13 Stunden, 840 Wiederholungen und ein hypnotisches Musikerlebnis: Pianist Igor Levit hat mit seiner Performance von Erik Saties "Vexations" ein spektakuläres Ausdauerexperiment gewagt – unterstützt von Künstlerin Marina Abramović und begleitet von einem gebannten Publikum.
Bildquelle: Felix Broede
Es ist 23:08 Uhr, als Igor Levit die Finger langsam von den Tasten hebt. Für einen Moment verharrt er reglos, legt den Kopf in die Hände. Dann springt er auf und wendet sich dem Publikum zu, das begeistert applaudiert. 13 Stunden lang hat er dasselbe kurze Musikstück gespielt – "Vexations" von Erik Satie. Eigentlich umfasst es nur eine Notenseite, doch wird mit 840 Wiederholungen gespielt. Rund um den Flügel liegen ebenso viele Notenblätter, die der Pianist im Laufe der Performance nach und nach hinter sich geworfen hat.
Mit Erleichterung im Blick ruft der Pianist dem Publikum zu: "Egal was Ihr anstellt, es wird keine Zugabe geben." Seine Regisseurin, die Performance-Künstlerin Marina Abramovic, und er fallen sich in die Arme. Kurz darauf schildert Igor Levit seine Gefühle: "High. Es war mehr schön als anstrengend." Gedanken an einen vorzeitigen Abbruch seien ihm nicht gekommen, kein einziges Mal. Auch Marina Abramović ist überwältigt. Das Publikum habe Levit immer wieder Energie gegeben, erzählt sie: "Das war unglaublich. 13 Stunden die aufsteigende Erschöpfung zu überwinden und dann immer wieder Gefühl in die Musik zu legen. Es war hypnotisch. Ich bin gerade sehr angefasst."
150 Zuschauerinnen und Zuschauer hatten sich mit Dauerkarten auf das Experiment eingelassen, viele andere kamen für kürzere Abschnitte. Ursprünglich war sogar von 16 oder bis zu 22 Stunden die Rede – das Ende nach 13 Stunden kam für manche überraschend. "Ich habe es noch ein bisschen länger erwartet", sagt ein Besucher, "aber es war sehr emotional, gerade zum Ende, wo dann auf einmal die Spannung abgefallen ist." Auch einige Tränen sind geflossen.
Bereits am Vormittag um 10:27 Uhr hat das Experiment nach einer Einführung von Marina Abramović begonnen. Die Künstlerin, deren Werk für Ausdauer und Leidensfähigkeit steht, hatte dazu aufgefordert, Armbanduhren in die Tasche zu stecken und die Zeit zu vergessen. Sie leitet eine kurze Meditation, um die Besucher in den Zustand zu versetzen, der sie durch den Tag begleiten soll. Und wer den meditativen Zustand beibehalten wollte, tat gut daran, die Augen geschlossen zu halten, schilderte eine Besucherin nach der ersten Stunde. Auch vor den Sitzreihen passierte einiges: Zwei Künstlerinnen fingen nach und nach an, aus dem Kasten, auf dem der Flügel stand, Quader herauszuziehen und auf dem karierten Bühnenboden wie Puzzlestücke hin- und herzuschieben. Immer wieder wurden Menschen aus dem Publikum auf die Bühne geführt, die dann regungslos mit geschlossenen Augen direkt in Levits Nähe ausharrten, um ihm gemäß Abramovićs Theorie Energie zu spenden.
"Ich hatte mir das Stück eher wie ein Mantra vorgestellt, aber es hat mich nicht so sehr in den Bann gezogen", sagt ein weiterer Zuschauer bei dem Konzert. "Ich habe deshalb mehr über die Herausforderungen für den Pianisten und die Zuschauer nachgedacht." Und es gab sie, die kleinen Störungen im Flow: Ab und zu klingelten Handys, worauf Levit das Publikum streng musterte. Fünfmal verschwand er hinter der Bühne für eine kurze Toilettenpause – jedes Mal wurde er bei der Rückkehr mit Applaus empfangen. Als Fazit konnte man am Ende festhalten: Es war ein musikalisches Spektakel, das unter die Haut ging.
Sendung: "Allegro" am 25. April 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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