Als Einspringer kam Pianist Igor Levit in Kontakt mit Dirigent Christian Thielemann – die beiden verstanden sich auf Anhieb. Bei einem legendären Spaziergang am Berliner Schlachtensee lernten sie sich näher kennen. Und besiegelt haben sie die neue Freundschaft mit einer gemeinsamen Aufnahme: mit den beiden Klavierkonzerten von Johannes Brahms. Ein furioser Auftakt zu Thielemanns Brahms-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern.
Bildquelle: Sony Classical
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Das hat schon einen Zug zum Grandiosen, wenn sich Igor Levit und Christian Thielemann in den monströsen Kopfsatz des Ersten Klavierkonzerts von Johannes Brahms stürzen. Aber sie tun das sehr überlegt, ohne Kraftmeierei und protziges Gehabe. Stattdessen überzeugt ihr erfrischender Zugriff auf Brahms durch Feinschliff, Kontrastreichtum und Klangbalance. Levit und Thielemann atmen gemeinsam, das spürt man in jedem Takt. Und die beiden haben Sinn für die federnde Eleganz und den graziösen Tonfall, mit dem Brahms selbst in diesem Koloss aufwartet.
Thielemanns Erfahrung trifft bei Brahms auf Levits Können, alles wirkt organisch entwickelt und sorgfältig ausgearbeitet. Im Adagio webt Levit luzide Klanggespinste, und das verspielte Rondo-Thema im Finale perlt bei ihm pointiert über die Tasten. Weit ausgereifter, weniger heroisch wirkt das Zweite Klavierkonzert von Brahms – es ist ja auch zwei Jahrzehnte später entstanden. Stimmungsvoll tönt zu Beginn der romantische Hornruf, aus dem sich die kantable Melodie des Klaviers herausschält.
Der dunkle, warme Klang der Wiener Philharmoniker kommt der Musik von Brahms besonders entgegen – und auf Christian Thielemann sind sie sowieso eingeschworen. Aber auch im dichten Klaviersatz des zweiten Konzerts ist pianistische Schwerstarbeit gefordert, die Levit in der symphonischen Verzahnung mit dem Orchestersatz mühelos bewältigt – auch weil Thielemann auf Durchhörbarkeit achtet. Gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann sind Igor Levit modellhafte Einspielungen gelungen.
Zum Kontrast bietet Levit auf seinem Triple-Album noch die vier späten Klavierzyklen von Brahms. Tiefernste und hochpoetische Ausdruckskunst für Klavier solo ist da zu hören – "Wiegenlieder meiner Schmerzen" hat Brahms seine letzten Klavierstücke genannt. Feinnervig spürt Levit den zarten Verästelungen dieser Seelenmusik nach, kontemplativ entrückt und leidenschaftlich erregt – das geht unter die Haut.
Johannes Brahms:
Klavierkonzerte Nr. 1 d-Moll op. 15
Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83
Fantasien op. 116
Intermezzi op. 117
Klavierstücke op. 118
Klavierstücke op. 119
Walzer für Klavier zu vier Händen A-Dur op. 39 Nr. 15 (mit Christian Thielemann)
Igor Levit (Klavier)
Wiener Philharmoniker
Leitung: Christian Thielemann
Label: Sony Classical (3 CDs)
Sendung: "Piazza" am 05. Oktober 2024 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Dienstag, 08.Oktober, 11:00 Uhr
T.R.
The Hype Must Go On
Kann @Trappe nur zustimmen, dass hier keine verlässliche Kritik vorliegt. Wobei man die Vergangenheit vielleicht auch nicht allzu sehr verklären sollte, am Ende muss man die Sachen selbst hören und sich eine eigene Meinung bildung.
Ich hatte relativ geringe Erwartungen und selbst diese wurden noch unterboten.
Levit gelingt es - wieder mal - nicht, eine Binnenspannung aufzubauen, sein Ton ist geheimnislos, so dass der Eindruck eines emotionslosens Herunterspielens dieser Werke entsteht. Auch Thielemann ist nicht gerade in Hochform. Die Einleitung zum 1. Klavierkonzert habe ich selten so spannungslos gehört.
Man muss nicht die große Alten bemühen, um hier die Defizite zu hören. Man verleiche Konzert 1. mit Grimaud, Nelsons, SOBR und Konzert 2 mit Zimerman, Bernstein, Wiener P.
Bei den Klavierstücken sieht es nicht besser aus. Man muss sich nicht die volle melancholische Dröhnung geben, aber so emotionslos wie Levit darf es nicht sein. Man vergleich mit Vogt und Angelich.
Freitag, 04.Oktober, 21:25 Uhr
Rosi
Neve
Den Solocellisten, der im 3. Satz des 2. Klavierkonzerts überirdisch spielt, könnte man auch erwähnen.
Freitag, 04.Oktober, 17:43 Uhr
Trappe
Auffälligkeiten heutiger Kritiken
Im Unterschied zu Thielemann und Lewit, die um ihre eigenen Produkte werben (müssen), sollte eine Kritik doch auch dadurch glänzen, dass es eigene Gedanken mit auf den Weg bringt und idealerweise auch mit anderen großen Interpretationen vergleicht. All das Gesagte ist wenig bis gar nicht griffig und offengestanden heute beliebig austauschbar. Folge: Traue keiner Kritik und Interpretation, bis man sie nicht selbst gehört hat.
Früher wusste man dann aufgrund einer Kritik dies durchaus einzuordnen, ob eine Interpretation gekauft werden sollte oder nicht. Heute erscheint mir eine Kritik leider der verlängerte Arm einer Marketing-Maschinerie zu sein.
Freitag, 04.Oktober, 17:19 Uhr
Beate Schwärzler
Christian Thielemann und Igor Levit mit Brahms
Allein dieses Bild schon ! Und die Kritik !
Hm.
Es wirkt so lustvoll und macht Lust.
Hmm.
Lust auf diese CD.
Hmmm...
Da haben sich zwei gefunden.
Igor Levit: Ich bin wieder gut.