Gerade erst hat sich das belgische Originalklang-Orchester Anima Eterna von seinem Gründer und langjährigen Leiter Jos van Immerseel wegen aggressiven Verhaltens getrennt. Da sind jetzt vor allem Gastdirigenten gefragt wie der Spanier Pablo Heras-Casado, seit seinem Bayreuther "Parsifal" 2023 ein Star. Schon länger arbeitet Heras-Casado mit dem Kollektiv aus Brügge an einem Bruckner-Zyklus. Zum Bruckner-Jahr ist jetzt die Vierte Symphonie, die "Romantische", erschienen. Ein Hör-Abenteuer!
Bildquelle: Harmonia Mundi
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Wie ein altes Posthorn klingt das einleitende Hornsignal in Bruckners Vierter bei Anima Eterna – und tatsächlich: Hier ist es ein Wiener Ventilhorn von 1875, aus der Entstehungszeit der Symphonie. Die Mitglieder von Anima Eterna sind eben auch Musikforschende, immer auf der Suche nach dem passenden Instrumentarium, auf dem sie dann herumexperimentieren. Dirigent Pablo Heras-Casado greift solche Initiativen gerne auf und bündelt sie zu einem ganz ungewohnten Bruckner-Klang.
Harsch, ungehobelt, roh prallen die Eigenheiten der historischen Instrumente in Bruckners massiven Ballungen aufeinander. Dafür kommen ihre charakteristischen Klangfarben viel stärker zur Geltung als bei modernen Instrumenten. Unebenheiten sind Teil der Klangästhetik, weil die alten Blasinstrumente vom Ansatz her eben nicht so gut ansprechen. Andererseits gelingen Heras-Casado mit den vibratolosen Streichern wunderbar lyrische Phrasen – so schmerzlich, ja trostlos haben die Seelenlandschaften im langsamen Satz selten geklungen.
Vom historischen Sound-Design dieser Einspielung profitiert vor allem das berühmte Jagd-Scherzo – die alten Hörner schmettern derart knackig, frech und keck, dass es eine Lust ist. Im Trio des Scherzos könnte der Kontrast kaum größer sein: Das klingt fahl und monoton wie ein Leierkasten – als ob Schuberts "Winterreise" herüberwehte.
Diese Bruckner-Aufnahme ist in ihrer Radikalität, Herbheit und ihrem knochentrockenen Klang erstmal ein Schock: So könnte die Vierte Symphonie damals tatsächlich geklungen haben. Weit weg vom üppigen Schönklang unserer Tage. Eine Übung in Askese, die das Gehör reinigt. In ihrer Entschlackung von Bruckners "Romantischer" Symphonie räumen Pablo Heras-Casado und Anima Eterna mit allen Klischees auf und werfen einen schonungslosen Blick auf die Brüche der Epoche.
Anton Bruckner:
Symphone Nr. 4 Es-Dur "Romantische" (zweite Fassung von 1878/1880)
Anima Eterna Brugge
Leitung: Pablo Heras-Casado
Label: Harmonia Mundi
Sendung: "Piazza" am 26. Oktober 2024 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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