Warum die gefühlt 217. Aufnahme eines Klavierkonzerts von Beethoven vorlegen, wenn es noch so viele buchstäblich "unerhörte" musikalische Schätze gibt? Der Pianist Oliver Triendl findet es jedenfalls spannender, vergessene Werke aufzustöbern und zur oft allerersten Einspielung zu bringen. Jetzt stellt er die Klavierkonzerte zweier einst berühmter Liszt-Schüler zur Diskussion.
Bildquelle: Capriccio
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Nach Lehrjahren bei Nikolai Rubinstein wurde er Meisterschüler von Franz Liszt in Weimar: Der gebürtige Hamburger Emil von Sauer strebte dort die Laufbahn des komponierenden Klaviervirtuosen an, wobei ihn das Tastenlöwen-Image des Meisters mehr interessierte als dessen zukunftsweisende späte Kompositionen. Sauer schrieb nie etwas anderes als Klavierwerke – das aber ausgesprochen versiert und originell.
Das e-Moll-Klavierkonzert führt das klassische Virtuosenkonzert nach Art von Hummel, Moscheles oder Chopin in sinfonische Dimensionen. Dafür stehen die große viersätzige Anlage und die raffinierte Verflechtung von Solo und Orchester. Pathosreiche Geste und romantische Melodie, duftige Scherzo-Impressionen und glanzvolle Bravour-Passagen – Emil von Sauers facettenreiches Konzert galt bis zum 1. Weltkrieg zu Recht als wahrer Publikumsrenner. Dass man Liszts Erbe jedoch auch ganz anders interpretieren konnte, zeigt das zweite Konzert des Albums.
Conrad Ansorge war Emil von Sauers gleichaltriger Kommilitone in der Weimarer Talentschmiede, ebenfalls ein international angesehener Pianist. Doch galt er eher als "Philosoph am Klavier“ und interessierte sich keineswegs nur für die schwarz-weiße-Tastenwelt: Ansorge versuchte, Liszts avancierten Kompositionsstil weiterzuführen, schrieb etwa eine Orpheus-Sinfonie nach dem Vorbild der Dante-Sinfonie. Er bewegte sich in den Kreisen der Berliner Sezession und der Wiener Ansorge-Verein war ein Zentrum der Avantgarde, in dem auch Schönbergs Werke zur Uraufführung gelangten. Kein Wunder, dass Ansorge auch in seinem Klavierkonzert op. 28 kein Interesse an Virtuosengedöns zeigt.
Mit seinen zyklisch verklammerten Sätzen wirkt Ansorges Konzert fast wie eine symphonische Dichtung, zumal es auf den gattungstypischen konzertanten Wettstreit völlig verzichtet. Bei Oliver Triendl ist dieses gehaltvolle Opus in besten Händen und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Roland Kluttig weiß mit den bezaubernden Klangwirkungen bravourös umzugehen. Obwohl das Konzert bei seiner verspäteten Uraufführung 1924 von der Moderne längst überholt war, erkannte ein Kritiker in Conrad Ansorge einen Komponisten, "dem das Artistische der gesuchten Außenwirkung durch die große Mode des gespielten Tiefsinns ein Greuel ist." Heute bleibt nur noch zu sagen: Vielen Dank, Oliver Triendl, für diese lohnende Entdeckung!
Emil von Sauer:
Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll
Conrad Ansorge:
Klavierkonzert F-Dur, op. 28
Oliver Triendl (Klavier)
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Roland Kluttig
Label: Capriccio
Sendung: "Piazza" am 26. April 2025 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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