Den Krieg kennt die georgische Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili aus ihrer Kindheit. Jetzt singt sie die Amneris in der Neuinszenierung von "Aida" an der Bayerischen Staatsoper. Im Interview erzählt sie, wie der Krieg und die Geburt ihres Kindes ihre Kunst beeinflussen.
Bildquelle: Dario Acosta
BR-KLASSIK: In Salzburg sind Sie 2022 in "Aida" als Amneris eingesprungen. An der Bayerischen Staatsoper gibt es eine neue "Aida" mit Ihnen. Wie ist denn die Inszenierung von Damiano Michieletto für die Sängerinnen und Sänger in München?
Anita Rachvelishvili: Ich hatte schon ein paarmal zusammen mit dem Regisseur Damiano Michieletto gearbeitet, und er ist wirklich ein außergewöhnlicher Typ. Er erklärt einem jedes einzelne Gefühl, das man auf der Bühne zeigen soll. Diese Aida ist so ursprünglich und doch total zeitgemäß, sehr reduziert, sehr menschlich, ohne hübsche ägyptische Accessoires. Wir thematisieren die Probleme, die Kriegssituationen auf der ganzen Welt. Wir stellen also keinen ägyptisch-äthiopischen Krieg dar. Wir schauen auf die Konflikte, auf die Sorgen, auf die Ängste, die Zerstörung, die Verluste, die in so einer Kriegssituation entstehen, und zwar für die Menschen.
Wir haben in der 'Aida'-Inszenierung im ersten Teil ein Kind auf der Bühne, ein totes Kind. Und mir treibt das jedes Mal wirklich Tränen in die Augen, wenn ich das sehe.
BR-KLASSIK überträgt die Premiere von "Aida" an der Bayerischen Staatsoper am Montag, 15. Mai, ab 19:00 Uhr live im Radio.
BR-KLASSIK: Sie haben den Krieg angesprochen. In der Ukraine, also im Nachbarland ihrer Heimat herrscht gerade Krieg. Sie leben face-to-face mit dem Krieg, jeden Tag, wenn Sie zu Hause sind.
Szene aus "Aida" an der Bayerischen Staatsoper 2023. | Bildquelle: Wilfried Hösl Anita Rachvelishvili: Ja, der Konflikt ist direkt an der Grenze zu meinem Heimatland. Aber ich muss sagen, ich kenne eine solche Lage seit meiner Kindheit. Wir hatten in Georgien den Krieg im Land. Ich kenne die Situation ohne Strom, ohne Gas, ohne Wasser, ohne Heizung, ohne Essen zu leben. Ich kenne also die schwierige Lage der Menschen dort, ich verstehe sie. Aber was ich nie verstehen werde ist, dass Menschen um ein Stückchen Land kämpfen. Warum Menschen töten? Das ist verrückt: Bomben auf Krankenhäuser, auf Kindergärten, ich werde nie verstehen, warum. Wir haben in der "Aida"-Inszenierung im ersten Teil ein Kind auf der Bühne, ein totes Kind. Und mir treibt das jedes Mal wirklich Tränen in die Augen, wenn ich das sehe.
BR-KLASSIK: Amneris ist die Pharaonentochter, sie hat einen gewissen Stolz, hat auch eine gewisse Eitelkeit. Und trotzdem verkörpert sie Emotionen. Sie ist kraftvoll, sie ist schwach, und sie ist einsam…
Anita Rachvelishvili: Wir kennen Amneris ja als Femme fatale. Sie kann alles. Sie bekommt alles. Unsere Amneris ist anders. Michieletto sieht alles in der Amneris, was ich schon immer darstellen wollte. Ich habe sie immer für eine eifersüchtige, unsichere, einsame Frau gehalten, obwohl sie alles hat. Aber, was sie wirklich will, das ist Liebe. Wenn eine Person, hier eben Radames, jemand anderen liebt, dann kann man daran einfach nichts ändern. Und so endet Amneris verzweifelt, zerstört und machtlos.
Für mich ist meine Stimme etwas, was mir Gott gegeben hat.
BR-KLASSIK: Und Sie gehen überall mit der Stimme hin. Sie sind auch so mutig, manchmal diesen schönen Klang einfach wegzulassen und fast schon zu schreien vor Verzweiflung, schlagen die Stimme mit einer richtigen Kraft in den Zuschauerraum.
Anita Rachvelishvili: Für mich ist meine Stimme etwas, was mir Gott gegeben hat. Es ist eine natürliche Kraft, mit der ich geboren wurde. Sie erfordert enorm viel Arbeit, viele Opfer. Im letzten Jahr habe ich ein Kind bekommen, und meine Stimme war nach der Geburt komplett weg. Ich konnte einfach nicht mehr singen. Es hat mich fast umgebracht, weil ich es so liebe zu singen. Es war, als ob man mir die Beine abgenommen hätte und ich musste wieder komplett neu gehen lernen. Wenn Sie sagen meine Stimme klingt voll, dann ist das nicht nur meine Stimme. Das bin komplett ich. Da gibt es keine Anita mehr. Das ist nur die Rolle, das Leben auf der Bühne, meine ganze Liebe, mein ganzer Körper. Das Wunderbare in der Oper ist, dass man durch das ganze Team gestützt wird. Und hier in der "Aida" haben wir Daniele Rustioni als Dirigenten. Er liebt die Sänger, er kennt jedes Wort aus dem Libretto, er ist smart zum Orchester. Er ist wirklich magisch und ergibt all das an uns weiter.
BR-KLASSIK: Haben Sie denn noch Zeit mit ihrer Band in Georgien zu spielen und zu singen?
Anita Rachvelishvili: Wenn ich zuhause in Georgien Musik mache, dann gebe ich normalerweise nur Wohltätigkeitskonzerte. Mit meiner Crossover-Band machen wir Jazz und Broadway-Musik, also etwas ganz anderes. In diesen kurzen Pausen zuhause versuche ich, möglichst viel für mein Heimatland Georgien zu tun. Aber manchmal mache ich auch eine richtige Pause. Das ist auch wichtig.
BR-KLASSIK: Können Sie denn zwischen der klassischen Stimme und der Jazz-Stimme hin und her springen?
Anita Rachvelishvili: Ich habe ja mit Jazz, Pop und Rockmusik begonnen und diese Vergangenheit hilft mir da natürlich. Aber es ist tatsächlich nicht einfach, die Stimme zu wechseln. Vor ein paar Jahren habe ich mit Jonas Kaufmann in Berlin in der Waldbühne ein Konzert gegeben, und da haben wir auch andere Sachen außer Oper gesungen. Wir haben also normal gesungen und sind dann in die Opernstimme gesprungen. Und ich muss sagen: Wir hatten beide richtig viel Spaß dabei.
Sendung: "Leporello" am 12. Mai 2023 ab16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Donnerstag, 18.Mai, 11:33 Uhr
David
Geographische Grundkenntnisse
Mit Verlaub, geografische Grundkenntnisse über Staaten in Europa darf man doch wohl auch von BR Klassik erwarten.
So wie Deutschland direktes Nachbarland der Ukraine ist, so ist es auch Georgien.
Dienstag, 16.Mai, 22:16 Uhr
heinz.neuhaus@yahoo.de
Unpassend
Man kann, muss aber nicht, "zeitgemäß" inszenieren. Ich fand dass es eher eine Zerflädderung Verdis Werk war. Will man was Neues wagen, sollte an solches neu erfinden, statt altes kaputt zu machen. Es muss nicht Altes in Sinne des "Zeitgeistes" verwaschen werden.
Dienstag, 16.Mai, 14:15 Uhr
gudrun edinger
aida in münchen
ich stehe voll hinter dieser inszenierung: sie ist ehrlich,
dazu unser wunderbares orchester.
ein erlebnis! danke!
gudrun edinger, 86.
Samstag, 13.Mai, 18:01 Uhr
Sibylle kremser
Krieg
Danke, dass Sie Frau Rachvelishvili so ausführlich zitiert haben! Sie weiß aus eigenem Erleben, was Krieg bedeutet, ich bin nur ein Nachkriegskind. Und doch löst schon allein das Wort KRIEG Schrecken in mir aus. Ich bin wirklich sehr dankbar, dass hier eine Stimme laut den Krieg verurteilt! Der Meinung von Frau Rachvelishvili schließe ich mich mit Nachdruck an.