Die Sopranistin Anja Harteros gibt am Sonntag an der Bayerischen Staatsoper ihr Rollendebüt als Amelia in Giuseppe Verdis "Un ballo in maschera“. Was den großen Unterschied zu anderen Verdi-Frauenollen ausmacht, das verrät die Sopranistin im Interview mit BR-KLASSIK.
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BR-KLASSIK: Anja Harteros, Debüts in München sind für Sie nicht an der Tagesordnung, aber doch häufiger. Fällt es Ihnen hier leichter, in neue Rollen zu schlüpfen?
Anja Harteros: Neue Rollen sind immer schwierig. Je schwieriger die neuen Rollen sind, desto schwieriger ist auch das Debüt, das ist klar. Aber wenn man mit Mitarbeitern arbeitet, die man schon kennt und denen man vertraut, ist das natürlich eine tolle Sache.
BR-KLASSIK: Haben Sie lange auf die Partie der Amelia gewartet, oder haben Sie selbst lange Zurückhaltung geübt, um diese Partie anzunehmen?
Anja Harteros als "Arabella", Bayerische Staatsoper 2015 | Bildquelle: Wilfried Hösl Anja Harteros: Mir hat sich gar nicht so die Option gestellt, weil ich mich mit anderen Rollen, wie beispielsweise der Desdemona aus "Otello", der Leonora aus "La forza del destino“ oder der Elisabetta in "Don Carlos" beschäftigte. Amelia aus dem Maskenball war keine Rolle, mit der ich mich zuvor ausgiebig beschäftigt habe. Sie ist sozusagen verdrängt worden. Diese Oper ist ja auch ein ausgesprochenes Ensemblestück, und wenn ich zum Beispiel Desdemona, Elisabetha oder Leonora singe, dann ist das schon weniger Ensemble und mehr solistisch. So empfinde ich das. Dieser mittlere Verdi hat eigentlich schon unheimlich viel von den späteren Opern, zum Beispiel von Falstaff oder Otello. Es ist eine sehr interessante und schöne Musik.
BR-KLASSIK: Bei Verdi gibt es, so glaube ich, kaum eine unglücklichere Frau als die Amelia, eine unglückliche Gattin, eine unglückliche Liebende und eine zur Ausweglosigkeit verurteilte Frau. Was für ein Charakter ist das für Sie?
Anja Harteros: Ich weiß gar nicht, ob sie im Vergleich zu den anderen eine so außergewöhnliche und traurige Rolle ist. Die Leonora in "La Forza del destino" ist auch nicht gerade glücklich, ebensowenig glücklich ist Elisabetta in "Don Carlos". Desdemona hat am Anfang zumindest einen Lichtblick und ist vor allem sehr unschuldig. Sie bekommt auch relativ spät mit, was um sie herum passiert. Aber nicht, weil sie naiv ist, sondern weil es sich um eine Intrige handelt. Bei "Un ballo in maschera“ ist der eigentliche Unterschied die Schuldigkeit. Amelia hat Schuld auf sich geladen. Ich spreche nicht davon, dass sie Sex mit Riccardo hatte, sondern über das Gefühl, dass sie neben ihrem Mann einen anderen liebt. Zudem ist sie Mutter. Das bedeutet, dass sie nicht nur ihre Ehe, sondern auch ihr Dasein als Mutter verrät. Ich denke hierin liegt der große Unterschied zu den anderen Rollen, die ich bisher von Verdi gesungen habe. Es gibt eine weitere Dimension und auch eine andere Facette einer Frau, die sich in gewisser Weise schuldig macht. Ob man jetzt annimmt, dass sie sich einfach in einen anderen Mann verliebt hat, dafür also nichts kann, oder ob man diese Liebe als aktive Tat sieht - darüber könnte man philosophieren und nachdenken.
BR-KLASSIK: Was ist für Sie musikalisch eine besondere Herausforderung in dieser Partie?
Anja Harteros: Für mich sind die besonderen Herausforderungen die Ensembles, die instrumental geschrieben sind und einen technisch fordern. Dass das Instrumentale, das zur Rollengestaltung hinzu kommt, ausgeführt wird. Das gibt es zum Beispiel auch ein wenig in den Ensembles bei Falstaff. Da ist es manchmal schwierig, einen Ausdruck reinzubringen, wenn man sich konzentrieren muss. Dass man im Rhythmus singt, auch die Töne trifft und dabei das Ensemble nicht auseinanderfallen lässt. Es gibt somit viele Stellen, wo man beschäftigt ist - was jedoch nicht besonders auffällt. Diesbezüglich ist es vielleicht ein bisschen undankbar. Aber andererseits hat Amelia natürlich diese zwei wunderschönen Arien, diese tollen Duette und Terzette. Erstaunlicherweise sind die Ensembles relativ hoch gehalten und die Arien relativ tief, insbesondere die zweite. Es erfordert schon einiges von der Stimmkapazität, die man dafür haben muss.
Das Gespräch führte für BR-KLASSIK Dorothea Hußlein.