, holt den verlorenen Sohn nach Hause und überwacht drei Jahre lang seine Lebensweise. Es hilft, Reger kann sich fangen und spielt die Wiesbadener Zeit als einmalige "Sturm- und Trankzeit" herunter. Ein fataler Irrtum, wie sich zeigen wird – leider! Der Alkohol wird ein lebenslanger Begleiter bleiben.
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