Seit Beginn der Saison 2016/2017 ist Howard Arman Künstlerischer Leiter beim Chor des Bayerischen Rundfunks. Am 15. Oktober dirigierte er das erste Abo-Konzert seiner Amtszeit. Im Interview mit BR-KLASSIK verrät er unter anderem, warum ihn heutige Konzerte manchmal an Restaurantbesuche erinnern.
Bildquelle: BR / Astrid Ackermann
Zu Gast im Studio:
Howard Arman und seine Lieblingsmusik
BR-KLASSIK: Herr Arman, worauf freuen Sie sich am meisten in Ihrer Arbeit mit dem BR-Chor?
Howard Arman: Das ist eine phantastische Aufgabe für mich! Dieser Chor gehört, das ist kein Geheimnis, zu den besten weltweit. Und deshalb kann man sich auf ein vielfältiges Programm freuen, in dem ganz unterschiedliche Genres und Stile abgebildet werden können - auf einem phantastischen Niveau. Es ist diese schöpferische Vielfalt, auf die ich mich am meisten freue.
BR-KLASSIK: Die Vielfalt spiegelt sich auch in Ihrem persönlichen Musikgeschmack wieder. Sie lieben Alte und Neue Musik, aber auch ganz besonders den Jazz.
Howard Arman: Ich bin eigentlich aus der Art geschlagen. Mein Vater war Jazzmusiker, mein Sohn John ist es ebenfalls. Wobei beide auch in klassischen Orchestern gespielt haben. John ist Gitarrist und hat verschiedene Ensembles, für die er auch komponiert. Dieses Jazzmilieu erinnert mich an meine Kindheit. Mein Sohn hat auch ein paar Mal mit meinem Vater musiziert. Das ist für ihn, glaube ich, eine sehr schöne Erinnerung.
BR-KLASSIK: Wie kam es, dass Sie "aus der Art geschlagen" und Dirigent geworden sind?
Howard Arman: Die Klassische Musik war in meiner Familie immer präsent. Es gehörte einfach dazu, im Oratorienchor zu singen. Für mich war der entscheidende Impuls, dass ich Chorknabe war. Man spürt beim Singen so viel von den eigenen Emotionen, das vergisst man nie. Da war es für mich ein relativ kleiner Schritt zum Komponieren. Wenn man die Dinge selber macht, kann man sie auseinandernehmen und auf eigene Art wieder zusammenstellen. Komponieren wurde zu einem ganz natürlichen Vorgang für mich.
BR-KLASSIK: War Ihr Vater ein Vorbild?
Howard Arman: Nicht auf diese Art, nein. Es war kein leichtes Musizierverhältnis mit meinem Vater. Da gab es auf beiden Seiten eine Blockade. Es kann eben nicht jeder Vater mit seinem Sohn Musik machen. Vielleicht war das mit ein Grund, dass für mich ein Ausbruch kommen musste, dass ich meinen eigenen Weg suchen musste. Das habe ich dann auch sehr autonom gemacht. Ich hatte das Glück, mit 13, 14 Jahren ein Stipendium an der Hochschule in London zu bekommen. Dort am Trinity College spielte Improvisation eine große Rolle. Improvisieren und Komponieren waren sehr eng miteinander verknüpft.
BR-KLASSIK: So ist es ja nicht nur im Jazz. Auch Barockkomponisten waren Improvisatoren.
Howard Arman: Genau das war damals die Philosophie: Ein Kind lernt zuerst sprechen und dann schreiben - nicht umgekehrt.
BR-KLASSIK: Als Chorleiter sollte man möglichst viel vom Singen verstehen. Hatten Sie auch professionellen Gesangsunterricht?
Howard Arman: Ich habe viel als Pianist gearbeitet und wurde als Begleiter engagiert. Da bin ich mit großartigen Gesangspädagogen zusammengekommen. Zu sehen, was die Kollegen in ihrem Coaching lernen, war extrem wertvoll für mich. So konnte ich im Rundfunkchor in London singen, ohne selbst eine Gesangstunde gehabt zu haben. Ich weiß nicht, ob ich mich schäme oder ob ich stolz darauf bin. Ich habe auch Oper und Oratorien gesungen. Als Klavierbegleiter habe ich natürlich auch viele Gesangsstunden miterlebt, bei denen ich froh war, dass ich nicht selbst der Student war. Manchmal ist das nicht nur ein Nachteil… (lacht) Aber mein Können als Sänger war natürlich begrenzt. Ich selbst habe mehr davon gehabt als die Hörer. Jedenfalls konnte ich erleben, wie es ist, auf einer Bühne zu stehen, ein Solist zu sein und im Rundfunkchor zu singen. Das sind Erfahrungen, die extrem wichtig sind, wenn man als Dirigent auf der anderen Seite steht.
BR-KLASSIK: Herr Arman, welche Aufgabe hat eine Institution wie der Chor des Bayerischen Rundfunks?
Howard Arman: Wir leben in einer Zeit leben, in der das Publikum in nie gewesenem Ausmaß musizieren lässt und nicht selbst musiziert. Man konsumiert, als wenn man ins Restaurant ginge und für sich kochen ließe. Das ist auf der einen Seite eine sehr schöne Situation, weil aus diesem Bedürfnis das moderne Konzertleben gewachsen ist. Auf der anderen Seite vermissen sehr viele Leute zu ihrem Nachteil die unmittelbare Verbindung zur Musik als Teil des eigenen Lebens. Als würde man sagen, ich lasse andere für mich atmen.
Daraus ist eine zweischneidige Situation gewachsen. Großartige Künstler hören zu wollen, das ist wie in den Zirkus gehen. Man hört jemanden, der Unfassbares leistet. Das hat natürlich eine noble Geschichte, das wurzelt im Virtuosentum der Romantik. Aber wir wollen mit unserer Arbeit nicht nur diese Form der Musik bedienen, sondern auch den Gedanken verfolgen, dass der Hörer im Konzert aktiv beteiligt ist, nicht nur als Betrachter oder als Konsument. Die menschliche Stimme kann da vielleicht am meisten bewirken. Weil es einen Text gibt, weil wir alle eine Stimme haben. Das ist dann ein sehr aufregendes Zwiegespräch mit dem Publikum. Der BR-Chor hat schon tolle Aktionen mit dem Publikum gemacht, ich denke an die cOHRrwürmer …
BR-KLASSIK: …das große Mitsingkonzert im Cirkus-Krone-Bau in München, das Sie ja schon einmal geleitet haben.
Howard Arman: Genau. Aber man kann auch über die Art, wie man Konzerte programmiert und präsentiert, einen engen Kontakt zum Publikum schaffen. Ich denke an die Einführungsveranstaltungen, aber auch an das Radio. Das ist mustergültig, wie man durch ein Programm wie BR-Klassik Kontexte schaffen kann.
BR-KLASSIK: Sie haben Ihre erste Saison unter das Motto "Krieg und Frieden" gestellt. So ist auch das erste Konzertprogramm überschrieben. Das ist ja tatsächlich ein Thema, das uns ganz unmittelbar betrifft.
Howard Arman: Man geht aus verschiedenen Gründen ins Konzert. Man will unterhalten werden, man will informiert werden, man will vielleicht getröstet oder abgelenkt werden. Das sind alles sehr wichtige Ansätze. Aber wir gehen auch ins Konzert, um Sachen zu erleben, die für uns sonst nicht zugänglich sind. Dazu gehört auch, sich seinen eigenen Gefühlen zu stellen, in einer sehr privaten und ehrlichen Weise. Wir wissen alle, Krieg ist schlecht, töten ist schlecht. Wir brauchen keine Musik, um uns das zu verstehen. Aber wenn wir das in der Zeitung lesen oder im Fernsehen sehen, dann ist das ein Bericht über Dritte. Wir beurteilen das als böse oder gerecht oder was auch immer. Wir alle haben Vorurteile in uns, Toleranzgrenzen, unsere Meinungen. Und die sind manchmal revisionsbedürftig.
Howard Arman beim cOHRwürmer-Konzert 2014 | Bildquelle: BR/Klaus Fleckenstein Wir müssen immer schauen, dass wir nicht festfahren in einer bestimmten Denkweise. Ich glaube, dabei kann uns die Musik sehr gut helfen. Weil sie nicht den intellektuellen Weg geht wie die Zeitung. Musik spricht zu unseren Gefühlen. Und wenn ich ein Programm zusammenstelle, in dem die Epoche, in der die Musik komponiert wurde, überhaupt keine Rolle spielt, weil es um ein Thema wie Krieg und Frieden geht, bin ich schon ein Stück befreiter. Ich wage mich auf Neuland vor. Da kann ich die Horizonte öffnen. Da muss ich schauen, wo ich stehe, ich positioniere mich in dieser neuen Umgebung. Das ist sehr wichtig heutzutage, wo Barrieren eher errichtet als beseitigt werden. Ich sage nur Brexit als Beispiel.
BR-KLASSIK: Wie geht's Ihnen damit?
Howard Arman: Ich schäme mich dafür. Alle haben Probleme mit übernationalen Konstruktionen. Aber wenn der Dialog ausgeschlossen wird und man sagt: nein, ich gehe weg und bin kein Teil mehr davon, dann wird’s nur schlechter. Das ist ein rein humaner Ansatz, das hat nichts mit irgendwelchen wirtschaftlichen Überlegungen zu tun. Wenn eine demokratische Einheit wie eine Familie funktionieren würde, dann würden Leute eigene Nachteil in Kauf nehmen zum Vorteil der gesamten Familie. Aber schon in einer Straße oder einem Stadtteil funktioniert das nicht mehr. Niemand würde abstimmen zum eigenen Nachteil. Das sind die Grenzen unserer Denkweise, mit denen wir uns täglich auseinandersetzen müssen.
BR-KLASSIK: Aber in einem musikalischen Ensemble sollte doch genau das passieren, oder? Und Sie als Künstlerischer Leiter müssen diesen familiären Geist erzeugen.
Howard Arman: Ja, das ist vielleicht auch das Wunder des Chorgesangs. Eigentlich dürfte es nicht möglich sein, dass 40 Menschen gleichzeitig etwas erleben und dieses an 1.000 Menschen kommunizieren, die all das auch gleichzeitig erleben. Aber es gibt da etwas Magisches, das wirklich passiert. Das ist etwas Wunderschönes, wenn man diesen gemeinsamen Geist spürt.
Die Fragen stellte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.
Samstag, 8. Oktober 2016, 11:05 Uhr
Meine Musik mit Howard Arman
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