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Album der Woche – Patricia Kopatchinskaja und Fazıl Say Werke von Janáček, Brahms und Bartók

2013 wurde der türkische Pianist Fazıl Say wegen spöttischer Äußerungen über den Islam zu zehn Monaten Haft verurteilt, ins Gefängnis musste er dann allerdings doch nicht. Say, ein Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan, ist mittlerweile in seiner Heimat wieder voll rehabilitiert. Künstlerisch eigenwillig ist er immer noch. Gerade hat Fazıl Say mit seiner langjährigen Kammermusikpartnerin, der Geigerin Patricia Koptachinskaja, ein Album mit Violinsonaten von Brahms, Janáček und Bartók veröffentlicht.

Bildquelle: Alpha

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Ob jemals so ein großartiges Kammermusikalbum mit einem so peinlichen Booklet-Text veröffentlicht wurde? Fazıl und Patricia, nur mit Vornamen benannt, führen da ein verschriftlichtes Gespräch – und loben sich gegenseitig über den grünen Klee. "Für mich bist Du eine der interessantesten Künstlerinnen unserer Zeit", schwärmt er sie an. Und sie revanchiert sich: "Du bist wie ein Vulkan, eine Form von unfassbarer Kraft und Energie." Und so geht das weiter. Die Aufdringlichkeit, mit der sich die Geigerin und der Pianist im Booklet ihres eigenen Albums feiern, ist irritierend. Und natürlich reizt so eine pseudoauthentische Selbstanpreisung den Widerspruchsgeist. Mit gemischten Gefühlen macht man sich ans Hören.

Leidenschaftlich und ekstatisch

Aber sobald die Musik spielt, hat man den beiden sofort verziehen. Das Selbstlob ist zwar befremdlich. Aber es ist in der Sache absolut berechtigt. Patricia Kopatchinskaja, die Geigerin aus Moldawien, und Fazıl Say, der türkische Pianist, spielen wirklich mit ungebändigtem Freiheitsdurst, spontan, leidenschaftlich, ja, ekstatisch – und zugleich mit hellwacher Intelligenz.

Zwei Nonkonformisten unter sich

Beide geben sich gern als Nonkonformisten. Vor allem die Geigerin Patricia Kopachinskaja. Das beginnt bei Äußerlichkeiten – sie tritt etwa gern barfuss auf – und reicht bis zu extrem eigenwilligen Interpretationen. Vor allem, wenn es sich um sehr bekannte Werke handelt wie Tschaikowskys Violinkonzert, das sie kratzig gegen den Strich gebürstet hat. Als Nonkonformist zeigte sich auch Pianist Fazıl Say, der lange Jahre mit heftiger Kritik am türkischen Präsidenten Erdogan für Diskussionen in seinem Heimatland sorgte – und dann alle, Freunde wie Gegner, überraschte, als er sich publikumswirksam mit dem autoritären Präsidenten versöhnte. Beide, Patricia Kopachinskaja und Fazıl Say, komponieren auch selbst. Zwei starke Persönlichkeiten, die sich schon lange gefunden haben: Die beiden treten seit vielen Jahren im Duo auf.

Musik für Ausdrucksfanatiker

Auf ihrem neuen Album spielen sie Musik, die perfekt zu ihren Stärken passt. Kompromisslose Musik, Musik für Ausdrucksfanatiker und Übertreibungskünstler. Leidenschaftliche, ja wilde Ausbrüche stehen im scharfen Kontrast zu intimen, ganz verinnerlichten Klängen. Das gilt für die dritte Violinsonate von Johannes Brahms genauso wie für die erste von Bela Bartók und die von Leos Janáček. Alle drei Komponisten, auch der späte Brahms, komponieren schroff, ohne Rücksicht auf gefällige Konventionen. Alle drei stürzen sich kopfüber in heftige, stellenweise überwältigend intensive Gefühle. Und alle drei gewinnen der Klangkombination Violine und Klavier berückende Farben ab.

Mit untrüglichem Gespür für Form und Struktur

Patricia Kopachinskaja kann ihre Geige glasklar und strahlend klingen lassen, aber auch rau, dunkel und erdig. Wenn sie spielt, erzählt sie etwas, ihr Instrument spricht – nachdrücklich, überredend, temperamentvoll. Und Fazıl Say hat ein großartiges Gespür für Klangräume und Register. Im Tempo nehmen sich die beiden große Freiheiten, reagieren aufeinander, suchen dabei auch die Reibung, das Unvorhergesehene, als hätten sie ebensoviel Freude am perfekten Zusammenspiel wie daran, sich gegenseitig zu überraschen und manchmal auch herauszufordern. Das alles wirkt nie manieristisch – weil es so spontan und lebendig ist. Und vor allem, weil beide mit untrüglichem Gespür für Form und Struktur dem Geist der Werke auf der Spur sind. Und siehe da – im langsamen Satz von Janáček zeigt Kopachinskaja, dass sie, wenn sie will, auch ganz schlicht und innig spielen kann, ganz zurückgenommen. Während sie in den schnellen Sätzen lustvoll an die Grenzen ihres Instruments geht. Und bei Bartók lässt sie ihre Verwurzelung in der osteuropäischen Volksmusik spüren. Wer so gut spielt, darf sich, wenn’s denn sein muss, auch mal selbst loben.

Infos zur CD

Leoš Janáček
Sonate für Violine und Klavier JW VII/7
Johannes Brahms
Sonate für Violine und Klavier Nr. 3 D-Dur, Op. 108
Béla Bartók
Sonate für Violine und Klavier Nr. 1, Sz. 75:

Patricia Kopatchinskaja, Violine
Fazıl Say, Klavier

Label: Alpha Classics

Sendung: "Piazza" am 21. Januar 2023 um 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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