Ein jugendlicher Heldentenor, der brutal ins Geschehen geworfen wird: Die Rolle des Radamès verlangt ihren Interpreten einiges ab. In der Arie "Celeste Aida" muss mit markanten Spitzentönen ein Kriegsherr und ein Liebender gezeigt werden. Fünf gelungene Interpretationen.
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Der ägyptische Feldherr Radamès wird von zwei Frauen begehrt: von der äthiopischen Königstochter Aida, derzeit Sklavin, und von der ägyptischen Königstochter Amneris. Das ist aber nicht das einzige Dreiecksverhältnis in "Aida", der Nil-Oper von Giuseppe Verdi. Denn Radamès siegt in der Schlacht und nimmt den Vater Aidas gefangen — Amonasro. In seiner Not fordert der von seiner Tochter, Radamès ein wichtiges militärisches Geheimnis zu entlocken. Aida blutet das Herz, aber sie gehorcht. Radamès wird verhaftet, wegen Landesverrats verurteilt und lebendig eingemauert. Im Grab jedoch findet er Aida, die sich für das Geschehene verantwortlich fühlt. So sterben beide gemeinsam.
Richten wir den Blick auf die Rolle des Radamès, der ein "Lirico spinto"-Tenor sein muss — ein jugendlicher Heldentenor, wie die deutsche Fachbezeichnung lautet. Von Giuseppe Verdi und seinem Librettisten Antonio Ghislanzoni wird Radamès brutal in die Tragik des Geschehens geworfen: mit einer Auftritts-Arie, für die der Sänger Nerven aus Stahl braucht. "Celeste Aida / Holde Aida" ist nicht einfach nur die Liebeserklärung eines gefühlvollen Mannes, denn im Rezitativ "Se quel guerrier / O wäre ich erkoren!", das der Arie vorausgeht, positioniert sich Radamès als Kriegsheld. Zuerst muss der Tenor schmetternden Trompeten gegenüber treten — ohne von anderen Instrumenten des Orchesters unterstützt zu werden. Danach muss er den kontrastierenden Tonfall von zarten Violinen und aparten Holzbläsern übernehmen und das geforderte Legato in breitem Tempo mit langem Atem bewältigen.
Das alles aber bitte ohne Angst vor dem heiklen Spitzenton, in den die Arie mündet: Dieses hohe B soll nach einem Diminuendo "morendo / ersterbend" schließen! Als würde Radamès schon hier seinen Tod vorausahnen. Und siehe da — kaum ein Interpret hat den Mut, die Stelle wirklich pianissimo, sehr leise zu singen. Sicherheitshalber ignorieren die meisten den schriftlich fixierten Sonderwunsch des Komponisten und posaunen das hohe B mit aller Kraft heraus. Zumal diese Auftritts-Arie ganz am Anfang der Oper steht: Wer hat sich zu diesem frühen Zeitpunkt schon wirklich warm gesungen? "Celeste Aida" ist der heisseste Kaltstart der Operngeschichte. Diese fünf legendären Tenöre haben sie vorbildhaft gemeistert.
Als erster überhaupt sämtliche Tenor-Arien Verdis aufgenommen zu haben, ist das Verdienst von Carlo Bergonzi. "Celeste Aida", die vielleicht schwierigste von allen, bewältigt der hochkultivierte und stilsicher phrasierende Tenor so souverän, dass von Bewältigung gar nicht die Rede sein muss. Nach einer Anstrengung klingt es bei Bergonzi auch dann nicht, als er die Schluss-Takte tatsächlich leise und sehr leise singt. Der alternativ angegebene Live-Mitschnitt einer Bühnen-Aufführung (mit japanischen Untertiteln!) mutet uns verstaubte Operngesten an der Rampe zu, wie sie heute kaum noch goutierbar wären. Die Sehgewohnheiten haben sich durch das sogenannte Regietheater komplett verändert.
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Carlo Bergonzi - Aida - Celeste Aida
Die schneidende Schärfe im metallischen Timbre von Franco Corelli suggeriert einen Mann, der vor allem um seine Qualitäten als Krieger weiß. In der Gestaltung Corellis dominieren Portamenti, also stufenlos gleitende Übergänge von einem Ton zum nächsten. Sie kommen quasi dick aufgetragen herüber. Mehrere Schluchzer in der Arie deuten darauf hin, dass dieser Radamès daran leidet, dass er seine Liebe zu Aida nicht ausleben kann. Das hohe B am Ende der Arie wird kräftig herausgeschleudert, dann aber dynamisch zurückgenommen — und endet leise. Warnung: Dem Auge wird eine unscharfe TV-Produktion der RAI geboten, über deren ästhetischen Mehrwert der Mantel des Schweigens ausgebreitet werden muss.
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Franco Corelli sings Celeste Aida
Was für eine melancholisch gefärbte und doch strahlende Stimme hatte Jussi Björling! Zu Beginn der 1950er Jahre setzte der Schwede in vielen Rollen interpretatorische Standards, die für Generationen von Verdi-Tenören wegweisend waren. Als Interpret der Radamès-Arie legt Björling deutlich mehr Wert auf die Zeichnung eines angriffslustigen Mannes als auf die eines heimlich Verliebten. Und doch wirkt die Darbietung gar nicht effekthascherisch.
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Aida (1988 Remastered Version) : Se quel guerrier....Celeste Aida
Vor 87 Jahren gab es frenetischen Beifall für Benjamino Gigli und seine Liebeserklärung an Aida (hier leider ohne Rezitativ). Es sind viele mitreißende Aufnahmen dieses Tenors aus der "Steinzeit" der Schallaufzeichnung verfügbar — das gewählte Juwel ist ein echter Leckerbissen für Fans historischer Tondokumente. Sie alle werden Gigli verzeihen, dass auch er seine Power am Schluss nicht reduziert und das hohe B publikumswirksam und applaustreibend voll aussingt.
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AMAZING LIVE VERSION of Celeste AIDA 1936 by Beniamino Gigli
Ein überragender Wagner-Tenor in der 1.Hälfte des 20.Jahrhunderts war der Däne Lauritz Melchior. Noch im stattlichen Alter von 73 Jahren hielt er das Paradestück von Radamès für die Ewigkeit fest. Die vokale Überlegenheit des gereiften Tenors imponiert nachdrücklich. Auf Deutsch gesungen, wirkt die Arie und mit ihr die Bühnenfigur allerdings kaum mehr südländisch-mediterran. Da betrachtet jemand die Musik sozusagen als Fremdkörper. Und wie wichtig das Orchester bei dieser Komposition ist, merkt man erst, wenn es fehlt – hier gibt es nur einen Klavierpartner.
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Lauritz Melchior - Celeste Aïda (Private recording, 1963)
Kommentare (5)
Mittwoch, 17.Mai, 10:33 Uhr
Konrad Messerer
Radames
…daß eine Auswahl begrenzt ist, ja sein muß, ist verständlich. In einer komplett(eren) Version müßte freilich ein Pertile erscheinen. „Singt wie Pertile“, war der Ausdruck von Toscanini. Und der gilt als zeitloser Experte menschlicher Gesangsstimmen. Wer unverständlicherweise fehlt, Mario del Monaco. Er und Corelli haben mit di Stefano die Goldene Ära geprägt, kein Zweifel. Für die heutigen Protagonisten dienen alle drei in jedem Fall als Vorbilder. Keine Chance, meine Herren, unerreichbar!
Dienstag, 16.Mai, 17:19 Uhr
Klaus Thiel
Celeste Aida ?
Ja - diese Auswahl ist schon befremdlich ! Wenn man schon die Oldies bemüht, sollte man auch Aureliano Pertile erwähnen, der seine eigene Lösung fand: er sang die Arie nie an einem Opernabend, weil er meinte, es wäre ein Fehler von Verdi, eine solche Arie am Start zu verlangen, wenn man noch gar nicht eingesunken ist.
Dienstag, 16.Mai, 09:24 Uhr
Fred Keller
Celeste Aida BR Wertung
Corelli und Bergonzi sind dabei, meine live Erstbegegnungen in den 1960ger Jahren. Das reicht - mir!
Montag, 15.Mai, 16:12 Uhr
Karin Horneber
Radames
Schade, dass Piotr Beczala vergessen wurde!
Montag, 15.Mai, 12:21 Uhr
Senta Bergheim
???
Was soll das denn für eine Übersicht sein? Das fehlen doch noch einige wichtige wichtige Interpreten, z.B. Domingo, Lanza, Gedda, Pavarotti etc. Mir würden noch zehn Spitzensänger einfallen.
Wie kommt man auf diese Auswahl - für mich unverständlich ...