Während die Bayreuther Festspiele in diesem Jahr technisch sogar mit "Augmented Reality" experimentieren, gibt es eines dort nicht: Übertitel, so wie sie in den meisten Opernhäusern der Welt längst üblich sind. Wäre es nicht an der Zeit, in Bayreuth nachzujustieren? Was dafür spricht, und was dagegen.
Bildquelle: ©Markus Konvalin/Montage BR
Zwei Abende habe ich im Festspielhaus verbracht, Reihe 24 und 28. Abzüglich der Pausen waren es etwa achteinhalb Stunden Wagner-Oper, in denen ich liebend gern gewusst hätte, was genau da eigentlich gerade gesungen wird. Warum – bitte sehr – verzichtet das Festspielhaus auf Übertitel? Technisch wäre das wohl kein Problem – Augmented Reality geht schließlich auch.
Technisch gesehen wären Übertitel bei den Inszenierungen im Bayreuther Festspielhaus kein Problem. | Bildquelle: © Enrico Nawrath Und bevor Sie jetzt Luft holen, um zu widersprechen: Doch, ich habe mich vorbereitet, kannte die Handlung und habe im Libretto geblättert, es aber, das muss ich zugeben, nicht auswendig gelernt. Vermutlich kennen viele im Publikum die Wagnerschen Operntexte sehr genau, lieben diese doch eher eigenwilligen Sprachschöpfungen und vermissen gar nichts. Ebenso vielen ergeht es allerdings vermutlich wie mir – verloren in den Klangwelten von Parsifal oder Götterdämmerung.
Mit Übertiteln würden sich Verständnis-Lücken zwischen Orchester, Gesang und Inszenierung schließen.
Dirigentin Nathalie Stutzmann sagte im BR-KLASSIK-Interview, bei Wagner gehe es gar nicht in erster Linie um den Gesang. Man könne die Musik ganz ohne Sänger aufführen und würde doch spüren, was Wagner will – alles stecke im Orchesterpart. Das ist sicher richtig, aber: Richard Wagner selber war stolz auf seine Texte – sah darin sogar "ein poetisches Literaturprodukt", rezitierte den "Ring" vor geladenen Gästen und veröffentlichte das "Gedicht" sogar als Druck. Was also spricht dagegen, wirklich allen, die nach Bayreuth kommen, ein umfassendes Wagner-Gesamterlebnis zu ermöglichen? Mit Übertiteln, wie in allen Opernhäusern dieser Welt längst üblich? Wer die Texte nicht braucht – chapeau! Für alle anderen aber würden sich Verständnis-Lücken zwischen Orchester, Gesang und Inszenierung schließen. Richard Wagner würde das vermutlich freuen.
Kristina Thiele
Es ist so unglaublich schön, im dunklen Bayreuther Festspielhaus zu sitzen, den Blick durch das ungeheuer tief gestaffelte Proszenium auf die verblüffend klein wirkende Bühne geleitet. Sich auf das zu konzentrieren, was auf dieser Bühne geschieht. Nicht abgelenkt zu werden durch das Geschehen im Orchestergraben, vor allem aber nicht durch das Textgeflimmer über dem Bühnenportal, wie es sonst fast überall üblich ist. Denn man guckt ja doch hin, liest mit und lässt sich ablenken. Das Publikum hört und sieht nicht mehr, es liest.
Wagners dicht gearbeitetes Libretto zu "Tristan und Isolde" ist nicht gleich beim ersten Lesen verständlich. Da hilft oft nur der Opernführer. | Bildquelle: © Enrico Nawrath Regelmäßig wird in den einschlägigen Komödien nicht gelacht, wenn der Witz in der Partitur vorkommt, sondern wenn er über der Bühne nachgelesen wird. Na gut, falsch plazierte Witze sind in "Parsifal" und "Tristan" nicht das Hauptproblem, die Phasenverschiebung der Aufmerksamkeit hingegen schon. Übertitel gaukeln ein Verständnis vor, das sich mit der Oberflächenhandlung zufrieden gibt. Das ist schon mal was, aber es geht einfach kein Weg drumrum: Man muss sich auf Wagners Musikdramen vorbereiten, wenn man auch nur ansatzweise verstehen will, worum es geht. Der Text von "Tristan und Isolde" zum Beispiel ist ungeheuer kunstvoll und dicht gearbeitet, für mich das mit weitem Abstand beste deutsche Opernlibretto. Aber "Des Schweigens Herrin heißt mich schweigen, fass ich, was sie verschwieg, verschweig ich, was sie nicht fasst", wird im ersten Anlauf auch nicht verständlicher, wenn man mitliest. Da hilft nur der Opernführer oder gründliche Librettolektüre.
Textgeflimmer über dem Bühnenportal lenkt ab.
Klingt jetzt vielleicht elitär, ist es aber nicht. Denn selbstverständlich steht es jedem frei, auch unvorbereitet zu den Bayreuther Festspielen zu gehen. Das wirklich Schöne an der Oper ist nämlich, dass man Handlung und emotionalen Gehalt auch dann versteht, wenn man sich dem Sog gänzlich unbeleckt hingibt. Noch bietet das Bayreuther Festspielhaus dafür die richtige Bühne ohne störendes Übertitelgeflimmer. Es wirkt auf herrliche Weise aus der Zeit gefallen, dass das Publikum hier nicht jede Silbe mitlesen muss, sondern im Überwältigungsstrom versinken darf, wie der Meister es wünschte: "Unbewusst, höchste Lust."
Uwe Friedrich
Kommentare (22)
Sonntag, 13.August, 18:41 Uhr
Helmut Renner, demnächst 80!
Übertitel in Bayreuth, allg. in der Oper
@ uwe friedrich: volle zustimmung! meine erfahrung: mailänder scala , 'la traviata', am schluß ist mir bewußt geworden: ich habe vom bühnengeschehen so gut wie nichts mitbekommen, weil ich nur auf den in der sitzinstallation vor mir eingeblendeten, deutschen text gestarrt habe... ! also: meine erkenntnis vom ersten opernbesuch vor jahrzehnten: vorher inhalt studieren und inkauf nehmen, nicht jedes wort, gesungen oder gesprochen, zu verstehen!
Sonntag, 13.August, 16:29 Uhr
Gabi R. aus München
Übertitel ja bitte und Türen abschließen ein No Go
Da man den Texten nur schwer folgen kann, je nach Klarheit des Gesangs der Sänger, wäre es für den Zuschauer mit Texteinblendingen viel entspannter.
Und gar nicht in Ordnung ist das Türenabschliessen während der Vorstellung. Selbst wenn der Schlüssel steckt kann der bei einem Panikausbruch rausfallen. Und dann? Ist das von der Feuerwehr genehmigt?
Samstag, 12.August, 01:02 Uhr
Weiser Häuptling
Übertitel
Gerade bei langen Erzählungen wie etwa der Wotans im zweiten Aufzug der Walküre wäre es viel leichter, bei der Sache zu bleiben, wenn man jedes einzelne Wort verstünde. Das gelingt mir aber praktisch nie ganz, und bei Tomas Konieczny in der vergangenen Woche überhaupt nicht. Jedenfalls ich verliere dann die Aufmerksamkeit (bin aber wohl nicht der einzige). Übertitel würden die Konzentration fördern und gerade nicht ablenken. Man müsste den Text schon auswendig können, um mitzubekommen, wie das Orchester den Text kommentiert. Die Kenntnis der Handlung genügt dafür nicht. Die Übertitel passen andererseits nicht in die mystische Atmosphäre im Festspielhaus. Mit einigen Kommentaren vor mir wären Datenbrillen mein Wunsch, bei denen jeder selbst entscheiden kann, was sein Erleben intensiviert und bei welchen Stellen man es nutzt. Auch verschiedene Sprachen sollten dann möglich sein. Ob das technisch und finanziell machbar ist?
Donnerstag, 10.August, 09:29 Uhr
Dorfrichter Adam
Auch nein!
Jetzt nochmals ohne Ironie:
1. Ich stelle mir gerade vor, wie es bei einer Videoeinspielung (was per se nicht schlecht sein muss - siehe Tannhäuser) mit Übertiteln zur Reizüberflutung kommt.
2. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich bei Übertiteln immer wieder zwanghaft auf diese schauen muss und abgelenkt werde, und das ist in Bayreuth - zu Recht - nicht im Sinne des Erfinders.
3. Es ist - worauf die Vorredner hingewiesen haben - heute technisch möglich, auch ohne Übertitel den Text mitzulesen. Bei der Komischen Oper in Berlin wird dies praktiziert, und so konnte ich mich bei dem dortigen unterirdischen Holländer wenigstens an der türkischen Übersetzung erfreuen.
Also eindeutig nein, nein und nochmals nein!
Donnerstag, 10.August, 09:20 Uhr
TFF
Übertitel - welche Sprachen bitte?
Mal abgesehen davon, dass nichts (!) vom Bühnengeschehen ablenken soll und das hervorragend effektvoll gelingt und klingt vergessen die Autoren dabei: Das Publikum ist international! Übertitel müssten auf französisch/ englisch/ italienisch/ japanisch/ chinesisch/ arabisch/ türkisch/ slowenisch usw. angeboten werden.
Der nächste bizarre Vorschlag wäre: Den Orchesterdeckel vielleicht aus Plexiglas damit man mal mal das Orchester sieht - merkste selber…
Mittwoch, 09.August, 17:32 Uhr
Elisabeth Steffani-Grasberger
Uebertitel
Nein!!!!!!!!!
Mittwoch, 09.August, 14:17 Uhr
Thomas Linkel
Übertitel im Festspielhaus auf keinen Fall!
Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass diese Diskussion jetzt auch in Bayreuth beginnt! Wer zu faul ist sich gut vorzubereiten der sollte eben lieber ins Kino gehen.
Außerdem missachtet er die Intension des Komponisten, welche zu seiner Zeit revolutionär war, das NICHTS vom Geschehen auf der Bühne ablenken soll. Jeder Zuschauer würde damit der Möglichkeit beraubt, sich bei einer guten Inszenierung, hineinziehen zu lassen und Raum und Zeit zu vergessen.
Also, Finger weg von Texteinblendungen!
Mittwoch, 09.August, 13:15 Uhr
Phil
Übertitel ja
Ich kenne etwa 20 Prozent des Texts denWotan zu singen hat. Verstanden hab ich etwa 7Prozent. Da frag ich mich wie das bei all den Leuten um mich rum aussieht. Da spielt es offensichtlich keine Rolle wenn man nichts versteht. Bei Hunding und Hagen und auch Brünnhilde hat man fast alles verstanden
Mittwoch, 09.August, 11:24 Uhr
Uwe Lotzgeselle
Bayreuth / friedliches Miteinander
Warum diese Streitfrage mit „pro“ und „contra“? Warum kein Mittelweg? Fest steht: Ohne das Lesen des Textbuches, hat man nicht den vollen Genuss - gerade beim Tristan. Den Text kann man nicht einfach so bei der Vorstellung nebenbei mitlesen und ihn ganz verstehen. Das bedeutet aber nicht, dass nur noch die Besucher ins Festspielhaus gelassen werden, die den kompletten Text auswendig aufsagen können, und die anderen müssen draußen bleiben. Auch der, dem eine kurze Inhaltsangabe als Vorbereitung reicht, soll sich im Festspielhaus willkommen fühlen, und für den sind eingeblendete Texte hilfreich. Mein Vorschlag: Statt mit den AR-Brillen überflüssige, schwebende Gegenstände einzublenden, sollte man für die, die es wünschen, die Möglichkeit schaffen, den Text mittels AR-Brille mitzulesen – gern auch mit der eigenen mitgebrachten AR-Brille und in verschiedenen Sprachen. Die anderen genießen das Bühnenbild ohne störende Textprojektionen.
Mittwoch, 09.August, 10:08 Uhr
Hoffmann eric
Übertitel - ja bitte
Auch wenn ich mit Wagner aufgewachsen bin und tatsächlich viele Passagen auswendig kenne befürworte ich klar Übertitel. Dies erhöht die Verständlichkeit der Handlung und ist auch wichtig um die Musik besser zu verstehen.
Alle Welt weiß wie schwierig es ist gerade auch ein jüngeres Publikum für die Oper zu gewinnen. Hier ist eine einfache Möglichkeit um das Publikum abzuholen und einen weiteren „Graben“ zu überbrücken.
Mittwoch, 09.August, 10:01 Uhr
Freya
Bringt doch auch nix
jaaaa gut. Also in den Sitzen der Vorderreihe is das in Bayreuth blöd, weil die sich ungefähr einen halben Meter tiefer befinden, wäre der Titel über dem Proszenium würde das in der ersten Reihe bedeuten, dass man 20 Meter nach oben schauen muss... Daran solls nicht scheitern. Aber mal im Ernst: als ob die Leute in allen anderen Häusern kapieren, worum es im Parsifal geht, nur weil da Texte zu lesen sind... Das löst das Problem und Mysterium Wagner halt auch nicht.
Aber für alle die es wollen: da könnte man doch dann wieder die AR Brillen nutzen, nech?
Mittwoch, 09.August, 09:16 Uhr
Dr. Michael Strobel
Artikulation
Frühere Generationen von Opernsängern artikulierten so wortdeutlich, dass man buchstäblich jedes Wort verstand. Ich denke da an Gottlob Frick, Franz Mazura oder Sir John Tomlinson. Ähnliches galt für Schauspieler. Und die Opernfreunde bereiteten sich vor und kannten die Texte. In einer Zeit zunehmender geistiger Verflachung und Verblödung kann man das nicht mehr erwarten. Im letzten Münchner Tristan waren die Sänger mehrfach ihren Übertiteln weit voraus. Was soll ich sagen?
Dienstag, 08.August, 19:01 Uhr
Ein Wagnerianer
Übertitel
Die Verwendung von Übertitel in Bayreuth ist eine gute Idee, vor allem wenn das Management dort ein breiteres und jüngeres Publikum erreichen will. Dies würde die Oper weitaus zugänglicher machen als einige der jüngsten Gimmicks (z. B. Augmented-Reality-Brillen). Selbst für jemanden, der die deutsche Sprache sowie das Libretto und die Handlung gut kennt, ist Wagners Kompositionsweiße manchmal sehr schwer zu verstehen. Ich bin sicher, dass Wagner sich wünschen würde, dass seine Texte verstanden werden.
Dienstag, 08.August, 18:52 Uhr
Stefan W.
O.g. Beitrag Übertitel
UNBEDINGT:
ÜBERTITEL
NEUE HOLZBESTUHLUNG /Zumutung
KLIMA-ANLAGE
Dienstag, 08.August, 16:41 Uhr
Stalder Kaspar
Übertitel Ja!!!!
Dienstag, 08.August, 15:23 Uhr
Ulrich Harbott
Übertitel im Festspielhaus
AUF KEINEN FALL.
Passt optisch nicht ins Haus.
Und wenigstens dort sollten sich Besucher auf das Werk vorbereiten.
Man muss ja nicht alle Texte im Kopf haben und mitsingen können (wie ich und viele andere Opernfans), aber den Inhalt sollte man schon kennen.
Dienstag, 08.August, 15:16 Uhr
Joachim Neuerburg
Übertitel Wagner Opern in Bayreuth
Bin absolut ebenfalls der Meinung, dass die ausgezeichneten Texte durch Übertitelung besser verstanden würden. Frage mich, warum andere Ablenkungsmanöver offensichtlich wichtiger erscheinen als das Verständnis des Librettos. Ich würde mich freuen, wenn das eines Tages geändert würde. Andernfalls höre ich mir Wagner Opern fast lieber in anderen Opernhäusern an.
Dienstag, 08.August, 15:05 Uhr
Gufo
Übertitel
Wo ist das Problem ?Macht es wie einige italienische Opernhäuser.Dort sind kleine Bildschirme an der Rückseite des Sitzes vor einem angebracht, die niemanden stören und die doch das Mitlesen, so man es will, ermöglichen.Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Dienstag, 08.August, 14:41 Uhr
Susi
Übertitel
Gerade weil der Text so schön ist, man ihn aber doch nicht auswendig kann, wären Übertitel angenehm.
Ich verstehe aber auch, dass manche lieber nicht durch Leuchtbuchstaben abgelenkt werden möchten. Vielleicht mal so, mal so?
Für mich wäre sowieso etwas anderes vordringlich, nämlich ein gut verständliches und ausreichend beleuchtetes Bühnenbild, in dem sich die Sänger logisch und gut sichtbar bewegen.
Andererseits kann man in Bayreuth einfach die Augen schließen und die überirdische Akustik genießen...
Dienstag, 08.August, 13:43 Uhr
Gabi Brenner
übertitel
oper als gesamtkunstwerk braucht textverständnis.
Bei der aktuellen Tristan Inszenierung habe ich übermittelt sehr vermisst.
Dienstag, 08.August, 13:41 Uhr
Dorfrichter Adam
Übertitel
Kompromissvorschlag: Übertitel ja, aber bitte in einer drolligen Sprache. Ich schlage Dänisch vor.
Dienstag, 08.August, 12:43 Uhr
Singer
Übertitel
Ich stimme Uwe Friedrich absolut zu. Übertitel lenken ab! Das wollte Wagner sicherlich nicht. Es ist schon Ablenkung, wenn während der Overtüren Aktion auf der Bühne ist. Vorhang zu und Musik genießen!!!