Sie hatte dieselbe Amme wie Luciano Pavarotti – so musste aus der jungen Mirella einfach eine Sängerin werden. Mit zehn Jahren hat das italienische Mädchen dem damaligen Tenorstar Benjamino Gigli vorgesungen und dabei ganz nebenher einen Wettbewerb gewonnen. Was folgte, war eine beeindruckende internationale Karriere auf den großen Opernbühnen weltweit, bei gleichzeitiger maximaler Bescheidenheit und Natürlichkeit. Mirella Freni – ein Phänomen. Am 27. Februar wäre die Anfang des Monats verstorbene Sängerin 85 Jahre alt geworden.
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Sie sei immer ein lyrischer Sopran gewesen, sei als solcher geboren, werde wohl als solcher sterben, erklärt Mirella Freni und lüftet damit ein Geheimnis ihrer langen, makellosen Karriere. 50 Jahre stand die Italienerin aus Modena auf der Opernbühne. Mit zwanzig zum ersten Mal, im Teatro Communale ihrer Heimatstadt, als Micaela in Bizets "Carmen". 2005 zum letzten Mal: Ihren frenetisch umjubelten Abschied von der Bühne feierte Mirella Freni in der National Opera von Washington als Siebzigjährige in der Rolle der jugendlichen Ioanna in Tschaikowskys "Jungfrau von Orléans".
Gianni Raimondi und Mirella Freni in "La Bohème" an der Mailänder Scala 1965 | Bildquelle: picture alliance/Everett Collection Sie liebe alle ihre Rollen, weil sie deren Emotionen liebe, und weil sie das Singen an sich liebe, erklärt Mirella Freni das nächste Geheimnis ihrer über Jahrzehnte gesund und frisch gebliebenen Sopranstimme. Neben Disziplin und steter Arbeit an der Gesangstechnik hat sich die kleine Italienerin immer einen sehr intuitiven Zugang zu ihren Figuren und zum Opernbetrieb an sich bewahrt. Sie hat das gesungen, was ihr und ihrer Stimme plausibel erschien: die Mimì, die Liù, Mozarts Susanna, Donizettis Adina. Wurde es dramatischer, ließ sie die Finger entweder ganz davon oder wich von der Bühne ins Studio aus: Dort sang sie die Aida, die Butterfly, die Tosca.
Anders als Maria Callas oder berühmte Kolleginnen stand die Privatperson Mirella Freni nie im Fokus der Öffentlichkeit. Und dennoch liebte die westliche Musikwelt die italienische Sopranistin nicht weniger – immer wieder und allen voran in ihrer Paraderolle der Mimì aus Puccinis "La Bohème", der sie sängerisch mit ihrer Unschuld und Bescheidenheit, ihrer Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit in Stimme und Darstellung alles gab, was wir heute bei dieser Figur für selbstverständlich halten.
Die Fakten sind schnell erzählt: Lieblingssopranistin von Herbert von Karajan, daheim an der MET, in Salzburg, in London und in 30 aufeinanderfolgenden Spielzeiten an der Mailänder Scala. Auf eine Art war sich Mirella Freni immer selbst genug. Aufnahmen von anderen Sopran-Kolleginnen hörte sie sich nicht an – nicht aus Furcht, sondern um für sich selbst zu einem überzeugenden künstlerischen Ergebnis zu gelangen. Wem sie in der zweiten Hälfte ihrer ungetrübten Karriere dennoch viel verdankte – das russische Repertoire und vor allem Tschaikowsky –, war ihr zweiter Ehemann, der bulgarische Bassist Nikolaj Ghiaurov. Gemeinsam haben sich beide auch sehr um Ausbildung und Nachwuchsarbeit bemüht und dabei sicherlich eine von Frenis wichtigsten Lebensweisheiten weitergegeben: Sei immer du selbst und arbeite an deinen Talenten.
Am 9. Februar 2020 ist Mirella Freni im Alter von 84 Jahren in ihrer Geburtsstadt Modena verstorben.
Sendung: "Allegro" am 27. Februar 2020 ab 6.05 Uhr auf BR-Klassik