Aufnahmen von Händels "Messias" gibt es wie Sand am Meer. Diese hier ist aber besonders, weil sie ein Originalklang-Ensemble mit einem Dirigenten zusammenbringt, der aus der romantischen Orchestertradition kommt. Eine spannende Kombi, die hier ausgezeichnet funktioniert.
Bildquelle: Erato
Der CD-Tipp zum Anhören
Nein, mit dieser Arbeit von Händel war Textautor Charles Jennens überhaupt nicht zufrieden. Viel mehr hätte sich musikalisch rausholen lassen aus diesem Libretto, an dem Jennens so lange getüftelt hatte – einer kunstvollen Zusammenstellung von Bibelstellen über Geburt, Tod und Auferstehung Jesu. Aber Händel hatte die zweieinhalbstündige Partitur in nur 24 Tagen hingeschludert. "Eine hübsche Unterhaltung", fand Jennens, "aber nicht annähernd so gut, wie er es könnte und müsste." Dabei ging es doch um das zentrale Mysterium der Christenheit: um den Messias!
Heute dagegen ist "Der Messias" Händels mit Abstand populärstes Oratorium – und die Zahl der Aufnahmen unüberschaubar. Und trotzdem ist diese hier etwas Besonderes. Sie dokumentiert auf CD und DVD eine Aufführung in der Kathedrale von Coventry, weltweit bekannt als Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung. Hier an diesem symbolischen Ort wollte der amerikanische Dirigent John Nelson gemeinsam mit Chor und Orchester des English Concert ein Zeichen der Hoffnung setzen in unserer unruhigen Zeit, wollte Jesus als Friedensfürst feiern, als "The Prince of Peace".
Es ist eine von der ersten bis zur letzten Minute fesselnde Aufnahme geworden, weil sich Nelson, der sich eigentlich als Berlioz-Spezialist einen Namen gemacht hat, und die Originalklang-Experten vom English Concert auf erstaunliche Weise ergänzen. Der eine kommt von der Oper, wie Händel übrigens auch, die anderen bringen ihr selbstverständliches Wissen um barocke Rhetorik und Artikulation ein. Heraus kommt eine plastische, lebendige Interpretation wie aus einem Guss: liebevoll in den Details, zügig in den Übergängen, transparent in den Chören – ein Genuss.
Der inzwischen 82-jährige John Nelson dirigiert mit geradezu jugendlicher Frische, zugleich mit einer Souveränität, die niemandem mehr etwas beweisen muss, schon gar nicht durch extreme Tempi. Pragmatisch statt dogmatisch – das ist auch sein Motto bei der Auswahl der Arien. Händel hat seinen "Messias" bei praktisch jeder Aufführung verändert, hat Sängerstars neue Arien auf den Leib geschrieben oder Verbesserungsvorschläge seines Librettisten Jennens eingearbeitet. Nelson greift nun aus unterschiedlichen Versionen das heraus, was ihn am meisten überzeugt – ein "Best of Messiah" sozusagen.
Herausragend unter den vier Solisten: Michael Spyres, der mit butterweichem Tenor und wunderbar freien Verzierungen den hervorragenden Eindruck bestätigt, den schon sein jüngstes Album mit Barockarien hinterlassen hat. Und der Countertenor Alex Potter, der mit seiner großen Passionsarie "He was despised" zu Tränen rührt. Zusammen mit dem Bass Matthew Brook und der Sopranistin Lucy Crowe bieten sie als besonderen Bonus am Ende noch alternative Arienfassungen an. So kann sich jeder seine eigene Lieblings-Messias-Version zusammenstellen. Ein in jeder Hinsicht rundes Album, bei dem auch Librettist Charles Jennens nichts zu mosern gehabt hätte.
Georg Friedrich Händel:
"Messiah"
Lucy Crowe (Sopran),
Alex Potter (Countertenor),
Michael Spyres (Tenor),
Matthew Brook (Bassbariton),
The English Concert & Choir
Leitung: John Nelson
Label: Erato
Sendung: "Piazza" am 23. Dezember 2023 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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