Modernes Klavier oder historisches Cembalo: Manche Pianisten machen daraus eine Glaubensfrage, wenn es um die Musik von Johann Sebastian Bach geht. Bach selbst war da pragmatisch: Er spielte alle Tasteninstrumente, die gerade im Raum standen. Egal ob Cembalo, Orgel, Clavichord oder Hammerklavier. Der junge Pianist Jonathan Ferrucci spielt Bachs Toccaten auf einem modernen Yamaha-Flügel – und das klingt ganz phantastisch.
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Bei den Wörtern "Toccata" und "Bach" denken die meisten wahrscheinlich an die berühmte d-Moll-Toccata. Unter Organisten heißt sie wegen ihrer notorischen Unentrinnbarkeit auch scherzhaft: die epidemische Toccata. Sie ist aber eben nur eine von vielen, vielen Toccaten, die Bach komponiert hat. Und es gibt Toccaten nicht nur für Orgel, sondern auch für Cembalo oder Klavier.
Toccata kommt vom italienischen Wort toccare, schlagen. Bedeutet also einfach: ein Stück für Tasteninstrument. Vor allem in der norddeutschen Orgelmusik war die Form beliebt. Der junge Bach war so begeistert von dieser Art Musik, dass er 400 Kilometer zu Fuß von Thüringen bis nach Lübeck reiste, um beim legendären Orgelmeister Dietrich Buxtehude zu lernen. Bach liebte Toccaten, weil sie wild waren: improvisatorisch, frei, aufrüttelnd. Die Klavier -Toccaten sind wohl kurz nach der berühmten Toccata und Fuge in d-Moll entstanden. Auch hier sind Fugen integriert, aber die Form bleibt immer unvorhersehbar: Bach als junger Wilder. Spontane Einfälle purzeln durcheinander, es geht kreuz und quer durch die Tonarten, alles kann in jedem Moment anders kommen als erwartet. Wer diese Musik spielt, muss quasi mit dem Komponisten verschmelzen, der an der Tastatur sitzt und ganz aus der Laune des Augenblicks heraus improvisiert.
Dem jungen Pianisten Jonathan Ferrucci gelingt das mit größter Selbstverständlichkeit. Und er nutzt auf überzeugende Weise den Freiraum zur Improvisation, den Barockmusik gibt: die sogenannten Verzierungen. Das können Triller sein oder in Einzeltöne zerstäubte Akkorde. Und natürlich die Freiheit im Tempo: Die Musik folgt sozusagen der natürlichen Schwerkraft auf ihren immer überraschenden Wegen durch die emotionalen Berge und Täler.
Jonathan Ferrucci ist Ende 20, hat einen italienischen Vater und eine australische Mutter. Der Gegensatz zwischen der Weite der Landschaft in der überwältigenden Natur Australiens und der unglaublichen Dichte von Kunst und Geschichte in Italien hat ihn geprägt. Bach ist so etwas wie sein tägliches Brot. Er spielt ihn, hört ihn, atmet ihn. Seine zweite große Leidenschaft ist das Yoga. Im Booklet seines Albums sieht man ihn auf der Yoga-Matte, die offenbar neben einem Flügel liegt.
Und das ist, neben der zupackenden Spielfreude in den improvisatorischen Abschnitten, die zweite große Stärke in Ferruccis Bach-Spiel: Es atmet. Mit wunderbarer Klarheit arbeitet er das Frage- und Antwortspiel der Stimmen heraus. Diese Musik ist nicht nur wild, sondern findet in den gesanglichen langsamen Sätzen auch zu innerer Ruhe und meditativer Kraft. Bachs Klavier-Toccaten mit Jonathan Ferrucci: ein starkes Debut-Album. Und ein Name zum Merken.
Johann Sebastian Bach:
Die Toccaten BWV 910-916
Jonathan Ferrucci (Klavier)
Label: audite
Sendung: "Piazza" am 25. Januar 2025 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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