Opernfestspiele München
28. Juni bis 31. Juli 2024
Hass, Verfolgung und religiöser Fanatismus - Fromental Halévys Oper "La Juive" schreit geradezu nach großem Bühnenspektakel. Überraschend anders inszenierte Calixto Bieito das lang vergessene Werk jetzt an der Bayerischen Staatsoper.
Bildquelle: Wilfried Hösl
"La Juive" an der Bayerischen Staatsoper
Premierenkritik von Bernhard Neuhoff
Ja, diese lange vergessene Oper gehört endlich wieder auf die Bühne: eine dunkle Geschichte über selbstlose Liebe und religiösen Fanatismus, die unter die Haut geht, dazu inspirierte Musik mit dramatischem Zug. Es gibt Textstellen in "La Juive", die lassen einem das Blut gefrieren. Etwa, wenn das Volk von Konstanz, aufgeputscht vom Hass auf die Juden, lautstark fordert, Rachel und ihren Vater Eléazar im Bodensee zu ertränken – und den Namen der jüdischen Rasse auszulöschen. Düstere Prophetie. Die Nazis hatten "La Juive" verboten. Fromental Halévy und sein Textdichter Eugène Scribe prangern unmissverständlich die mittelalterliche Judenverfolgung an – und lassen wenig Hoffnung. Rachel, die bis zum Schluss dem jüdischen Glauben treu bleibt, ohne zu wissen, dass sie als Christin geboren wurde, ist die einzige Figur, die den Hass überwindet. Sie wird auf offener Bühne zum Scheiterhaufen geführt.
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Grand Opéra – das bedeutet Spektakel, Breitwandformat, Historienschinken. Regisseur Calixto Bieito, eigentlich ein ausgewiesener Fachmann für bildmächtiges Theatergrauen, gibt sich überraschend zahm. Die Bühne wird von einer übermächtigen, rohen Betonmauer dominiert, die sich bedrohlich nach vorn schiebt. Der Chor formiert sich ebenfalls zur menschlichen Mauer. Alle Figuren tragen schwarze Abendgarderobe, nur Rachel steckt im leuchtend grünen Kleid. Bieito, sonst gern freigiebig im Einsatz von Theaterblut, setzt diesmal ganz auf Reduktion und Stilisierung. Einige wenige Szenen gelingen stark, etwa wenn Rachel und ihre Rivalin Eudoxie versuchen, sich trotz der riesigen Betonmauer einander anzunähern. Etwas desorientiert steht Bieito der religiösen Bilderwelt gegenüber. Da gibt es ein grausames Taufritual mit weißen Badewannen, das jüdische Pessachfest erinnert eher an den katholischen Aschermittwoch, und warum Kardinal Brogni dem Juden Eléazar im Kerker die Füße wäscht wie Jesus an Gründonnerstag den Jüngern, obwohl er ihn doch in der nächsten Szene auf den Scheiterhaufen schickt, will auch nicht recht einleuchten. Ok, man soll das vermutlich als Zeichen der Hoffnung verstehen, schließlich steckt in der christlichen Botschaft ja eigentlich ein Appell zur Versöhnung. Geschenkt. Irgendwie bleibt das Szenische matt an diesem Abend.
Musikalisch dagegen hat er Festspielniveau. Dirigent Bertrand de Billy steuert Chor und Staatsorchester mit Esprit und packender Emphase. John Osborn als Léopold verströmt angenehmen tenoralen Wohllaut. Auf sein wuchtiges Stimmmaterial verlässt sich Ain Anger als eindrucksvoll im Bassregister orgelnder Kardinal de Brogni. Vera Lotte Böcker singt mit gleißendem Sopran, höhen- und koloraturensicher die Prinzessin Eudoxie. An seine Grenzen stößt dagegen Roberto Alagna als Eléazar: Im Piano hat sein metallischer Tenor wenig Präsenz, also powert er den ganzen Abend über, was ihn am Schluss hörbar anstrengt. Umso überzeugender gestaltet Alagnas Frau, die polnische Sopranistin Aleksandra Kurzak: Mit großartiger Intensität singt sie die Rachel – eine Darstellerin, die den Mut hat, sich ganz dem dramatischen Augenblick auszuliefern, und damit tief berührt.
Regie: Calixto Bieito
Musikalische Leitung: Bertrand de Billy
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