So weiche und vollendete Linien wie er spielten die wenigsten. Jedenfalls im Jazz. Und auf seinem Instrument: der Trompete. Er fesselte Hörer von Tokyo bis New York mit müheloser Klangeleganz. Jetzt wurde bekannt, dass der Jazzmusiker, der seit Jahrzehnten in München lebte, im Alter von 91 Jahren gestorben ist.
Bildquelle: Jan Scheffner
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Er war ein Meister des entspannten Tons. Vermutlich gab es kaum einen Jazz-Trompeter, der bei seiner Arbeit lockerer aussah. Egal, mit wem er auf der Bühne stand: Er ruhte in sich. Wenn sein Solo dran war, dann schlenderte er lässig in seinem legeren Jackett zum Mikro, setzte das Instrument an die Lippen und ließ die Töne swingen: und zwar in feinen, niemals angestrengt wirkenden Linien, die aber mit viel Gespür für die Form aufeinander aufbauten. Ein Trompetensolo: Das war bei ihm kein Schneller-höher-weiter mit inszeniertem Kraftaufwand, sondern eine spontane Komposition. Beim Jazz das hohe Ideal - aber nur von wenigen so gut beherrscht wie diesem aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Weltstar, der lange Zeit die Wahlheimat München hatte: Dusko Goykovich.
Goykovich protzte nie mit seinen musikalischen Muskeln, er setzte sie mit allergrößter Beiläufigkeit ein - und seine Töne trafen immer ganz genau. In purer Eleganz. "A hell of a trumpet player" nannte ihn einer, der selber ein Trompeten-Überflieger war: der Amerikaner Dizzy Gillespie. Wenn die Hölle etwas mit besonders formvollendeten Tönen zu tun hat, dann hatte Gillespie recht mit diesem Ausspruch.
Es erstaunte viele, die Dusko Goykovich über die Jahre immer wieder erlebt haben, stets aufs Neue: Selbst die quirligsten Töne kamen bei ihm wie aus dem Ärmel geschüttelt. Man spürte nicht die geringste Mühe. Und das war bei ihm noch bis vor wenigen Jahren so: in einem Alter, in dem die Mundwerkzeuge nicht mehr selbstverständlich geeignet sind für strahlende Trompetentöne. In letzter Zeit war Dusko Goykovich nicht mehr auf der Bühne zu erleben. 2019, an seinem 88. Geburtstag, trat er im Münchner Jazzclub "Unterfahrt" auf, stand noch gelassen wie eh und je auf der Bühne und spielte hervorragend durchgestaltete Soli. Doch danach sagte er, beim Feiern unter alten Bekannten: "Ich muss jetzt mal ein bisschen Pause machen mit den Konzerten." Er trat dann aber noch einige wenige Male auf: Sein letztes Konzert gab er kurz vor dem ersten Corona-Lockdown, im Februar 2020. Kurz zuvor war er sogar noch als Gastsolist bei der Big-Band Burghausen aufgetreten
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Guca : Cocek Srece Chochek of Happiness Gypsy Groovz Orchestra featuring Dusko Gojkovic
Am 14. Oktober 1931 wurde Dusko Goykovich in einem Ort namens Jaice in Bosnien geboren, er wuchs aber in Belgrad auf. Als 16-Jähriger hörte er auf einem selbstgebauten Kurzwellenempfänger heimlich "Voice of America". Die im damaligen Jugoslawien verbotenen Töne etwa von Louis Armstrong und Roy Eldridge ließen ihn nicht mehr los. Von geliehenem Geld kaufte er sich bei einem Trödler ein gebrauchtes Kornett (also jenes trompetenähnliche Instrument, mit dem auch Louis Armstrong ursprünglich bekannt wurde). Er nahm Unterricht und wurde bald zum begehrten Mitglied von Tanzkapellen, die heimlich auch gern Jazz spielten. Als sich das Tito-Regime schließlich mehr westlich orientierte und sogar eine Bigband im Staatsrundfunk zuließ, konnte Dusko Goykovich dem vorher verpönten Jazz endlich gefahrlos auch öffentlich frönen. Und er blieb dabei.
1955 nutzte Goykovich eine Gastspiel-Einladung nach Frankfurt am Main, um im Westen zu bleiben. Er quartierte sich mit Feldbett und Marinesack im Jazzkeller ein, übte tagsüber und jammte nachts. Wenig später spielte er in München bei Max Greger und in Köln bei Kurt Edelhagen, trat mit amerikanischen Weltstars auf. Anfang der 1960er-Jahre lebte er selbst in den USA, studierte in Boston Jazztheorie, Komposition und Arrangement, wurde für die Big Bands von Woody Herman und Maynard Ferguson engagiert. Doch 1966 kehrte er nach Deutschland zurück. Denn zum einen merkte er schnell, dass ein Jazz-Solist in den USA stets Gefahr lief, auszubrennen. Und zudem hatten ihm berühmte Kollegen wie Miles Davis klargemacht, dass es wichtig ist, einen eigenen Ton zu finden: "Play your own thing", hieß die Devise. In Europa konnte er das "own thing" besser verwirklichen. Und das tat er schnell.
Wieder in Deutschland, nahm er in Köln ein Album auf, das Maßstäbe setzte: "Swinging Macedonia". Die vertrackten Rhythmen und melancholisch angehauchten Melodien Südosteuropas verband er auf dieser Platte mit aktuellen Jazztönen so hervorragender Partner wie Saxofonist Nathan Davis und Pianist Mal Waldron. Das war Jazz, der anders groovte als der sonst gängige. "Balkan-Jazz" nannte man diese Mischung alsbald.
Ich hab versucht, dieses Balkan-Melos und den Rhythmus in ein Jazz-Idiom zu bringen - und zwar in einen modernen Jazz-Stil.
Dusko Goykovich spielte dabei nicht einfach bekannte Melodien mit einer jazzigen Besetzung, sondern er versuchte eine Durchdringung: ein groovender Untergrund, aber mit ungewohnten rhythmischen Akzenten, Melodien mit leicht orientalischem Einschlag, aber phrasiert wie moderne Jazz-Linien - und das Ganze mündend in zeitgemäße Improvisationen, in denen das neue Jazz-Spielmaterial nach allen Regeln aktueller Kunst zerlegt und neu kombiniert wurde. Die Balkan-Elemente nicht als Sound-Deko, sondern als Substanz, die sich mit der zeitgenössischen Jazz-Substanz verbindet. Deshalb klingen Goykovichs Stücke wie "Macedonia" oder "Balkan Blue" noch heute nicht nach swingend maskierter Folklore. Sie sind mehr.
"Jazz ist Freiheit": So heißt ein Buch über Dusko Goykovich, das 1995 in der Schriftenreihe des Bayerischen Jazzinstituts Regensburg erschien. Der Titel kam nicht von ungefähr: Goykovich musste sich diese Musik von Anfang an erkämpfen. Freiheit, die nicht selbstverständlich ist. Vielleicht klingt sein Jazz deshalb so gelassen: eine Existenz, für die er hart gearbeitet hat - und die ihn jeden Tag belohnt.
Die Gedanken sind frei, das Spielen beim Jazz auch. Der Politkommissar kann mir nämlich nicht sagen, wie ich zu improvisieren, wie ich einen Blues zu spielen habe.
So begründete Dusko Goykovich, weshalb Jazz für ihn "Freiheit" bedeutete. Um die Freiheit, so zu spielen, wie es seiner Person am besten entspricht, musste Dusko Goykovich aber in unterschiedlichen Lebensphasen jeweils auf andere Art kämpfen. In Ex-Jugoslawien ging es um die Freiheit, überhaupt Jazz spielen zu können. In den USA und der Zeit direkt danach ging es um die Freiheit, seinen eigenen Stil zu finden und zu realisieren. In den Jahrzehnten nach den 1960er-Jahren, als Trends wie Rock-Jazz und Free Jazz neue Maßstäbe setzten, ging es darum, trotzdem am Ball zu bleiben. Dusko Goykovich war da plötzlich jemand, den man mit "Mainstream" verband und nicht mit dem letzten Schrei der Blue Notes. Hier ging es um die Freiheit, mit den eigenen Tönen weiterhin zu existieren. Goykovich schaffte es, weil er so ein herausragender Könner war. Freiheit hing da ganz besonders mit dem zusammen, das man (ungerechterweise) selten mit ihr assoziiert: mit Disziplin. Und die hatte Goykovich wie nur wenige seiner Kollegen.
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Danca Comigo - Dusko Goykovich
Auf "Balkan-Jazz" war er nie zu reduzieren. Dusko Goykovich, der seit 1968 in München lebte und in der Jazz-Szene der Bayerischen Landeshauptstadt stets ein leiser Mentor vieler Musiker war, gehörte zu jenen Musikern, die in den unterschiedlichen klassischen Klängen des modernen Jazz besonders glänzten: Blues, Bebop, Balladen. Und Latin-Jazz, den er besonders liebte. Das alles hatte bei ihm bis in die späten Jahre eine jugendlich strahlende Kraft. Besondere Musikalität - vor allem ein hervorragendes Gefühl für Melodien – ergänzte sich mit besonders gepflegter Spieltechnik.
1998 wurde Goykovich der Schwabinger Kunstpreis verliehen - und 2015 erhielt er den begehrten Musikpreis der Landeshauptstadt München. In der Jurybegründung für diesen mit 10.000 Euro dotierten und hoch angesehenen, spartenübergreifenden Preis hieß es über Goykovich: "Er gilt als Souverän aller Spielklassen, dem es bei aller Virtuosität und musikalischer Kompetenz trotzdem niemals wichtig war, als der Weltstar gefeiert zu werden, der er eigentlich ist. Und er lässt es sich weiterhin […] nicht nehmen, regelmäßig mit seiner Trompete in Münchner Clubs oder an der Hochschule zu erscheinen, um die anderen an seiner Kunst und seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen."
Eigentlich ist es ganz einfach: Du musst immer mit den besten spielen.
Das sagte Dusko Goykovich einmal im Gespräch mit dem früheren BR-Moderator Joe Kienemann. Da gehörte er selber aber auch schon zu den besten. Ein Meister, ein Ausnahme-Könner, einer, der am Boden und stets nah am Mundstück geblieben war. Und einer, der Töne spielte, die berührten: Dusko Goykovich. Weit über München, ja weit über Europa hinaus wird dieser stille Weltstar Fans feiner Töne lange im Gedächtnis bleiben.
Sendungen:
"Leporello" am 06. April 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
"Jazztime" am 06. April 2023 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK