Mehr als hundert Symphonien hat Joseph Haydn der Nachwelt hinterlassen. Ein unglaubliches Konvolut, gespickt mit Einfällen, musikalischer Fantasie, Witz, Humor, eben allem, was Haydn so auszeichnet. Das Beethoven mit seinen neun Symphonien immer noch der ungleich populärere Symphoniker ist, kann man durchaus ungerecht finden. William Christie, einer der Großen in der Originalklangszene, tut mit seinem jüngsten Doppel-Album etwas dagegen.
Bildquelle: Harmonia Mundi
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Der Mann ist Cembalist, Musikwissenschaftler, Dirigent und Pädagoge, insgesamt ein Phänomen. 1944 wurde William Christie im Bundesstaat New York geboren, ist seit einem halben Jahrhundert Wahl-Pariser und längst einer der weltweit bedeutendsten Interpreten der historisch informierten Aufführungspraxis. Sein Repertoire war und ist vor allem das weite Feld der Barockmusik. Und irgendwie entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein Musiker aus dem amerikanischen Buffalo maßgeblich die Wiederentdeckung der großen französischen Barockkomponisten wie Jean-Philippe Rameau, Jean-Baptiste Lully oder Marc-Antoine Charpentier vorangetrieben hat, insbesondere die Renaissance ihrer großen Bühnenwerke.
Überaus treffend, dass Christie sein Ende der Siebziger gegründetes Ensemble nach Charpentiers Oper "Les Arts Florissants – Die blühenden Künste" benannte. Nicht weniger als die Franzosen liebt Christie Claudio Monteverdi, Purcell oder Händel. Auch von Mozarts "Zauberflöte" gibt es eine Einspielung. Doch seine Ausflüge ins späte 18. Jahrhundert sind, zumindest was sein riesige Diskographie angeht, eher die Ausnahme. Haydns "Schöpfung" ist darunter, die Christie für den Gipfelpunkt der Musik im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert hält.
Dieses Album lohnt sich, weil …
… es den jugendlich frischen Blick eines fast 80jährigen auf den ungeheuren musikalischen Einfallsreichtum Joseph Haydns bietet.
Dieses Album hat gefehlt, weil …
… wir von William Christie bislang – fast – nur Alben mit Barockmusik kennen.
Dieses Album hört man am besten …
… früh am Morgen und zieht dann richtig gut gelaunt in den Tag.
Zu Joseph Haydn ist Christie jetzt zurückgekehrt, hat vier der sechs Pariser Symphonien sowie das C-Dur-Violinkonzert in Live-Aufnahmen der letzten Jahre veröffentlicht. Ein bisschen französisch bleibt Christie also auch diesmal – Haydn schrieb die Symphonien Mitte der 1780er für die Pariser Konzertreihe "Concert de la Loge Olympique". Diesen Haydn-Interpretationen ist Christies Verwurzelung in Barock und Originalklang deutlich anzuhören. Hell und luftig klingt Les Arts Florissants, federnd und vital ist die Gangart, die Christie mit seinem fantastischen Orchester anschlägt.
Und im Violinkonzert überlässt er uneitel dem exzellenten jungen Geiger Théotime Langlois de Swarte die künstlerische Leitung. Der 27-jährige, ungeachtet des eher holländisch klingenden Nachnamens ein echter Franzose, dirigiert von der Violine aus, auch dies historisch offenbar korrekt. Vor allem aber funktioniert es bestens und führt zu einer in den Ecksätzen lebendig gespannten, im wunderbaren Adagio innig versunkenen Deutung. Klingt wie der Gesang einer einsamen Seele in der Abenddämmerung. Haydn an der Schwelle zur Romantik – geht auch fast ohne Vibrato.
Joseph Haydn:
Vier Pariser Symphonien, Hob. I:84–87
Violinkonzert Nr.1 C-Dur, Hob. VIIa: 1
Théotime Langlois de Swarte (Violine)
Les Arts Florissants
Leitung: William Christie
Label: Harmonia Mundi
Sendung: "Piazza" am 16. September 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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