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Album der Woche – András Schiff spielt Bach auf dem Clavichord

Selbst im Rentenalter ist er noch immer für eine Überraschung gut: Jahrzehntelang hat András Schiff sein breites Repertoire von Bach bis Bartók auf dem modernen Konzertflügel gespielt. Aber seit einigen Jahren liebäugelt ier immer wieder auch mit historischen Instrumenten. Erst spielte er Schubert und Beethoven auf einem Brodmann-Hammerklavier ein, dann, kürzlich, die Brahms-Klavierkonzerte auf einem historischen Blüthner-Flügel. Und jetzt überrascht er seine Fangemeinde mit einem neuen Bach-Album: Nicht auf dem Klavier, auch nicht auf dem Cembalo, sondern auf einem Clavichord.

Bildquelle: ECM New Series

Den CD-Tipp anhören

Es ist das Mauerblümchen unter den Tasteninstrumenten. Selbst in der Historischen Aufführungspraxis führt das Clavichord ein Schattendasein. Für einen Konzertsaal ist sein zittriges Stimmchen einfach zu leise, und auf einer CD geht einem das Klappern der Mechanik schnell auf die Nerven. Das Clavichord – ein Fall für Nerds. Im Barock dagegen war das Clavichord das Hausinstrument par excellence, weil es beim Spiel mehr Schattierungen ermöglichte als das Cembalo. Auch bei den Bachs stand es in der Stube, und – viele Musikliebhaber müssen jetzt ganz tapfer sein – der Thomaskantor schrieb sein Wohltemperiertes Klavier garantiert nicht für einen teuren Steinway, sondern wahrscheinlich: fürs Clavichord.

Kurz und bündig

Dieses Album hat gefehlt, weil …
… Bachs Musik heute viel zu selten auf dem Clavichord gespielt wird – obwohl es Bachs Lieblingsinstrument war

Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… hier künstlerische Wahrhaftigkeit und historische Wahrheit zusammenfallen: ein großer Pianist spielt Bachs Musik auf dem Instrument, für das sie konzipiert wurde

Dieses Album führt bei Überdosis zum …
… Wunsch, sich selbst ein Clavichord ins Wohnzimmer zu stellen.

Vor dem Frühstück ans Clavichord

Auch bei András Schiff steht seit einigen Jahren ein Clavichord zuhause. Jeden Morgen vor dem Frühstück setzt er sich davor und spielt Bach. Das Instrument, schreibt er im Booklet, habe sein „Leben bereichert“. Auf der CD hört man warum. Schiffs Clavichord klingt fantastisch. Es ist ein edler Nachbau aus der Werkstatt von Joris Potvlieghe, bei dem nichts klappert und knirscht, sondern alles silbrig singt. Wunderbar eingefangen von ECM-Tonmeister Stephan Schellmann: präsent, nicht zu räumlich, nicht zu dicht. Man schaut András Schiff quasi über die Schulter. Und hat sich schon nach wenigen Minuten so sehr mit dem Klang angefreundet, dass man sich diese Musik mit keinem anderen Instrument mehr vorstellen mag.

Im Zentrum des Albums: Bachs Inventionen und Sinfonien. Kleine Studienstücke für den Hausgebrauch, sozusagen perfekt zum Aufwärmen vor dem Frühstück. Schiff ist kein Originalklang-Revolutionär, seine Tempi sind moderat, und bei den sparsamen Verzierungen nimmt er sich das zum Vorbild, was Bach seinen Schülern in die Noten geschrieben hat. Und trotzdem wachsen die ein-, zweiminütigen Miniaturen hier über sich hinaus. Schiff verwandelt sie in kleine Charakterstücke, kitzelt aus jedem die Essenz heraus, ob Melancholie, Munterkeit oder auch Mut. Zum Beispiel, wenn Bach mit seiner kühnen Chromatik in wenigen Takten das Tor zur Zukunft weit aufstößt.

Überzeugende Rehabilitierung des Clavichords

Dem Privat- und Familienmenschen Bach dagegen kommen wir in einem anderen Stück ganz nah, dem „Capriccio über die Abreise seines geliebten Bruders“. Der zärtliche Klang des Clavichords verleiht diesem Jugendwerk eine Intimität, die geradezu rührend wirkt. Und schließlich demonstriert András Schiff, wie auch große, repräsentative Stücke auf dem Clavichord zur Geltung kommen können. Wenn er etwa zum Abschluss Bachs Chromatische Fantasie und Fuge aufs Programm setzt, dann vermisst man nichts an Volumen, an Klangfülle, an Dramatik. Hier wirkt Schiffs Spiel vollends gelöst, entspannt, frei, so als entstünde Bachs Musik just in diesem Augenblick. Ein Album, mit dem ihm eine überzeugende Rehabilitierung des Clavichords gelingt. Weil hier künstlerische Wahrhaftigkeit und historische Wahrheit eins werden.

Infos zur CD

Johann Sebastian Bach
Inventionen, Sinfonien, Capriccio, Chromat. Fantasie und Fuge u. a.

András Schiff, Clavichord

Label: ECM New Series

Sendung: "Piazza" am 28. Januar 2023 um 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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