Mit acht Jahren hat sich Aaron Pilsan in die Musik von Johann Sebastian Bach verliebt. Heute gehört der 29-jährige Pianist zu einer jungen Generation von Kammermusikern, die sich auch mal an Besetzungen und Repertoire abseits der Konventionen herantrauen. So nun auch in München, wenn er mit Sindy Mohamed und Juri Vallentin im BR-KLASSIK-Studiokonzert spielt.
Bildquelle: © Harald Hoffmann
BR-KLASSIK: "Es war einmal …" – gibt es Märchen, die Sie besonders mögen oder mit denen Sie besondere Erinnerungen verbinden?
Aaron Pilsan: Ich habe als Kind viele Märchen gehört, teilweise auch unterschiedliche Fassungen, weil ich aus Österreich stamme, aber halb Rumäne bin. Dementsprechend gab es zum Beispiel bei "Rotkäppchen" verschiedene Versionen. Das fand ich immer ganz spannend. Daran erinnere ich mich gerne.
BR-KLASSIK: Beim Studiokonzert stehen etwa Robert Schumanns "Märchenbilder" für Klavier und Viola auf dem Programm, aber auch die "Schilflieder" von August Klughardt. Mit welcher Märchenfigur oder Geschichte können Sie sich identifizieren?
Aaron Pilsan: Vielleicht mit Harry Potter, also einem modernen Märchen.
BR-KLASSIK: Und Ihre Musikerfreunde Sindy Mohamed und Juri Vallentin?
Aaron Pilsan: Wir sind in unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen. Daher kommen immer verschiedene Elemente mit dazu. Bei der Probenarbeit haben wir uns aber hauptsächlich mit den Geschichten aus der Musik auseinandergesetzt, weniger mit unseren persönlichen Geschichten.
BR-KLASSIK: Wie sind Sie drei sich begegnet und zusammengekommen?
Aaron Pilsan: Sindy kenne ich schon sehr lange. Wir waren beide einmal bei meinem früheren Lehrer Lars Vogt in Newcastle eingeladen und haben unabhängig voneinander solistisch mit Orchester musiziert. Hier in Berlin sind wir uns wieder begegnet. Juri habe ich dann über Sindy und die Agentur kennengelernt. Wir haben uns einmal getroffen, zusammen gespielt und gemerkt, dass wir uns sehr gut verstehen.
BR-KLASSIK: Und wie kam es zu dem Märchen-Programm?
Aaron Pilsan: Die Besetzung ist eher ungewöhnlich, gerade in der Kombination mit Bratsche und Oboe. Da gibt es nicht allzu viel Repertoire, das ursprünglich für dieses Ensemble komponiert wurde. Sowohl in den Rhapsodien von Loeffler als auch den "Schilfliedern" von Klughardt gibt es literarische Bezüge. Und dann sind wir natürlich auch auf die "Märchenbilder" und die Romanzen von Schumann gestoßen. So ergab sich ein Leitfaden durch das Programm.
BR-KLASSIK: Sie spielen gerne und viel Kammermusik. Was muss passieren, damit Sie wissen, dass Sie sich musikalisch mit jemandem verstehen?
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Kian Soltani & Aaron Pilsan: Schumann, Nr.3 „Rasch mit Feuer" | SWEET SPOT.
Aaron Pilsan: Die Chemie muss stimmen. Das ist, wie wenn man jemanden im Alltag kennenlernt. Manchmal passt es halt besser, manchmal weniger gut. Das kann man auch nicht vorhersehen. Meistens zeigt sich das tatsächlich auch erst auf der Bühne, wie spontan ich auf die anderen hören kann und wie gut man sich versteht. Mit manchem Freund kann man einfach einen ganzen Abend verbringen und merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht. Und bei anderen muss man erst mal versuchen, irgendwie die Stille zu töten. So ähnlich ist das beim Musizieren .
Am Dienstag, 27. Februar 2024, spielen Aaron Pilsan, Sindy Mohamend und Juri Vallentin im Trio live im Studio 2 des BR-Funkhauses in München.
Programm:
August Klughardt Schilflieder, op. 28
Robert Schumann Drei Romanzen, op. 94, Märchenbilder, op. 113
Charles Martin Loeffler Zwei Rhapsodien
Robert Kahn Serenade, op. 73
BR-KLASSIK überträgt den Abend von 20:05 an live im Radio.
BR-KLASSIK: Aaron Pilsan, Ihr Name klingt nicht unbedingt österreichisch. Sie haben ja erwähnt, dass Sie halb Rumäne sind, auch wenn Sie im vorarlbergischen Dornbirn groß geworden sind ...
Aaron Pilsan: Mein Vater kommt ursprünglich aus Rumänien, aber ich bin in Österreich aufgewachsen und dann zum Studium nach Hannover gezogen. Mittlerweile lebe ich in Berlin. Ich bin nicht wirklich zweisprachig aufgewachsen. Ich kann mit meiner Oma ein wenig rumänisch sprechen. Deswegen auch der Märchenbezug. Aber ich bin nicht fließend firm beim Lesen und Schreiben.
Die Musik ist dabei immer meine besondere Heimat, jeden Tag ein Ort zum Zurückkehren.
BR-KLASSIK: Was bedeutet denn Heimat heute für Sie?
Aaron Pilsan: Ich empfinde Heimat dort, wo ich mich am wohlsten fühle. Mittlerweile bin ich in Berlin zu Hause. Die Musik ist dabei immer meine besondere Heimat, jeden Tag ein Ort zum Zurückkehren.
BR-KLASSIK: Was schätzen Sie an Berlin?
Aaron Pilsan: Die Stadt bietet ein buntes Geschehen und gleichzeitig Anonymität. Ich kann einfach zu Hause sein, mein Ding machen und bin niemandem Rechenschaft schuldig. Aber ich kann genauso gut ausgehen und Party haben. Alles ist möglich. Und mir gefällt das Zusammenspiel von so vielen verschiedenen Menschen mit unterschiedlichem Background.
BR-KLASSIK: Wie sind Sie denn überhaupt zur Musik oder zur Klassik gekommen?
Die Bratschistin Sindy Mohamed. | Bildquelle: © Nikolaj Lund Aaron Pilsan: Ich bin hauptsächlich mit Kinderliedern groß geworden. Ich habe als Kind immer gerne Musik gehört. Meine Eltern haben mir dann gezeigt, wie ich Kopfhörer bedienen kann. Sie sind beide keine Musiker. Aber sie haben mich in der Musikschule angemeldet, um zu schauen, was mir gefallen könnte. Ich habe mich sehr früh für das Klavier begeistert und bin da dann reingewachsen. Durch die Musikschule habe ich später Kontakt zum Mozarteum in Salzburg bekommen. Mit acht Jahren habe ich zum ersten Mal einen Band mit Bach-Noten entdeckt und mich darin verliebt. Ich wusste sofort: Das ist meine Welt, das möchte ich auch mein Leben lang machen. Mit zwölf Jahren bin ich zum Jungstudium gekommen und später dann zum professionellen Konzertgeschehen.
BR-KLASSIK: Inwiefern gab es jemals einen Plan B?
Aaron Pilsan: Den Plan B hat es nie gegeben. Natürlich gibt es immer verschiedene Ausprägungen. Mittlerweile mache ich ja zum Beispiel auch Online-Kurse für Amateure und angehende Pianisten, was für mich sehr wertvoll ist. Mentees von mir werden auch im Publikum in München sein. Das Aufnehmen von Alben hat sich sehr geändert. CDs sind weniger wichtig geworden. Dafür kann man aber mehr online machen.
Was ein bisschen verloren geht, ist das tiefe Hineinfühlen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer geworden. Das ist schade.
Bei Konzerten ändern sich internationale Konstellationen. Aber Musik bleibt immer der Kern des Ganzen. Was ein bisschen verloren geht, ist das tiefe Hineinfühlen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer geworden. Das ist ein bisschen schade. Gleichzeitig gibt es aber Möglichkeiten, über Social Media viele Menschen zu erreichen und zu begeistern. Das war früher in dem Ausmaß nicht möglich. Mein Lehrer hat das Vermittlungsprogramm "Rhapsody in School" mitbegründet, das versucht, Kinder für klassische Musik zu begeistern. Das ist nach wie vor sehr wichtig. Aber zum Beispiel sehe ich jetzt, dass ich auch mit TikTok-Videos viele Teenager erreiche, die auf mich zukommen und sich inspirieren lassen. Das ist auch ein Weg, junges Publikum abzuholen. Auch über Instagram haben mich junge Leute gefunden, die dann gelegentlich ins Konzert kommen. Das ist das Allerwichtigste. Das ist das, wovon die Musik lebt.
Der Oboist Juri Vallentin. | Bildquelle: Uwe Mühlhäusser Dafür setze ich mich auch ein, um das Klavier wieder in die Wohnzimmer zu bringen und Leute zu ermutigen, selbst zu spielen, Musik miteinander zu teilen und darüber zu sprechen. Ich mag das nicht, wenn so viel Distanz herrscht zwischen den Menschen auf der Bühne und den Menschen im Publikum. Ich bin immer sehr gerne bereit, nach dem Konzert mit den Leuten zu sprechen. Der persönliche Kontakt ist sehr wichtig, und der wurde lange Zeit vernachlässigt. Die Künstler waren ein bisschen im Elfenbeinturm. Das versuche ich gerade wieder aufzubrechen.
BR-KLASSIK: Welche Tipps können Sie Laienmusikerinnen und -musikern mitgeben?
Aaron Pilsan: Ich setze mich immer dafür ein, dass man nicht zu professionell wird in seinen Ansprüchen. Es geht darum, die Begeisterung für die Musik zu leben und wirklich aus purer Leidenschaft zu musizieren. Das geht bei den Profis manchmal ein wenig verloren. Ich lasse mich da auch immer sehr gerne von meinen Mentees inspirieren. Wichtig ist, dass man das Üben mit Strategie angeht, weil die meisten Menschen, die das nicht professionell machen, neben einem Vollzeitjob einfach nur begrenzt Zeit haben.
Es geht darum, dass man die Zeit in eine Art Entdeckungstour aufteilt. Dass man einerseits neue Stücke kennenlernt und andererseits Grundlagen aufbaut, aber dabei vermeidet, dass man technisch zu sehr verkrampft. Amateuren kann es sehr schnell passieren, dass sie sich an Problemstellen festbeißen, viel Zeit investieren und nicht gut weiterkommen. Also es geht darum, eine gute Balance zu finden.
BR-KLASSIK: Haben Sie als Kind gerne geübt?
Aaron Pilsan: Ich habe immer gerne geübt. Meine Eltern haben mich nur gefragt: Wann übst du heute? Ich habe ihnen eine Zeit gesagt, und dann haben sie mich daran erinnert. Zunächst habe ich im Keller in einem eigenen Raum gespielt, später im Wohnzimmer. Ich habe das Üben immer mehr im Sinne von Ausüben empfunden, denn als langweilige, monotone Tätigkeit. Über die Jahre habe ich mein eigenes Ökosystem entwickelt, das ich auch weitergebe. Das ist im Prinzip immer das Gleiche, egal auf welchem Niveau. Es geht immer erst einmal darum, von innen heraus eine klare Vorstellung zu entwickeln: Was möchte ich überhaupt? Was möchte ich mit dem Stück sagen? Was möchte ich rüberbringen? Und dann im zweiten Schritt zu überlegen, wie komme ich dahin? Also sehr früh zu identifizieren: Wo sind die schwierigsten Stellen? Für technische Fragen gibt es eine Art Werkzeugkoffer. Ausgangspunkt ist aber das Stück, und ich befasse mich möglichst viel mit den Stellen, die ich noch nicht kann. Das kostet eine gewisse Überwindung, weil man sich sehr gerne selbst hört, wie man gut spielt. Ein wichtiger weiterer Schritt ist dann das Vorspielen – zunächst im Bekanntenkreis, um ein bisschen Feedback zu bekommen und Erfahrungen zu sammeln.
BR-KLASSIK: Wie prägend war die traditionelle österreichische Volksmusik für Sie?
Aaron Pilsan: Die Frage ist relevant, mit welcher Musik man aufwächst. Und die Blasmusik spielt in Österreich tatsächlich immer noch eine wichtige Rolle. In der Schule hatte ich immer Freunde, die in der Kapelle mitgespielt haben. Alle Nachbarn haben das gemacht. Und wenn man zum Beispiel zur Schubertiade geht, spielen in der Pause auch mal Hörner. Das ist eine Tradition, die immer noch gelebt wird.
BR-KLASSIK: Wo holen Sie sich abseits der Musik Inspiration und Anregungen?
Aaron Pilsan: Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen blöd, aber tatsächlich viel online, also viel über Social Media. Ich nutze das, um zu sehen, was Andere machen. Ich lese auch noch nach wie vor gerne Bücher. Ich bin ein großer Fan von Storytelling in jeglicher Form. Ansonsten Bewegung, Sport und andere Menschen. Das sind die wichtigsten Quellen für mich.
BR-KLASSIK: Welche Rituale gibt es für Sie an einem Konzerttag?
Aaron Pilsan: Früher habe ich so einen Tag ziemlich neurotisch durchgeplant. Mittlerweile gibt es nur Mini-Rituale. Ich versuche, die Konzerte so natürlich wie möglich zu nehmen. Das heißt, ich habe Rituale, die ich tagtäglich oder jede Woche mache und dann halt auch an einem Konzerttag. Ich finde, je mehr man da so etwas Besonderes daraus macht, desto angespannter wird man. Und desto unnatürlicher wird auch das Spiel. Für mich soll das einfach ein Teil des Lebens sein, was es auch ist. Es geht um Kommunikation mit dem Publikum, sich also auf die Bühne zu stellen und etwas mit anderen Menschen zu teilen. Natürlich bin ich nervös. Aber das ist dann mehr ein natürlicher Bestandteil des Lebens und aus meiner Erfahrung auch besser fürs Resultat.
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