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Seminar für blinde Chorleiter Mit den Ohren sehen

Noten lesen können Blinde mit den Händen. Doch zum Dirigieren braucht es etwas mehr. In einem Seminar in der Nähe von Augsburg lernten blinde Chorleiter nun, wie sie mit den richtigen Bewegungen Sänger leiten können.

Bildquelle: imago/epd

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Ein Ensemble und kein gewöhnlicher Chor - zwölf der neunzehn Musiker lesen die Noten nicht mit den Augen, sondern mit den Händen, da sie blind sind. Und sie sind professionelle Musiker, als Lehrer oder im Kirchendienst tätig. Das heißt, sie müssen im ihrem Berufsleben sehenden Menschen, die in einem Chor sind, einiges beibringen, sie anleiten. Diese nicht alltägliche Fertigkeit üben sie beim Seminar für blinde Chorleiter.

Tandem fahren

Matthias Hanke übt mit Teilnehmern Schlagtechnik | Bildquelle: © Christiane Neukirch Matthias Hanke übt mit Teilnehmern Schlagtechnik. | Bildquelle: © Christiane Neukirch Matthias Hanke ist Landeskirchenmusikdirektor von Württemberg und leitet das Seminar. Um den blinden und sehbehinderten Seminarteilnehmern etwas anschaulich zu machen, mimt er beispielsweise den Fluglotsen: "Eins, zwei, drei, jetzt berühr' ich die Hand, und jetzt lass' ich eine leichte Sinkflugbewegung von 2.00 Uhr zum Zentrum der Uhr. Das ist so wie ein Flugzeug, das landet. Das kommt so leicht von oben aus den Wolken 'raus und landet jetzt. Und dann hab' ich die Hand vor dem Körper." Hanke hat Erfahrung mit nicht-sehenden Musikern: Sechs Jahre lang war er Musikpädagoge an der Bayerischen Landesschule für Blinde in München; seitdem ist er als Referent für die Seminare des DVBS gefragt. Weil sich die blinden Chorleiter nicht im Spiegel kontrollieren können, hilft er ihnen mit maßgeschneiderten Methoden, ein Gespür für die Schlagtechnik zu entwickeln, indem man im Dirigat führt. "Man fährt Tandem sozusagen, dass man der blinden Dirigentin, dem Dirigenten gegenübersteht und deren Hand führt", meint Hanke.

Gesten spiegeln

Eine weitere Möglichkeit, Rückmeldung zu geben ist, die Gesten zu spiegeln. Dabei bekommen die Blinden "Bilder", die es ihnen ermöglichen, eigene Bewegungen einschätzen zu lernen, ein Feedback für die Bewegungen zu bekommen. Das sind Bilder die sich etablieren oder die Hanke spontan einfallen, um Wege zu weisen. Es soll das Gespür dafür wachsen, wie die Bewegungen aussehen und wirken. Das kann auch mal lustig sein und die Teilnehmer zum Lachen bringen.

Bilder für Blinde?

Matthias Hanke mit Kursteilnehmerin Sofie Lex | Bildquelle: © Christiane Neukirch Matthias Hanke mit Kursteilnehmerin Sofie Lex | Bildquelle: © Christiane Neukirch Sind Bilder für Blinde ein Wiederspruch? Kursteilnehmerin Sofie Lex erklärt, dass Bilder nicht nur Dinge sind, die man sieht, sondern auch Dinge, die man fühlt, auch atmosphärisch. "Mir helfen sehr stark Formen. Eine Form kann ich in die Hand nehmen, die kann ich einschätzen: das fühlt sich an wie ein 'U' oder wie ein 'V' oder die Dirigierbewegung hat einen Bauch unten. Sowas kann man sich vorstellen."
Eine Anleitung des Seminarleiters Matthias Hanke: "Das sind quasi senkrechte Fallbewegungen in verschiedener Höhe, aber die werden sozusagen in einem Kreis in Schwung gehalten. Also, man fächert sich quasi Luft zum Gesicht zu."

Harte Arbeit und Vergnügen

Die Kurse sind harte Arbeit: Jede Minute wird hochkonzentriert genutzt, vier Tage lang von 8.30 Uhr bis 22.00 Uhr. Doch die meisten kommen immer wieder: nicht zuletzt zum Austausch mit den Kollegen, zur Erweiterung des Repertoires - und zum Vergnügen. Nach Ende des offiziellen Tagesprogramms ist keinesfalls Schluss: Der gesangsintensivste Teil beginnt erst jetzt, im Bierstüberl.

Info zu den DVBS-Seminaren

Die Fachgruppe Musik des DVBS (Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V.) bietet rund alle drei Jahre eine fundierte Fortbildungsveranstaltung an, die sich besonders an Blinde und Sehbehinderte wendet, die (semi-)professionell Chöre leiten. Hier gibt es weitere Infos zu den DVBS-Seminaren:
dvbs-online.de

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