Die litauische Sopranistin Asmik Grigorian ist der neue Opernstar. Derzeit ist sie in München, um dreimal Dvořáks "Rusalka" an der Bayerischen Staatsoper zu singen. 2013 hat sie dort ihr Debüt als Micaëla in Bizets "Carmen" gegeben. Jetzt ist sie also mit Dvořáks Wassernixe zurück – in einem Remake der bildgewaltigen, skandalträchtigen Inszenierung von Martin Kušej, die bei der Premiere 2010 die Gemüter erhitzt hat. Am 14. Mai war die Premiere der Wiederaufnahme – mit Asmik Grigorian in der Titelpartie.
Bildquelle: © Algirdas Bakas
Kritik
Asmik Grigorian singt "Rusalka" an der Bayerischen Staatsoper
Am Anfang sieht man sie kaum, die fragile Gestalt, zusammengekauert auf einem verlotterten Sofa im Heizungskeller, den Martin Zehetgruber für Martin Kušejs Münchner "Rusalka"-Inszenierung 2010 auf die Unterbühne der Bayerischen Staatsoper gebaut hat. Verloren, traumatisiert, hospitalisiert irren drei Nymphen und ein paar Mädchen durch diese triste Unterwasserwelt. Doch dann richtet sich Asmik Grigorian auf, sammelt Stofftiere auf, drückt sie an sich. Eine leuchtende Kugellampe ist der Mond, den sie in ihrem berühmten Lied ansingt – und wie! Mit ihrem kostbaren Sopran, ihrem reichen Timbre, ihren bruchlosen Registerwechseln und kraftvollen Spitzentönen – ein Naturereignis, diese Stimme.
Die Gigorian ist aber auch eine tolle Schauspielerin, schlank und beweglich, die sich ihren Rollen mit einer Natürlichkeit anverwandelt, mit ihnen derart verschmilzt, dass aus Opernfiguren Menschen werden. Insofern passt sie perfekt in das illusionslose Regiekonzept von Martin Kušej, der damals den Inzest-Fall des Vergewaltigers Josef Fritzl im Folterkeller von Amstetten aufgegriffen hat. So zeigt Kušej den Wassermann als brutalen Sklavenhalter seiner Tochter Rusalka, die ausbrechen will aus dem väterlichen Verlies. Seine beklemmende Inszenierung hat keinerlei Patina angesetzt, mit den verstörenden Missbrauchs-Skandalen der letzten Jahre und der MeToo-Debatte hat sie an Aktualität sogar noch zugelegt. In dieser Produktion ist Dvořáks Meisterwerk kein poetisches Märchen in idyllischer Natur, sondern ein blutiges Lehrstück über die Zudringlichkeit der Männer. Wie Wild werden die Frauen hier gejagt und erlegt.
Schon bei der Premiere 2010 tauchte Rusalka – damals verkörpert von Kristīne Opolais – im Hochzeitskleid ins Aquarium. | Bildquelle: Bayerische Staatsoper / W. Hösl Hinreißend, wie unbeholfen Asmik Grigorian in knallroten High Heels auf der Bühne herumstakst, die sie von der quacksalbernden Hexe verpasst bekommen hat. Kann man die Menschwerdung einer Seejungfrau stimmiger und zugleich einfacher zeigen? Rusalka, die "weder Frau noch Nixe" sein, "nicht leben und nicht sterben" kann, geht an diesem Konflikt zugrunde. Als Frau verstummt, muss sie mitansehen, wie ihr geliebter Prinz eine fremde Fürstin vögelt. Aber ein Zurück gibt es nicht mehr für sie. Resigniert steigt die Grigorian im Hochzeitskleid wie seinerzeit Kristīne Opolais ins Aquarium – und taucht unter. Zuvor tanzen wieder viele Bräute, darunter auch Männer, mit gehäuteten Reh-Kadavern ihre albtraumhafte Polonaise – längst kein Aufreger mehr wie 2010 … Am Schluss bleibt bei Kušej für die beiden ungleichen Liebenden, die nicht zusammenkommen können und dem Wahnsinn verfallen, nur das sterile Weiß der Psychiatrie mit ihren Etagenbetten in erbarmungsloser Helligkeit.
Dass die Wiederaufnahme dieser "Rusalka"-Produktion so beindruckend gelang, liegt auch an der durchgehend hervorragenden Besetzung bis in die kleinsten Rollen hinein. Der Ukrainer Dmytro Popov gab dem Prinzen lyrische Emphase und strahlkräftige Höhe, die Polin Ewa Płonka der fremden Fürstin stimmstarke Präsenz. Einmal mehr begeisterte Okka von der Damerau mit ihrem dunkel gurrenden Mezzo als dämonische Hexe. Wie bei der Premiere vor dreizehn Jahren verkörperte der athletische Günther Groissböck den kriminellen Proleten im Horrorkeller – den baritonalen Schmelz und die Bassestiefe der Wassermann-Partie bewältigt er indes nicht mehr so mühelos und taufrisch wie damals.
Der enthusiastisch bejubelte Abend war nicht nur der phänomenalen Asmik Grigorian zu verdanken, die der seelenlosen Nixe überwältigend Leben einhaucht, eben: eine Seele gibt. Erstaunlich bei einer Repertoire-Vorstellung, wie souverän, differenziert, wie kraftvoll und doch immer sängerfreundlich der ungarische Dirigent Henrik Nánási seine Musikerinnen und Musiker im Graben durch Dvořáks bezaubernde Lyrismen und seine düsteren Seelenlandschaften steuerte. Das Bayerische Staatsorchester hatte allerdings auch einen ausnehmend guten Tag. So geht spannendes Musiktheater – nichts wie hin!
Für die beiden verbleibenden Vorstellungen gibt es noch Karten. am Mittwoch, 17. Mai und am Freitag, 19. Mai, jeweils um 19:00 Uhr an der Bayerischen Staatsoper München.
Sendung: "Allegro" am 15. Mai 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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