Das Ende ist tragisch: Übergewichtig, aufgedunsen, massiv zuckerkrank, mit amputierten Bein vegetiert er die letzten Jahre dahin. Das Millionenvermögen ist verschleudert, der Ruhm hat sich verselbstständigt. Eugène Ysaÿe krepiert kläglich.
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Dabei war er und ist es auch noch heute: "vollkommener Vertreter des schönen Tons" und "Vorbild des künstlerischen Virtuosen". Eine Mischung aus Joseph Joachim und Pablo de Sarasate, vollendet in der Technik und beseelt im künstlerischen Ausdruck. Der Belgier Eugène Ysaÿe ist Wegbereiter des modernen Violinspiels. Er gilt als Vorbild für alle, die im 20. Jahrhundert eine Geige in die Hand nehmen. Ob sie es wissen, oder nicht.
Ysaÿe studiert bei Geigen-Legenden wie Wieniawski und Vieuxtemps. Als er 1878 mit Clara Schumann in Köln ein Konzert gibt, reißen sich die Musiker um ihn. Daraufhin wird Ysaÿe Konzertmeister des Benjamin Bilse Orchesters, dem Vorläufer der Berliner Philharmoniker. Allerdings schmeißt er gleich wieder hin, um mit Artur Rubinstein auf Tournee durch Europa zu gehen. Paris wird seine Heimat, später London, dann Brüssel.
Es bleibt nicht nur beim virtuosen Geigenspiel. Eugène Ysaÿe komponiert auch, unter anderem sechs Solo-Sonaten für sein Instrument. Nach Meinung eines Kollegen und Rivalen sind sie „eher geigerisches Testament als schöpferische Höchstleistung“. Trotzdem bedeuten sie noch heute Qual und Lust für alle Profis.
Was ihn aber – jenseits aller Eskapaden, jenseits seines bohèmehaften Lebens und jenseits aller Erfolge – unsterblich macht, ist sein Spiel: technisch entgrenzt und scheinbar ohne Höchstgeschwindigkeitsbremse. Mit farbenreichem Ton, blitzschnell der jeweiligen Phrase entsprechend moduliert. Revolutioniert hat er das Vibrato: Wo vorher nur der Finger auf der Saite wackelte, lockerte Ysaÿe das Handgelenk. Flüssig, weich, geschmeidig und variationsreich lässt sich so der Ton ganz individuell beleben. Wer immer das heute tut, tut es mit dem Belgier Ysaÿe im Sinn.
Am 12. Mai 1931 stirbt er in Brüssel.
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