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Kritik – Bayerisches Staatsorchester Dvořák und Strawinsky im Akademiekonzert

Ein Abend zwischen lyrischer Innigkeit und orgiastischem Klangrausch: Das Bayerische Staatsorchester glänzt unter Krzysztof Urbański mit Strawinsky und mit Dvořáks Cellokonzert – meisterhaft gespielt von Solocellist Emanuel Graf.

Bayerisches Staatsorchester | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Da sind sie mal nicht nur zu hören wie sonst bei Opernaufführungen, sondern auch zu sehen – wenn die Musikerinnen und Musiker des Bayerischen Staatsorchesters bei ihren Akademiekonzerten den Graben verlassen und auf der Bühne des Münchner Nationaltheaters Platz nehmen. Und es ist ja auch nicht alltäglich, dass der Solist eines repräsentativen Instrumentalkonzerts aus den eigenen Reihen des Orchesters kommt. So geschehen beim zweiten Akademiekonzert der laufenden Saison, als der 38-jährige Frankfurter Emanuel Graf das Cellokonzert schlechthin, das monumentale h-Moll-Konzert von Antonín Dvořák spielte – vor zehn Jahren hatte ihn der damalige GMD Kirill Petrenko als Solocellist ins Bayerische Staatsorchester geholt.

Emanuel Graf belebt Dvořáks Meisterwerk neu

Geschlagene dreieinhalb Minuten ist der Solist in Dvořáks Meisterwerk zum Schweigen verdammt – so lange dauert das lodernde Orchestervorspiel –, bis er dann endlich mit seinem markanten Soloeinsatz ins symphonische Geschehen einsteigen darf. Emanuel Graf tut das ohne Kraftmeierei, mit angenehm schlankem, aber wunderbar erfülltem Ton – schließlich nennt er eines der raren Stradivari-Celli sein Eigen, natürlich nur als Leihgabe. Im direkten Blickkontakt mit dem immer aufmerksam mitgehenden Dirigenten Krzysztof Urbański legt sich Graf in die strömende Lyrik des Dvořák-Konzerts – und seine Kolleginnen und Kollegen vom Bayerischen Staatsorchester tragen ihren Solocellisten wahrlich auf Händen. Hier schon intoniert die klangschöne, sehr homogene Hörnergruppe des Staatsorchesters bestechend.

Ein Cellokonzert ohne Bombast – und voller Emotionen

Zwar tut sich auch Graf mit den höllisch schweren Doppelgriff-Passagen am Ende des Kopfsatzes nicht leicht. Dafür gelingt ihm der gesangliche Ton des liedhaften Adagios umso inniger und berührender. Nach einem dramatischen Einbruch hält dieser Schmerzensgesang inne – und nach einer Generalpause hebt der Cellist zu einem berückenden Solo an. Graf spielt das ganz schlicht, nah am Gambenklang. Um sich dann im finalen Rondo ganz dem Melos Dvořáks hinzugeben, teils auch im herrlichen Dialog mit Konzertmeister Markus Wolf. Grafs Entscheidung für ein schlankes Klangbild tut dem oft als Schlachtross aufgezäumten Cellokonzert von Dvořák hörbar gut. Wohl dem Orchester, das einen solchen Solocellisten in seinen Reihen hat. Als Zugabe musizierte er zusammen mit seiner Cellogruppe den weihnachtlichen "Cant dels ocells“, den "Gesang der Vögel“ des katalanischen Jahrhundertcellisten Pablo Casals.

Strawinskys "Sacre" – Rhythmus, Ekstase und archaische Kraft

Gleichfalls auswendig dirigiert Krzysztof Urbański dann "Le Sacre du printemps“, Igor Strawinskys einstiges Skandalstück von 1913, das längst zum Kultstück avanciert ist. Urbański kennt diese phänomenale Rhythmusstudie offenbar sehr gut, denn er führt das riesenhafte Orchester nicht nur souverän und überaus präzise durch Strawinskys hochkomplexe Partitur. Immer wieder kitzelt Urbański mit federnder Körpersprache und lässigem Hüftschwung einen fast jazzigen Swing aus dieser archaisch schreitenden Musik, die in ihrem Sujet heute frauenfeindlich anmutet – immerhin opfern hier "alte weise (nicht: weiße!) Männer“ eine Jungfrau einem primitiven Frühlingsritual.

Einer der größten Skandale der Musikgeschichte endet in Handgemenge

Wenn Sie mehr über die tumulthafte Uraufführung von Strawinskys "La Sacre du Printemps" erfahren möchten, klicken Sie hier.

Ovationen für einen unvergesslichen Abend

Wie dem auch sei – Strawinskys geniale Musik entwickelt nach wie vor einen unwiderstehlichen Sog. Vom schrill hohen Fagottsolo zu Beginn und dem nachfolgenden Gegacker der Holzbläser über die brutal stampfenden, rhythmisch verhakten Akkord-Repetitionen bis hin zu den ekstatischen Klangballungen und der dumpf brütenden "Salome"-Exotik am Ende entfesselt das Bayerische Staatsorchester eine brillante Tour de Force. Urbański lässt das Orchester rocken und grooven, achtet aber immer auf Linie und kostet Details genüsslich aus, indem er das Tempo lasziv dehnt und staucht. Die Musikerinnen und Musiker des Bayerischen Staatsorchesters haben sichtlich Spaß an diesem orgiastischen Thriller und beweisen mit ihrer überragenden Klangkultur einmal mehr ihre Klasse. Nach dem abrupten Ende des Stücks dauert es einen langen Schockmoment, bis das begeisterte Publikum in Ovationen ausbricht. 

Sendung: "Allegro" am 26. November 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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