Die Bilder könnten kaum unterschiedlicher sein: Während sich die gefeierte römische Sängerin Leonora Baroni mit ihrer Gambe hochgeschlossen, ja wie gepanzert in ihrer grauen Robe zeigt, posiert die "Gambenspielerin", die heute als Porträt von Barbara Strozzi gilt, mit lässiger Freizügigkeit. Gemeinsam ist den Bildern jedoch, dass damit erstmals repräsentative Gemälde professioneller Musikerinnen vorliegen.
Leonora Baroni | Bildquelle: Wikicommons "Die Frauen excellieren nun in jeder Kunst, die sorglich sie betreiben," ließ der Dichter Ariost in seinem Versepos "Orlando furioso" schon 1516 wissen, aber noch immer herrschte der Mythos von der geistigen Überlegenheit des Mannes. Selbst ein so fortschrittlicher Humanist wie Baldassare Castiglione musste gegen frauenfeindliche Positionen eigens begründen, dass "das Männliche (...) nicht vollkommener als das Weibliche sei, weil eins wie das andere in der Gattung Mensch enthalten ist." Über Jahrhunderte schwelt die "Querelle des Femmes", der große Streit um das angeblich "schwache" Geschlecht. Eine um 1600 zirkulierende Schrift stellt gar die Frage: "Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht?" Als der Herzog von Ferrara einmal den viel bewunderten "Canto delle Dame di Ferrara" einem auswärtigen Herzog vorführte, rief dieser vor der ganzen Gesellschaft: "Damen sind in der Tat sehr beeindruckend – vielmehr, ich würde lieber ein Esel sein als so eine Dame!"
Das um 1580 von Herzog Alfonso II. gegründete Vokalensemble, auch bekannt als Concerto delle donne, bestand im Kern aus drei virtuosen Sängerinnen, die als Ensemble einen betörenden Klang erzeugten. Mit ihrem Stück "Le tre Grazie a Venere" sollte noch Barbara Strozzi dem legendären Ensemble die Reverenz erweisen. Kulturgeschichtlich bahnbrechend, konnten hier erstmals Frauen die Musik zu ihrem Beruf machen, eine der ganz wenigen Möglichkeiten, sich unabhängig von einem Mann den Lebensunterhalt zu verdienen. Solche Kammersängerinnen, wie sie in der Folge an kunstsinnigen Höfen wirkten, konnten neben einem beträchtlichen Gehalt auch großes Prestige gewinnen – wie zum Beispiel Leonora Baroni, die bis an den französischen Königshof eingeladen wurde.
Dank einer umfassenden Ausbildung konnten sich diese neuartigen Berufssängerinnen selbst mit Laute, Gambe oder Cembalo begleiten, einen Gesang improvisieren oder für den Eigenbedarf auch komponieren. Francesca Caccini erreichte als Komponistin sogar eine einflussreiche Position am Hof von Florenz. Doch derart "excellieren" konnten Frauen nur in einem eng umgrenzten höfischen Raum. Oder im Kloster, wie Isabella Leonardi, die ab etwa 1660 zwanzig Werke veröffentlichte.
Barbara Strozzi kann man sich kaum als komponierende Nonne vorstellen. Als uneheliches Kind hätte sie jedoch leicht in einem venezianischen Kloster landen können, wo begabte Mädchen eine gute Musikausbildung erhielten. Zum Glück hatte ihr Adoptivvater (und wohl auch leiblicher Vater) andere Pläne. Giulio Strozzi gehörte zu einer Gruppe freigeistiger Literaten, der "Accademia degli Incogniti", die sich über eine Reihe der damals gültigen Normen und Moralvorstellungen hinwegsetzten. Und er war persönlich bekannt mit den besten Komponisten Venedigs, etwa Claudio Monteverdi und Francesco Cavalli, der Barbara bereits früh unterrichtete. Giulio erzog Barbara nicht mit dem üblichen Ziel der Verheiratung, sondern mit Blick auf eine musikalische Laufbahn. Dazu führte er sie schon bald in die erlauchte Gesellschaft ein, und er verschaffte ihr ein besonderes Forum für ihre Kunst. Zur selben Zeit war er an der Entwicklung der venezianischen Oper beteiligt, die Barbara Strozzi entscheidende Impulse gab. So wuchs sie in einem sehr dynamischen und künstlerisch fruchtbaren Milieu auf, wie es in Rom oder an einem Fürstenhof kaum denkbar war: Als "singende Venus" gepriesen, verkörperte sie das freigeistige und freizügige Venedig, und ihre Musik reagiert auf einen sehr offenen Liebesdiskurs, wie er nur dort geführt wurde. Natürlich haben die Männer um sie herum fleißig an diesem erotischen Image mitgebastelt, aber Strozzi blieb eine selbstbestimmte Künstlerin.
Völlig aus dem Rahmen des Üblichen tritt sie mit ihren acht veröffentlichten Sammelwerken, ein bewusst inszenierter Auftritt als professionelle Komponistin. Ihre Arien und Kantaten sind anspruchsvoll und innovativ, ein Höhepunkt dieser noch jungen Gattungen. Aber erst 1978 konnte die amerikanische Musikwissenschaftlerin Ellen Rosand etwas Aufmerksamkeit auf diese große, in der Geschichtsschreibung bis dahin ausgeblendete Komponistin ziehen. Wie allein ihre Präsenz auf Youtube zeigt, gewinnt Barbara Strozzi zunehmend an Interesse, und man würde gerne mehr über sie wissen. Für ein Lebensbild liefern die Quellen – Berichte, Briefe, Aktennotizen – allerdings nur wenige Mosaiksteinchen, und eine umfassende, lückenlose Biografie lässt sich daraus nicht rekonstruieren. Daher ist diese Hörbiografie auch kürzer als gewöhnlich. Aber sie beleuchtet alle bekannten Fakten und Facetten ihres Lebens. Und sie bietet einen repräsentativen Querschnitt durch ihr Schaffen. So mögen sich alle, die da lauschen, ein eigenes Bild von Barbara Strozzi machen.