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Kommentar zu Barenboims Vertragsverlängerung Pro und Contra

Daniel Barenboim bleibt bis 2027 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper und der Staatskapelle Berlin. Kultursenator Klaus Lederer und der Orchestervorstand haben sich entschieden, den Vertrag des Dirigenten trotz massiver Kritik an dessen Führungsstil zu verlängern. Die richtige Entscheidung?

Dirigent Daniel Barenboim | Bildquelle: Peter Adamik

Bildquelle: Peter Adamik

Auf goldenen Sesseln im neobarocken Apollosaal hatten sie Platz genommen - der junge Intendant Matthias Schulz, der allseits beliebte Kultursenator Klaus Lederer, der um Ausgleich bemühte Orchestervorstand Volker Sprenger und natürlich er, um dessen Vertragsverlängerung es ging: Daniel Barenboim. Klaus Lederer begründete redegewandt die Entscheidung zur Vetragsverlängerung: Berlin habe dem Generalmusikdirektor viel zu verdanken, das Orchester stehe hinter ihm. Kein Vorwurf des Machtmissbrauchs sei rechtlich relevant, wenngleich Orchester und Dirigent weiterhin darüber im Gespräch blieben. Das Orchester wiederum legt Wert darauf, sich von der Presse nicht den Umgang mit seinem Dirigenten erklären lassen zu wollen und autark zu entscheiden. Daniel Barenboim schließlich kokettiert ein wenig mit seinem Alter: Im November wird er 77, er möchte nicht als Reliquie enden. Wenn ihm die Kräfte schwinden oder das Orchester ihn nicht mehr mag, werde er gehen.

Pro: "Daniel Barenboim, auf das Leben!"

Ein Kommentar von Maria Ossowski

Der Ausspruch "Ende gut, alles gut" gilt in diesem Fall leider nicht. Aus zwei Gründen: Erstens frage ich mich, wie ein seelisch differenzierter, kluger und nachdenklicher Charakter all die nach außen getragenen Vorwürfe gegen seine Person verarbeiten wird. Obwohl Barenboim früh zu Gesprächen bereit war, Einsicht zeigte und gelobte, zukünftig auf seinen Ton zu achten und sein Temperament zu zügeln, schien das, was er 28 Jahre aufgebaut hat, im plötzlichen Mediensturm unterzugehen.

Die Staatskapelle verdankt Barenboim ihren Weltruhm

Keine Frage: Musiker haben gelitten und vor ihm Angst gehabt. Im Zentrum aller Ressentiments aber schien irgendwann vor allem Barenboims Größe zu stehen, seine Macht, sein Erfolg und sein Charisma. Ohne diese Aura, ohne seine Biografie, seine Leidenschaft und seine Professionalität wäre die Staatskapelle niemals zu einem international gefeierten Orchester geworden, hätten wir in Berlin keine Barenboim-Said-Akademie und keinen Boulez-Saal. Diese Lust am Zerstören eines solchen Erfolgs macht nachdenklich, mag der Sturm sich auch gelegt haben.

Ohne seine Leidenschaft wäre die Staatskapelle niemals zu einem international gefeierten Orchester geworden.
Maria Ossowski über Daniel Barenboim

Gezielte Demontage einer Legende

Barenboim konnte zwar manch üble Nachrede stoppen. Aber es bleibt ein Nachhall, der seiner Leistung nicht gerecht wird. Warum tun wir uns so schwer, die Ambivalenz im Wesen eines Ausnahmekünstlers zu ertragen? Ist es wirklich nur Mitleid mit den Schwächeren oder eher eine innere Freude an der Demontage einer Legende? Schon jetzt kommentieren selbsternannte Experten, mit dieser Verlängerung habe mal wieder der alte, weiße Mann gesiegt, der zudem sehr angegriffen aussehe und von dem keine neuen Impulse kämen. Welch eine Arroganz und Härte, aber auch Missgunst gegenüber einer Lebensleistung.

Die Entscheidung war alternativlos

Für den zweiten Grund blicken wir kurz auf die Dirigentenszene. Zwar konnte Kultursenator Klaus Lederer entscheiden zwischen verlängern oder nicht verlängern, aber der Kultursenator hätte keine Alternativen präsentieren können. Es warten reihenweise junge, bestens ausgebildete Dirigentinnen und Dirigenten auf ihre Chance, endlich ein perfekt geformtes Orchester leiten zu dürfen und an einem renommierten Haus Akzente zu setzen. Allein, es dauert viele Jahre, bis jene Strahlkraft sich entwickelt, die Barenboim zum Publikumsmagneten werden ließ. Sind die Orchester, die Zuhörer, die Intendanten und Sponsoren geduldig genug, einen solchen Weg mitzugehen?

Es wird ihnen nichts anderes übrigbleiben. 2027 wird der dann älteste Generalmusikdirektor der Welt verabschiedet. Bis dahin: L'chaim, Daniel Barenboim, auf das Leben! Gesundheit! Und Masel tov, viel Glück!

Contra: "Von Erneuerung und künstlerischem Aufbruch keine Spur"

Ein Kommentar von Uwe Friedrich

Nun bleibt Daniel Barenboim der Berliner Staatsoper und der ihm in Nibelungentreue ergebenen Staatskapelle also weitere fünf Jahre erhalten. Von Erneuerung und künstlerischem Aufbruch keine Spur. Wieder einmal bewahrheitet sich, dass es in der Berliner Kulturpolitik überhaupt nicht um Kunst, um Wagemut, gar um Innovation geht. Kultursenator Klaus Lederer von der Linken reicht es völlig, wenn der Betrieb halbwegs reibungslos läuft. Und wenn das durch einen Musikdiktator alter Schule gewährleistet wird, dann schaut der Senator über die lästigen Details im menschlichen Umgang auch schon mal großzügig hinweg.

Viel zu lange auf dem gleichen Posten

Die Botschaft dieser Vertragsverlängerung an die Opfer des Generalmusikdirektors lautet nebenbei auch: Ein Genie wie Barenboim darf das. Nun kann man mit guten Gründen sagen, am Theater, in der Musik gelten andere Gesetze, ist der Ton erhitzt und rau. Selbst, wenn wir das mal akzeptieren, bleibt das Problem, dass Barenboim seit 1992 Generalmusikdirektor und de-facto-Gesamtchef dieses Kunstbetriebs ist. Üblicherweise wechselt das künstlerische Leitungspersonal an Opernhäusern nach zehn Jahren. Bei unumstrittenem Erfolg vielleicht auch mal nach fünfzehn. Wenn Barenboim seinen Vertrag erfüllt, wird er im Jahr 2027 aber 35 Jahre auf diesem Posten gewesen sein. Das ist auf jeden Fall zu lange.

Die Botschaft an die Opfer lautet: Ein Genie wie Daniel Barenboim darf das.
Uwe Friedrich über Daniel Barenboim

Barenboim kann niemand Stoppen

Jedes Opernhaus, aber auch jede Stadt hat Abwechslung verdient, die kreative Verstörung, wenn ein neues Team mal ganz andere Sachen macht. Stattdessen wird es an der Berliner Staatsoper einen weiteren "Ring des Nibelungen" geben, während auch die Deutsche Oper einen schmiedet. Warum? Weil Barenboim es durchsetzen kann. Weil ihn niemand stoppt und sich zu sagen traut, das braucht in Berlin niemand, mach das doch einfach woanders. Klar, die Staatskapelle schwört auf ihren Generalmusikdirektor. Er garantiert nach wie vor lukrative Tourneen nach Nord- und Südamerika sowie Plattenverträge. Dieses System wäre sicher gefährdet, wenn ein neuer GMD käme und, schrecklicher Gedanke für die Musiker, etwas verändern würde. Risiken eingehen, das machen Berliner Klassikstars halt nicht so gerne.

Es gibt Alternativen zur Übermacht

Der Berliner Kultursenator hätte natürlich auch mal nach Dresden schauen können. Da ist Christian Thielemann Chefdirigent der Staatskapelle, ist Aushängeschild in Konzerten und Tourneen, lässt die Oper, deren Generalmusikdirektor er ausdrücklich nicht ist, aber bis auf ein paar Abende weitgehend in Ruhe. Das hätte für Barenboim und Lederer eine gleichermaßen gesichtswahrende Lösung sein können. Der Dirigent schwebt über allen Wassern, die er aber auch nicht weiter stört, und lässt sich von seinen Fans für seine Verdienste feiern. Eine Premiere pro Spielzeit, meinetwegen auch einen neuen "Ring", wenn es denn sein muss, und in der Oper hätte man in aller Ruhe nach zukunftsträchtigen Perspektiven suchen können.

So aber wird Barenboim einen unserer exponiertesten Kulturtempel weiter wie sein Privateigentum behandeln, weil er zu eitel und der Kultursenator zu schwach ist für eine vernünftige Lösung.

Sendung: "Leporello" am 05. Juni 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Freitag, 07.Juni, 08:08 Uhr

Ulrich Krüner

Verlängerung von Barenboim in Berlin

Barenboim und Staatskapelle Berlin ist einmaliges Erlebnis. Schließlich Barenboim dafür gesorgt, dass die Staatsoper komplett renoviert wurde auch wenn es länger gedauert hat. Ohne ihn hätte Berlin das Geld nicht ausgegeben. Die Staatskapelle selber ist heute eines der besten Orchester. Und die Berliner lieben ihren Barenboim.

Donnerstag, 06.Juni, 21:03 Uhr

Clara S. Wondar

Was für eine Farce!

Was für eine Farce. Eine Kapitulation des menschlichen Anstandes in diesem Kulturland. Eine Bankrotterklärung an das politische Vertrauen.
Barenboim ist zum Synonym des Machtmissbrauches an deutschen Theatern geworden.
Das erste Mal war die Spitze eines Eisberges zu sehen.
Intendanten, Opern- und Schauspieldirektoren, besonders aber Dirigenten die mit Menschen umgehen als gäbe es in diesem Land keinerlei Menschenrechte.
Es wäre die Chance einer grundlegenden Diskussion um die so oft zitierten Werte wie Respekt, gegenseitige Achtung, Empathie, die Unantastbarkeit der menschlichen Würde gewesen.
Die mit würgendem Krampf konstruierten Worte des Berliner Kultursenators Klaus Lederer lassen zumindest das tiefe Unwohlsein ahnen, einem selbstverliebten und sakrosankten Diktator wie Barenboim, entgegen aller Realität das Vertrauen aussprechen zu müssen.
Wenn der Mensch Daniel Barenboim ein Minimum dessen besäße was man ihm an moralischer Kompetenz unterstellt, wäre er reumütig gegangen.

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