Die Nürnberger Musikhochschule hat sich ein ganz besonderes Instrument angeschafft. Die Baldachinorgel ist eine transportable Orgel auf Rollen und ermöglicht Studierenden, in der Hochschule statt in der Kirche zu üben.
Bildquelle: Christine Weirauch
Vorsichtig dreht Orgelbauer Tobias Merkle die Orgel auf der Bühne des Konzertsaals in der Nürnberger Musikhochschule ein Stückchen nach links. Dafür hat er das Pedal vom Rest der Orgel gelöst. Zwei Helfer reichen aus, um das 455 Kilo schwere Instrument zu bewegen. Diese ganz spezielle Orgel sieht aus wie ein „Tiny House“, ein kleines hölzernes Häuschen mit einem schön gearbeiteten hölzernen Baldachin. Die Orgel ist etwa so groß wie ein Konzertflügel und ähnlich schwer.
Am mobilen Unterbau mit den Hochleistungsrollen haben die Orgelbauer lange getüftelt. 4.600 Arbeitsstunden hat die Orgelwerkstatt Rohlf im baden-württembergischen Calw zusammengerechnet. In der Spezialanfertigung für die Hochschule stecken mehr als ein Jahr Arbeit. Orgelbau Tobias Merkle und sein Kollege Thomas Dehmel haben diese Schleifladenorgel konzipiert, gebaut und nach Nürnberg in die Musikhochschule gebracht.
Bildquelle: Thomas Dehmel Die eigentliche Herausforderung war die Technik für zwei Manuale und Pedal sowie die 716 Pfeifen auf engstem Raum unterzubringen. Das Orgelbauteam hatten daran lange zu tüfteln. Sie hatten nach eigenen Aussagen noch nie eine Orgel, an der sie so viel Zeit mit der Konstruktion verbracht haben, da sie keinen Zentimeter verschenken wollten. Die Orgel musste und das war die Auflage der Musikhochschule durch normale Türen und in einen Aufzug passen. Für dieses Orgelkonzept gibt es keine wirklichen Vorbilder. Eine ähnliche Chororgel (gebaut 1693), allerdings einmanualig, ist in der Kirche St. Martin in Mönchsdeggingen, zu finden. Im Kloster Rheinau im Kanton Zürich existiert ein ähnliches Instrument mit niedriger Bauhöhe.
Markus Willinger ist Professor für Orgelspiel und Organist am Bamberger Dom. Bisher ging er zum Üben mit seinen Studierenden in die umliegenden Kirchen. Eine Orgel für die Musikhochschule zu bestellen, war für alle Beteiligten ein Experiment. Die Baldachinorgel klingt super, schwärmt der Organist. Zum ersten Mal wird Markus Willinger die neue Orgel bei einem Wandelkonzert vorstellen, ein passender Anlass für ein rollendes Instrument. Er startet auf der Empore im Foyer der Musikhochschule und schiebt danach die Orgel in den großen Konzertsaal einen Stock tiefer. Guido Rumstadt dirigiert das Kammerorchester mit acht Studierenden. Mit Händels Konzert für Orgel und Orchester in B-Dur (op.7/1) wird die Orgel ihre Premiere feiern.
Bildquelle: Christine Weirauch Eine mobile Orgel eröffnet neue Möglichkeiten für Konzerte und macht den gesamten Standort attraktiver, sagt Rainer Kotzian, der Präsident der Nürnberger Musikhochschule. Seines Wissens ist es Alleinstellungsmerkmal und bringt der Musikhochschule eine Flexibilität, die bei Orgeln nicht die üblich ist. Die Studentinnen und Studenten können jetzt leichter stilübergreifende Projekte wie zum Beispiel Jazz. Und einen entscheidenden Vorteil hat die mobile Orgel noch: Im Winter ist es im beheizten Musiksaal bedeutend wärmer als in den Kirchenräumen.
Die neue Orgel wurde am Freitag, 17. November, bei einem Wandelkonzert in der Nürnberger Musikhochschule vorgestellt. Zwei weitere Sinfoniekonzerte mit Orgel gibt es am 7. und 8. Dezember.
Sendung: "Piazza" am 18. November 2023 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK