Prügel und Stottern prägten seine Kindheit - die Probejahre bei den Berliner Philharmonikern waren schrecklich. Staroboist Albrecht Mayer gewährt in seiner Biographie "Klangwunder.Wie die Kraft der Musik mich geheilt hat" tiefe Einblicke in sein Leben. Am Freitag erscheint das Buch.
Bildquelle: Christoph Köstlin
Biografie "Klangwunder"
Gespräch mit Albrecht Mayer
BR-KLASSIK: Sie haben in ihrem Buch geschrieben, dass Ihr Vater gerufen hat: Ich wusste, Du würdest das kaputtmachen. Es ging da um eine für ihren Vater wertvolle Figur. Das klingt nach mangelndem Vertrauen. Hat Ihnen da das Vertrauen gefehlt?
Albrecht Mayer: Ich glaube, Selbstvertrauen war nichts, was mir in die Wiege gelegt wurde. Das Selbstbewusstsein oder das Selbstwertgefühl hat sich tatsächlich erst geändert mit der Oboe, mit dem Spiel, mit anderen, dass ich gebraucht wurde und dass ich vielleicht auch etwas konnte, was andere nicht konnten.
BR-KLASSIK: Sie beschreiben sich als blass, als dünn, sommersprossig, und Sie hatten Mühe, sich zu artikulieren. Sie haben gestottert. Auch das natürlich ein Ausdruck von mangelndem Selbstvertrauen. Und jetzt haben Sie schon die Oboe genannt, die ja auch wieder von Ihrem Vater kam. Was war denn die Intention, als Ihr Vater diese Oboe auf den Wohnzimmertisch gelegt hat?
Albrecht Mayer: Die Oboe kam in mein Leben, weil mein Vater eigentlich durch den Übergang ins Gymnasium für mich ein Instrument gesucht hat, was meine Sprachbehinderung, mein Stottern, irgendwie verbessern sollte. Und damals stand die Theorie im Raum, wenn man ein Blasinstrument spielt, dass es dem Stottern, dieser Sprachhemmung, positiven Auftrieb verleihen sollte. Dadurch dass mein musisches Gymnasium in Bamberg, das E. T. A.-Hoffmann-Gymnasium, händeringend nach Oboisten gesucht hat, war der nahe Ratschluss, dass mein Bruder Matthias und ich also Oboe lernen sollten. Ich kam dazu wie die Jungfrau zum Kind. Wir haben es uns nicht ausgesucht, sondern bekamen es quasi auf den Tisch gelegt und sollten das ungefragt lernen.
BR-KLASSIK: Und hat es funktioniert? War es wirklich das Blasinstrument, dass das Stottern kuriert hat? Oder war es einfach diese absolute Liebe, die Sie da zum Instrument gefunden haben?
Albrecht Mayer: Also diese Theorie ist sehr, sehr schön, dass man ein Blasinstrument lernen sollte und dann würde sich die Sprachbehinderung verbessern oder aufheben. Das ist natürlich Quatsch. Da ändert sich gar nichts. Allerdings hat sich alles in meinem Leben verändert durch die Oboe, weil ich plötzlich gebraucht wurde und weil andere mir das Gefühl gegeben haben, ich bin auch gewollt und bin auch vielleicht gemocht. Und natürlich, man verändert sich selber mit anderen zusammen, mit dieser Gemeinschaft. Es gibt kaum etwas Schöneres, als mit anderen gemeinsam Musik zu machen oder in einem Chor zu singen. Und dieses sich sozialisieren - das verändert alles.
BR-KLASSIK: Jetzt haben Sie schon gesagt, dass Sie dieses Selbstvertrauen von außen bekommen haben. Sind sie trotzdem auch auf der Suche nach dem Selbstvertrauen von innen, unabhängig von außen?
Albrecht Mayer: Wir Musiker, die die Bühne brauchen wie andere Menschen die Luft zum Atmen oder Brot zum Essen, wir brauchen die Bühne zum Überleben. Deswegen war die Pandemie für uns besonders schlimm. Wir Musiker werden geeint dadurch, dass wir unser Publikum brauchen.
BR-KLASSIK: Herr Mayer, Ihr Buch ist, finde ich, sehr mutig. Sie schreiben von sich, von dem Star und von dem Oboisten, der alles gut und perfekt machen möchte und sich ungern von der anderen Seite zeigen würde. Jetzt tun Sie das. Warum sind Sie so offen und so persönlich in diesem Buch?
Albrecht Mayer: Seit vielleicht 15 Jahren werde ich immer als Staroboist oder als Superstar oder als Papst der Oboe bezeichnet. Ich wiederhole immer gerne: Hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen gibt es bestimmt einen Oboisten, der ist noch tausendmal schöner, attraktiver, klüger und eloquenter als ich und spielt auch viel, viel schöner Oboe. Aber ich bin in einer Situation, in einer Position, wo ich anderen auch etwas zurückgeben möchte, nicht nur meinem Publikum. Das versuche ich natürlich, glücklich zu machen durch meine Konzerte. Aber auch allen anderen da draußen, die vielleicht unter ähnlichen Problemen leiden, wie ich gelitten habe in meiner Kindheit.
BR-KLASSIK: Sie haben geschrieben, die zwei ersten Jahre bei den Berliner Philharmonikern als Solo-Oboist waren die schlimmsten Jahre ihres Lebens. Sie haben geschrieben, wie Sie Kritik von Kolleginnen und Kollegen eingefangen haben. Sie haben von Intrigen erzählt und was für einen großen Druck das auf Sie ausgeübt hat. Was macht das denn mit einem als Musiker? Und hat sich das verändert? Das ist ja jetzt auch schon ein paar Jahre her.
Albrecht Mayer: Das ist ja genau 30 Jahre her, meine Probejahre hier im Orchester. Ich bin jetzt 30 Jahre hier in Berlin bei den Philharmonikern. Diese Probejahre waren so schrecklich für mich, dass ich sie auch nie vergessen werde. Aber wenn ich meine Kollegen von damals befrage, andere Solo-Oboisten oder andere Solisten bei den Bläsern, bei den Streichern, die haben etwas Ähnliches erlebt. Damals herrschte irgendwie eine Mentalität und eine Stimmung, dass man versucht hat, diese vermeintlichen Hochbegabungen, die das Orchester also eingeladen hat, so weit zu biegen, bis sie vermeintlich brechen, um sie zurecht zu formen.
Es war halt deswegen besonders schlimm für mich, weil - ich kam ja aus Bamberg von den Symphonikern, und da war das genau gegenteilig. Da war der Fall so, dass man junge Kollegen auf Händen getragen hat, um ihnen damit ein Handwerkszeug in die Hände zu geben, dass sie blühen und gedeihen. Und hier in Berlin dachte ich, es würde genauso werden und bin aber doch herbe enttäuscht worden. Das ist das eine.
Albrecht Mayer & Heidi Friedrich: "Klangwunder: Wie die Kraft der Musik mich geheilt hat"
208 Seiten
Preis: €22,-
ISBN: 9783863343453
Erscheint am 23. September 2022 im Adeo Verlag
Leseprobe
BR-KLASSIK: Würden Sie sagen, Sie sind gebrochen worden?
Albrecht Mayer: Damals hat man das versucht. Ich bin ein sehr, sehr, sehr, sehr starker Mensch. Ja, aber es war wirklich absolut fürchterlich. Und ich hatte das große Glück, dass ich damals als Chef Claudio Abbado hatte, mit dem ich super zurechtkam. Und er hat mich immer gestützt. Das war ganz wunderbar, muss ich sagen. Aber ich habe mehr als zehn Mal darüber nachgedacht, wieder zurück nach Bamberg zu gehen.
Jetzt ist es anders als damals. Natürlich ist der Druck immer noch sehr, sehr hoch, weil der Anspruch ist sehr, sehr hoch. Und durch die Digital Concert Hall werden alle unsere Konzerte aufgezeichnet. Also der Druck ist sehr hoch. Aber wir versuchen als Kollegen alle, die das damals mitgemacht haben, natürlich das nicht mehr zu machen. Wir versuchen, die Menschen einzuladen, ihr Bestes zu geben, sie blühen zu lassen. Ich würde sagen, die Stimmung ist sehr, sehr gut im Orchester jetzt, und wir sind sehr kollegial im Umgang miteinander. Also das hat sich wirklich sehr verändert.
Sendung: "Allegro" am 22. September 2022, um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Samstag, 24.September, 21:11 Uhr
Hulliger annerös, organistin
albrecht meyer
hervorragend, sorgfältig gearbeiteter bericht.
Samstag, 24.September, 15:25 Uhr
Burghilt von Studnitz
Albrecht Mayer :"Klangwunder"...
Lieber Herr Mayer,
Ihr Mut und Ihre Ehrlichkeit hat mich- und ich denke viele MusikerkollegInnen -tief und auch dankbar durchatmen lassen!
Sehr herzlich,
Burghilt von.Studnitz ,Mezzosopran
Donnerstag, 22.September, 14:57 Uhr
Hermann Martens
Albrecht Mayers Leiden
Ich bin über Slippedisc.com zu diesen Ausführungen gekommen. Ich finde es bedauerlich, dass seine Klagen über die Verhältnisse in seiner Kindheit und Jugend in Bamberg, die natürlich zu verurteilen sind, fast direkt mit seinen Anfangsjahren bei den Berlinern in Zusammenhang gebracht werden. Wenn es denn bei den Bamberger Symphonikern so ganz anders war als in Berlin, warum ist nicht wieder zurück gegangen. Oder lockte die einmalige Position in der Hauptstadt und bei dem Weltorchester dazu durchzuhalten ? Ich finde die Klagen über die Verhältnisse zu allgemein, zumal doch Claudio Abbado als ein so verständnisvoller Chef geschildert wird. Bei Slippedisc.com wird das Ganze natürlich verkürzt und in latent vorhandener antideutscher Weise wieder gegeben. Beim BR wird es auch in einer Sendung morgens um 6 Uhr gesendet und somit fast versteckt.