82 Jahre ist der große Musikwissenschaftler, Musiker, Gambist und Dirigent Jordi Savall am 1. August geworden. Andere haben sich in dem Alter längst zur Ruhe gesetzt, Savall dreht erst so richtig auf. Gerade erst konnte man ihn bei den Salzburger Festspielen mit seinen fulminanten Beethoven-Interpretationen erleben. Sein Terminkalender quillt über, und regelmäßig fügt er seiner beeindrucken, riesigen Diskographie Neues hinzu, vor einigen Wochen eine neue Aufnahme des Mozart-Requiems. Nun folgt Monteverdis Oper "L'Orfeo", die Savall bereits zum zweiten Mal aufgenommen hat.
Bildquelle: Chateau de Versailles Spectacles
Der CD-Tipp zum Nachhören
Claudio Monteverdis "L'Orfeo" war nicht die erste Oper der Musikgeschichte. Erste Schritte ins Neuland des Musikdramas unternahmen Künstler wie Jacopo Peri und die Florentiner Camerata. Und doch: Müsste man die Geburtsstunde der Oper auf einen Tag und Ort festlegen, es wäre wohl der 24. Februar 1607, der Palazzo Ducale in Mantua und die Uraufführung von Monteverdis Favola in musica "L'Orfeo".
Denn Monteverdi gab mit seinem "Orfeo" die Antwort auf die Gretchenfrage, die man der Oper unweigerlich stellen muss: Warum, in aller Welt, wird da eigentlich ständig gesungen und nicht gesprochen, was doch viel natürlicher wäre? Monteverdis Antwort lautete: Weil die Musik Gefühlsregionen anzusprechen vermag, die das Wort ganz einfach nicht erreicht. Und das bewies der geniale Italiener nicht theoretisch, sondern ganz praktisch, mit Hilfe von Tönen, die von so unglaublicher Schönheit sind, dass sie auch mehr als 400 Jahren nach ihrer Entstehung unmittelbar berühren und ergreifen. Am Anfang der Gattung Oper lieferte Claudio Monteverdi ihre Legitimation. "L'Orfeo" ist so etwas wie der Gründungsmythos der Oper.
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… Monteverdis "L'Orfeo" schon immer für eine der schönsten Opern überhaupt gehalten hat.
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… man damit ein frühes Meisterwerk der Operngeschichte in wunderbarer Interpretation neu erleben oder neu entdecken kann.
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… lässt einen von der Macht der Liebe zu träumen – und die Macht der Musik erleben.
"Ich habe nur die süßen Saiten meiner goldenen Leier als Waffe. Die erweichen selbst die härteste Seele", singt Orfeo, und er hat Recht. Die Musik gewinnt Macht über Mensch und Tier, ja über die Götter. Die erlauben dem Sänger, Euridice aus der Unterwelt ans Licht der Sterne zurückzuführen. Einen utopischen Moment lang sieht es so aus, als überwinde die Musik sogar den Tod. Dass Orfeo am Ende scheitert und Euridice endgültig an die Unterwelt verliert, weil er Macht und Gnade der Götter missachtet, darin liegt seine Tragik. Die Macht der Musik aber bleibt, denn im wunderbaren Schlussbild holt Apoll seinen trauernden Sohn Orfeo zu sich ans Firmament. Und dort, so möchte man annehmen, singt er gemeinsam mit Apoll noch heute.
Dass Jordi Savall, Altmeister der historisch informierten Aufführungspraxis und eine der spannendsten Musikerpersönlichkeiten unserer Zeit, von dieser Oper fasziniert ist, überrascht kaum. 2002 legte er Monteverdis "L'Orfeo" schon einmal vor, in einem Live-Mitschnitt aus dem Gran Teatre del Liceu in Barcelona. Zwanzig Jahre später folgt seine zweite Einspielung, entstanden an historischem Ort, im prachtvollen königlichen Theater von Schloss Versailles. Und wieder setzt Savall mit seinen Ensembles Le Concert de Nations und La Capella Reial de Catalunya Maßstäbe. Die Solisten sind exquisit, von Marc Mauillon als Orfeo über Sarah Mingardo als Botin bis zu Furio Zanasi als Apoll. 82 Jahre ist Savall inzwischen alt, seine Ensembles und seine Interpretationen klingen frisch und unverbraucht wie eh und je. Ein Weltmusiker, der mit diesem "L'Orfeo" wieder einmal die Macht der Musik unter Beweis stellt. Den Tod kann auch sein Orfeo nicht überwinden, aber für 109 Minuten unvergesslicher Musik sorgt Savall allemal.
Claudio Monteverdi:
"L'Orfeo"
Le Concerts des Nations
La Capella Reial de Catalunya
Leitung: Jordi Savall
Label: Chateau de Versailles Spectacles
Sendung: "Piazza" am 19. August 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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