Die heilende und tröstende Kraft der Musik wird in schwierigen Zeiten oft heraufbeschworen. Doch je weiter Igor Levits neue Aufnahme von Mendelssohns "Liedern ohne Worte" voranschreitet, umso tiefer spürt man die Trauer, die über dem Album schwebt.
Bildquelle: Sony Classical
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Es ist die Reaktion des Pianisten auf den brutalen Terror-Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023, dessen Folgen nach wie vor die Nachrichten dominieren. Eine Aufnahme, die für den politisch engagierten Levit aus einer tiefen inneren Notwendigkeit heraus entstand und nach einer digitalen Veröffentlichung nun pünktlich zum Holocaust-Gedenktag ebenfalls auf CD erscheint.
Herzstück und Keimzelle des Albums ist die Nr. 1 in e-Moll aus dem Opus 102. Ein Stück, das Levit nach den erschütternden Bildern des Anschlags immer wieder allein für sich zuhause am Flügel spielte, um das traumatische Ereignis für sich zu verarbeiten. Eine Komposition voller Melancholie, um das herum der Pianist dreizehn weitere Nummern aus den "Liedern ohne Worte" gruppiert . Eine sehr persönlich gefärbte Auswahl, der Levit auch in optimistischeren Momenten wie dem "Duett" in As-Dur eine große Dringlichkeit verleiht.
Das Album aus seinem Kontext zu lösen, scheint fast unmöglich. Denn wie die übrigen Beteiligten verzichtete auch Igor Levit bei diesem Projekt auf sein Honorar. Der Reinerlös geht an zwei Berliner Organisationen, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, den leider auch in Deutschland jüngst wieder vermehrt offen ausgelebten Antisemitismus im Keim zu bekämpfen. Doch auch das zeichnet Igor Levit von jeher aus. Es geht bei ihm selten um die Musik allein, sondern immer auch um die großen Themen, die uns als Gesellschaft oder als einzelnen Menschen bewegen.
Ans Ende des Albums stellt Levit als persönlichen Kommentar noch ein Stück des französisch -jüdischen Komponisten Charles-Valentin Arkan. Sein "Gesang der Wahnsinnigen am Meeresgestade" setzt mit leisen, fragenden Tönen den präganten Schlusspunkt unter ein Album, das dank dem einfühlsamen Spiel von Igor Levit keine großen Worte braucht, um seine Botschaft klar und deutlich zu vermitteln.
Felix Mendelssohn-BArtholdy:
Lieder ohne Worte (Auswahl)
Charles-Valentin Alkan:
Prelude op. 31 Nr. 8 "La Chanson de la folle au bord de la mer"
Igor Levit, Klavier
Label: Sony Classical
Sendung: "Piazza" am 10. Februar 2024 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Donnerstag, 15.Februar, 14:02 Uhr
Elisabeth
Herzenssprache
Unvorbereitet traf mich die Musik über den Rundfunk, wohlbekannte Lieder, ein wohlbekannter Pianist (keineswegs der von mir am meisten geschätzte), traf mich mitten ins Herz und erschütterte mich bis ins Mark. Es war zugleich klärend und reinigend. Nach meiner Wahrnehmung hat Igor Levit eine überpersönliche authentische Interpretation vorgelegt, die zusätzlich Kraft durch den Verzicht auf Einnahmen aus der Aufnahme schöpft. Dank an alle Beteiligten!
Sonntag, 11.Februar, 11:52 Uhr
Analysis
FARBE - GRAU
Ein Album, das die Farbe GRAU zum klingen bringt - jene Nicht-Farbe, die man gemeinhin mit Trauer, Apathie und (letzter) Ruhe assoziiert.
Levit hat in diesem Album Mendelssohn zur letzten Ruhe gebettet und - wohl ganz bewußt ?! - darauf verzichtet, im allerletzten Stück, jenen Funken zu entzünden, den Charles Valentin Alkan im düster-grauen "Lied der Verrückten" bereithält ...
Ein Album der Woche - ganz sicher für die Karwoche ...
Sonntag, 11.Februar, 07:00 Uhr
Beate Schwärzler
Botschaft ohne Worte
Dieses Bild...
Die abgenommene Halskette mit dem Davidsstern in der bergenden Hand.
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auf dem CD-Cover hat das Leid der Menschen um so viel mehr spüren lassen
als all die Ruinen in den Nachrichten.
Dieses Bild führt z u den M e n s c h e n.