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Jazzpianist Ahmad Jamal ist tot Meister funkelnder Konturenschärfe

Der Pianist Ahmad Jamal ist tot. Miles Davis sagte einst über diesen herausragenden amerikanischen Jazzmusiker: "Ich fiebere jeder neuen Platte von ihm entgegen." Jetzt ist, wie die "Washington Post" berichtet, Ahmad Jamal im Alter von 92 Jahren gestorben.

Jazz pianist Ahmad Jamal performs at the Louisiana Jazz and Heritage Festival in New Orleans, Saturday, April 30, 2011. (AP Photo/Gerald Herbert) | Bildquelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Gerald Herbert

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Er war noch bis ins hohe Alter aktiv: nicht selbstverständlich bei einem Musiker, dessen Stil stets von besonderer Brillanz und außergewöhnlich raffinierten Details geprägt war. Im Februar 2020, kurz vor Ausbruch der Corona-Krise, gastierte er noch im Kennedy-Center in Washington - das war wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag. Und dabei hatte er laut der lokalen Presse immer noch eine funkelnde musikalische Präsenz: mit zugleich viel Kraft und Delikatesse des Anschlags und schillernder Spiel-Phantasie. 2019 war sein Album "Ballades" erschienen - es war zugleich ein Debüt: sein erstes- Solopiano-Album. Sehr überrascht hatte er seine Anhänger auch schon im Jahr 2016 - da war er 85 - als er mit dem 1975 geborenen Rapper und Slam-Poeten Abd Al Malik zusammenarbeitete - für ein Stück, in dem er der 2600 Jahre alten französischen Stadt Marseille huldigte, die er offenbar besonders liebte. 2017 erhielt er einen Grammy für sein Lebenswerk. Am 16. April 2023 ist Jamal in seinem Zuhause in Ashley Falls, Massachusetts, an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.

Markanter Stil von Anfang an

Der Pianist Ahmad Jamal formte und erlebte eine Karriere, die sieben Jahrzente dauerte und in der er stets am Puls der Zeit blieb. Das ist eine immense Leistung. Und noch erstaunlicher ist sie, wenn man die ganz hohe Qualität des Klavierspiels von Ahmad Jamal in Rechnung stellt. Der von Miles Davis und vielen anderen großen Musikerkollegen bewunderte Musiker, der schon in ganz jungen Jahren einen markanten, von kantig klaren Bässen und einer ungemein griffigen Melodik gekennzeichneten eigenen Stil prägte, war eine der herausragenden Tastengrößen des Jazz. Und eine, die eigentlich noch viel berühmter über den Jazz hinaus hätte sein müssen.

Durchbruch mit "Live at the Pershing"

Ahmad Jamal wurde am 2. Juli 1930 in Pittsburgh, Pennsylvania, geboren. Eigentlich hieß er Frederick Russell Jones, aber nach seinem Übertritt zum Islam 1952 nannte er sich Ahmad Jamal. Eine Live-Aufnahme von 1958 wurde zu seinem großen Durchbruch. Die Langspielplatte mit den Aufnahmen war 108 Wochen lang in den Verkaufs-Bestenlisten. "At the Pershing: But Not For Me" hieß das damalige Album, das Mitschnitte aus der Lounge der Pershing Hotels in Chicago vom Januar 1958 präsentierte. Acht Stücke, die sozusagen die Quintessenz eines ganzen Jahres waren, in dem das damalige Trio Ahmad Jamals sechs Tage die Woche in der Pershing Lounge spielte. Israel Crosby am Bass, Vernel Fournier am Schlagzeug und Ahmad Jamal am Klavier spielten Stücke wie den (für das Album namensgebenden) Gershwin-Klassiker "But Not For Me" - und die große Klasse des Trios und nicht zuletzt des Pianisten wurde dabei gerade in Momenten deutlich, in denen Jamal Pausen setzte. Da spielte er zum Beispiel an einer markanten Stelle die ersten Töne des Themas in Akkorden an, macht eine Pause - und paraphrasierte dann den Rest der Melodie in Einzeltönen. Das ist noch heute beim Hören so spannend, dass man den Atem anhält - und es sind ganz leise Stilmittel.

Das magische Stück "Poinciana"

Auf diesem Album befand sich auch eine Interpretation, die zu seinem Signaturstück werden sollte: seine Instrumentalversion des Songs "Poinciana", ein Lied aus dem Jahr 1936, das dem "Flammenbaum" (Royal Poinciana) gewidmet war und im Untertitel "Song of the tree" heißt. Acht Minuten und neun Sekunden dauert die Aufnahme von Jamals Trio von 1958. Sie entwickelt sich ganz ruhig über einem fast trance-artig dahintreibenden Rhythmus von Schlagzeug und Bass: Darüber legte Jamal zunächst zarte Akkorde und dann sehr markante rhythmische Akzente - und spannte einen bezwingenden Bogen, in dem immer wieder die zarte Melodie des Originals aufleuchtete. Besonderen Reiz gewann die Aufnahme auch durch eine Passage mit feinen Motivwiederholungen im Diskant, die eine Art hypnotischen Sog entfalten.

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Ahmad Jamal - Poinciana - Olympia Paris - LIVE | Bildquelle: Zycopolis TV (via YouTube)

Ahmad Jamal - Poinciana - Olympia Paris - LIVE

Ahmad Jamal und seine Band mit "Poinciana" 2012 in Paris

Hör mal zu, wie er mit Luft und Raum umgeht.
Miles Davis über Ahmad Jamal

Der Trompeter Miles Davis fand diese Musik damals besonders aufregend und holte sich auch für seine eigene Musik Anregungen von Ahmad Jamal. Davis, der Mann mit der sehr brüchigen Stimme und der großen Autorität, sagte zum Beispiel: "Hör mal zu, wie Ahmad Jamal mit Luft und Raum umgeht. Er macht das so, dass man die Rhythmusgruppe jederzeit spüren kann - und die Rhythmusgruppe spürt dich. In dieser Musik herrscht keine Enge." Damit charakterisierte Davis das Spiel Jamals so treffend, dass man seine Sätze auch auf ganz aktuelle Aufnahmen des Pianisten anwenden kann. Luft und Raum innerhalb eines stark spürbaren Rhythmus.

Jamals Platten verkauften sich bestens

Der Pianist Randy Weston schilderte einmal seine Bewunderung für Jamal mit folgenden Sätzen: "Ich führte ein Plattengeschäft in der 125. Straße, weil wir zu wenig Auftritte hatten, um unsere Miete zu zahlen. So betrieb ich also dieses Plattengeschäft mit Fats Wallers Sohn, der mir viele Geschichten von seinem Vater erzählte, von dem ich immer fasziniert war. Eines Tages bekamen wir eine Lieferung mit einer LP, von der wir gleich so viele Exemplare verkauften, dass wir Kisten über Kisten davon nachbestellen mussten. Und ich war sehr glücklich über diesen Erfolg. Manche Musik setzt sich durch bei einem großen Publikum, weil sie sehr melodiös ist oder sich durch ein besonderes Timing auszeichnet, aber diese Platte, die war schlicht so wunderschön, dass sie einfach jeden ansprach."

Bei Jamal konnte man fast jede Note mitsummen, wenn er ein Solo spielte. Die Musik kommt direkt auf einen zu, und das ist große Kunst!
Randy Weston über Ahmad Jamal

Die Gitarre klang wie eine Conga

Schon Jahre vor den Mitschnitten aus der Pershing Lounge hatte Jamal Trio-Aufnahmen gemacht. Und zwar in der besonderen Besetzung Klavier, Bass und Gitarre. Der Pianist und weit über den Jazz hinaus erfolgreiche Sänger Nat King Cole hatte 1939 diese Instrumenten-Kombination geformt. Der Kanadier Oscar Peterson führte sie später spektakulär weiter. Doch noch vor Oscar Peterson hatte Ahmad Jamal ein Klaviertrio mit Gitarre statt Schlagzeug gebildet. Eine Spezialität seines Trios: Die Gitarre wurde manchmal zu rhythmischen Akzenten eingesetzt: Sie klang dann wie eine Conga, hatte also in der Rolle im Trio manchmal eine Verwandtschaft zum Schlagzeug.

Ökonomisch, glanzvoll und überhaupt nicht harmlos

Ahmad Jamal (1982 )  | Bildquelle: picture alliance / Avalon/Retna | Michael Putland Ahmad Jamal und seine Band 1982 | Bildquelle: picture alliance / Avalon/Retna | Michael Putland Durch zwei ganz markante Bestandteile war der pianistische Stil Jamals geprägt. Der eine: prägnante, oft kantig-rhythmische Figuren in den Bässen. Und der andere: griffigen Melodie-Phrasen, die sehr ökonomisch gesetzt waren und viel Platz für Pausen ließen - oder "Luft", wie Miles Davis sagte. 1986 veröffentlichte Jamal ein Album, in das er sehr geschickt Elemente des Fusion-Jazz integrierte, nicht zuletzt durch die Besetzung eines E-Basses statt eines Kontrabasses: "Rossiter Road". Darin kam einem die Musik genauso unmittelbar entgegen, wie Jamals Kollege Randy Weston das einst beschrieben hatte. Es war auch: eine Musik, die damals nicht klang wie die eines Pianisten, der schon seit über dreißig Jahren im Geschäft war. Aufnahmen wie diese, aber generell Jamals sehr ökonomischer, nie auftrumpfender Stil, sein Sinn für melodische Fasslichkeit und die Schönheit seiner Tonbildung haben Menschen mit leichtfertigen Ohren immer wieder dazu verführt, Jamals Musik für harmlos zu halten - was aber der Tiefgründigkeit seiner Stücke bei weitem nicht gerecht wird.

Ein Höhepunkt der Jazzwoche Burghausen 1999

Auch bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen war dieser vorzügliche Pianist zu erleben. Die Aufnahmen mit ihm und seiner Band gehören zu den besonderen Schätzen, die der Bayerische Rundfunk aus Burghausen mitbringen konnte. Am 21. März 1999 spielte Jamal in der Wackerhalle Burghausen - mit James Cammack am Bass und James Johnson am Schlagzeug.

Spiritueller Sound mit Understatement

Besonders stark war der Pianist Ahmad Jamal, wenn er Musik mit spirituellem Hintergrund machte. Auf dem späten Album "Marseille" (2016) findet sich auch ein berühmter Spiritual: "Sometimes I feel like a motherless child", ein Lied mit Zeilen des Selbsttrostes aus Zeiten der Sklaverei durch Hinwendung zur Religion. Die existentielle Dimension solch eines Stücks ließ Ahmad Jamal in schier lakonischen Melodiekürzeln hindurchblitzen. Ein emotionales Understatement. Letzteres lässt sich über viele herausragende Aufnahmen dieses Pianisten sagen - auch über sein besonders starkes Trio-Album "The Awakening" von 1970. Wie er da im Titelstück ein luftig-leichtes Thema mit tiefengrundierten Gegenmelodien zu einem ungemein gelassenen und dabei hochkomplexen Swingen bringt, ist allerhöchste Klaviertrio-Kunst. Von nun an ist die enorm brillante und konturenscharfe Kunst des Frederick Russell Jones alias Ahmad Jamal nur noch auf Konserve zu erleben: Sie bleibt atemberaubend.

Sendung: Jazztime am 17. April 2023 ab 23.05 auf BR-KLASSIK

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