Als man am Abend einer blutigen Schlacht des englischen Bürgerkriegs die Gefallenen vom Schlachtfeld birgt, ist auch William Lawes unter ihnen. William wer? Auch wenn es kaum einer weiß: In der Schlacht von Chester ist 1645, im Alter von nur 43 Jahren, einer der größten Komponisten Englands umgekommen - nicht etwa als unbeteiligtes Zivilopfer, sondern als Soldat.
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Zwei Attraktionen machen den Ruhm der Stadt Chester, gelegen an der englisch-walisischen Grenze, dort, wo der Fluß Dee in die Irische See mündet, aus: Seine vielen prachtvollen Fachwerkhäuser, und der einzige erhaltene und begehbare mittelalterliche Stadtmauerring Englands. Wer am Eastgate mit seinem schönen viktorianischen Uhrturm die Mauer besteigt und an der gotischen Kathedrale vorbei nach Norden läuft, der trifft schnell auf einen Wehrturm, der "The King Charles’ Tower" genannt wird. Von der Plattform dieses Turmes aus hat am 24. September des Jahres 1645 König Charles der Erste von England zusehen müssen, wie auf der Heide von Rowton seine Truppen von der gegnerischen Armee Oliver Cromwells in Stücke gehauen wurden. Es war eine der blutigsten Schlachten des englischen Bürgerkriegs.
Als man am Abend die Gefallenen vom Schlachtfeld birgt, da ist auch William Lawes unter ihnen: In der Schlacht von Chester ist im Jahr 1645, im Alter von nur 43 Jahren, einer der größten Komponisten Englands umgekommen - nicht etwa als unbeteiligtes Zivilopfer, sondern als Soldat. Eine ihm angebotene weniger gefährliche Mission hatte Lawes abgelehnt. Wer aber war dieser Mann, und warum kennt ihn fast keiner, wenn er doch zu den großen Genies der abendländischen Musik zählen soll?
Als William Lawes am 1. Mai 1602 in der Kathedrale zu Salisbury getauft wurde, regiert in England noch die alte Königin Elisabeth I. in ihrem letzten Lebensjahr. Es ist das heute viel beschworene "Goldene Zeitalter" Englands: Getragen vom Adel und dem aufstrebenden Bürgertum, blühen die Künste wie selten in einer Menschheits-Epoche.
Der junge William wird als Chorknabe im berühmten Kathedral-Chor von Salisbury gesungen haben; als seine musikalische Begabung offenbar wird, nimmt ihn der kunstsinnige Earl of Hertford unter seine Fittiche. Lawes erhält eine gründliche Ausbildung bei John Coperario, einem der besten Komponisten seiner Zeit. Coperarios Spezialität: Sogenannte "Fantazias", polyphone Instrumentalmusik, vor allem für Gambenensembles.
Bald lernt der junge Mann einen anderen Schüler kennen, der bei Coperario die Bass-Gambe studiert: Charles Stewart, Prinz von Wales. Rasch gehört Lawes zur musikalischen Entourage des Prinzen - und bleibt dabei, als sein Dienstherr 1625 König wird. Am Hofe Charles' I. herrscht ein geistiges Klima vor, das man später als elitär und extravagant abqualifizieren wird. Tatsächlich ist es - zumindest musikalisch - eine Zeit des Experimentierens, der Grenzerweiterungen, der unerhörten Freiheiten - Lawes Musik ist voll davon.
Charles I. habe, heißt es, als er von Lawes Tod erfuhr, mehr getrauert als über den irgendwelcher nahen Verwandten - aber auch die Trauer eines Königs kann nicht verhindern, dass Lawes und seine Musik binnen kurzem in vollständige Vergessenheit geraten. Vier Jahre später schon wird der sinnenfroh-musiksinnige Monarch enthauptet, und den schönen Künsten stehen in der puritanischen Diktatur Oliver Cromwells schwere Zeiten bevor - ungünstige Umstände, um im Gedächtnis zu bleiben. Eine Generation später, nach der Restauration des Königtums unter Charles II., wird ein junger Musiker namens Henry Purcell mit seinen fünfzehn Fantazias für Gamben-Konsort die ehrwürdige englische Kammermusiktradition auf einen letzten Gipfel führen - um dann nur noch Trio-Sonaten im italienischen Stil zu schreiben. Purcells Ruhm überstrahlt den des großen Vorgängers - erst das 20. Jahrhundert entdeckt ihn wieder. Heute zählt der Gambist und Alte-Musik-Spezialist Jordi Savall die Musik von William Lawes mit Bachs "Kunst der Fuge" und den letzten fünf Streichquartetten Beethovens zu den "originellsten Meisterwerken der Kammermusik aller Zeiten". Recht hat er.