Für Iréne Theorin ist der Grüne Hügel kein Neuland. Und die Musik von Richard Wagner ist für die Schwedin fast schon ein Lebenselixier. In diesem Jahr übernimmt sie die Partie der Brünnhilde in der neuen "Ring"-Produktion.
Bildquelle: Chris Gloag
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BR-KLASSIK: Erst Mitte Juli wurde bekannt gegeben, dass Cornelius Meister nicht, wie geplant, "Tristan" dirigiert, sondern den Ring übernimmt. Er springt ja für den erkrankten Pietari Inkinen ein. Hat das viel Unruhe in Ihre Probenarbeit gebracht?
Iréne Theorin: Natürlich hatten wir Extra-Proben, was ja ganz normal ist, wenn solche Dinge passieren. Also das könnte man vielleicht als Unruhe bezeichnen, eigentlich ist es aber eine ganz normale Reaktion. Wir kennen das ja in unserem Beruf, dass das gesundheitsbedingt vorkommen kann: Wir brauchen unsere Stimmen und wir müssen gesund sein, um unseren Beruf ausüben zu können. Insofern ist das erstmal kein großes Drama gewesen.
BR-KLASSIK: Aber Sie persönlich waren deshalb nicht extra nervös?
Iréne Theorin: Ich bin immer nervös ... (lacht). Aber es ist was anderes. Man muss sich in eine Produktion einfinden. Und wenn plötzlich jemand Neues in eine laufende Produktion kommt, dann entwickelt sich auch immer eine neue Dynamik. Aber das zum Drama zu stilisieren, das wäre unfair – auch dem Dirigenten gegenüber. Denn das gehört einfach zu unserem Job, dass wir uns auf unvorhergesehene Dinge einstellen können!
BR-KLASSIK: Von 2008 bis 2012 waren Sie die Isolde hier auf dem Grünen Hügel. Letztes Jahr gab's dann eine Art szenische Aufführung der Walküre mit Ihnen, zu der der Aktionskünstler Hermann Nitsch eine Art Farbspektakel veranstaltete. Jetzt endlich die lang erwartete Neuinszenierung mit Valentin Schwarz: Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit diesem jungen Regieseur?
Iréne Theorin: Es hat vom ersten Tag an gefunkt zwischen uns! Ich liebe es wirklich, in diesem Team und mit diesen Kollegen zu arbeiten. Wenn man so viel Wagner singt wie ich, dann trifft man natürlich immer wieder an unterschiedlichen Orten auf dieselben Leute. Und trotzdem: Wenn man sich in einer neuen Produktion zusammenfindet, dann entwickeln sich immer wieder neue Dinge. Valentin Schwarz ist ein sehr intelligenter, gut vorbereiteter, junger Regisseur. Es macht unglaublich Spaß, mit ihm zu arbeiten.
Es hat vom ersten Tag an gefunkt zwischen uns.
BR-KLASSIK: Eine Art Netlix-Serie solle daraus werden, in der man einem Familien-Epos beiwohnt – sagt Valentin Schwarz. Sie haben viel Erfahrung mit dem "Ring": Ist das für sie ein schlüssiger Regieansatz oder mussten Sie sich erst daran gewöhnen?
Iréne Theorin: Es gibt ein paar Stellen, die abweichen. Aber Valentin Schwarz bleibt trotzdem immer nah an der Geschichte. Was meine Rolle, die Brünnhilde angeht, empfinde ich keine großen Abweichungen, höchstens ein paar Nuancen, die ein bisschen neu sind. Die Produktion ist ausgesprochen interessant, freudeverströmend und schlüssig. Ich mag sie sehr.
BR-KLASSIK: Sie machen die "Walküre" und die "Götterdämmerung" – besonders die letzte ist eine sehr anstrengende Partie für die Sopranistin. Es sollen "heutige Menschen" sein, sagt Valentin Schwarz, die in ihrer Entwicklung gezeigt werden. Was für eine Frau, was für eine Figur ist also die Brünnhilde in der Götterdämmerung? Wohin hat sie sich am Ende – kurz vor ihrem Tod – entwickelt?
Iréne Theorin: Oh je, eine schwierige Frage. Die sollte lieber Valentin beantworten ...
BR-KLASSIK: Aber Sie sind die Brünnhilde!
Iréne Theorin: Ja, das stimmt natürlich. Aber es gibt hier so viele Ecken und Farben, wenn Sie da anfangen... Valentin hat sogar über Medea gesprochen, als er uns seine Brünnhilde nahegebracht hat. Eine Frau, die sich unglaublich schnell wandelt. Ich empfinde sie als extrem direkt, eine Frau, die sofort auf das, was sie fühlt, reagiert. Sie ist ungeheuer intelligent und komplex in ihrer Art. Und sie darf einfach alles tun – da gibt's überhaupt keine Fragezeichen. Das gibt's natürlich oft im "Ring". Aber hier ist es besonders stark rausgearbeitet: schwarz, weiß und tiefrot. Deswegen gefällt mir die Produktion auch so gut. Ich liebe die Brünnhilde sowieso sehr, aber hier nichts weniger.
BR-KLASSIK: In solchen Netflix-Serien gibt’s ja am Schluss immer "Cliffhanger" – also einen Aspekt, der offen bleibt, damit man sich auch die nächste Folge anschaut. Wird es sowas auch am Ende der "Götterdämmerung" geben?
Iréne Theorin: Mein Ende als Brünnhilde ist klar. Ich als Brünnhilde bin mir absolut sicher in allem, was ich tue. Da gibt’s keinen Cliffhanger. Was um mich herum geschieht, da könnte es Überraschungen geben...
BR-KLASSIK: Wagner nimmt in Ihrer Arbeit einen großen Raum ein: Sie waren letztes Jahr die Brünnhilde in Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim, aber auch in Stockholm. Was hat dieser Komponist so Besonderes?
Iréne Theorin: Ich bin nun seit etwa 25 Jahren in diesem Beruf und ich muss sagen: Wagner ist an jedem Tag mit mir! Das ist ganz normal für mich geworden. Es füllt mich wirklich aus, mit Wagners Musik zu arbeiten. Da gibt es so viele Details, immer wieder interessante Aspekte. Und ich lerne immer wieder etwas dazu. Es ist wirklich immer wieder ein Geschenk, mit neuen Produktionen konfrontiert zu werden und die handelnden Personen neu zu denken. Davon profitiere ich auch für mich ganz persönlich!
Wagner ist an jedem Tag mit mir.
BR-KLASSIK: Nun gibt's ja auch diesen Überwältigungsaspekt bei Wagner – speziell fürs Publikum. Geht Ihnen das auf der Bühne auch so, dass Sie manchmal so überwältigt werden?
Iréne Theorin: Ja, immer wieder! Ich sehe hier manche Produktionen im Probenraum. Wir haben große Bildschirme, damit wir verfolgen können, was auf der Bühne passiert. Und wenn ich mich da gemeinsam mit Kollegen in die Couch fallen lasse und zuschaue, dann kann ich alles um mich herum vergessen. Und das ist genau das, was ich meine, wenn ich von "leben mit Wagner" spreche. Das ist etwas, dass Besitz von einem ergreift. Ich kann einfach nicht mehr ohne. Besonders in dieser Corona-Zeit, die wir hoffentlich bald hinter uns gebracht haben werden. Ich war so lange weg von der Bühne und merkte plötzlich, wie ich mich davor fürchtete zurückzukehren: Will ich wirklich aus dem Haus, will ich das wirklich wieder machen? Was wird passieren? Da war ich ziemlich nervös, ob mir mein Körper vielleicht sagen könnte: Du hast das doch alles schon gemacht. Geh bloß nicht zurück und fang wieder von vorn an. Aber: Es fühlt sich genau wie früher an. Und indem ich das gerade sage, kriege ich schon wieder eine Gänsehaut! Irgendwas hat diese Musik, das einen nicht loslässt, dieser Reichtum, diese Farben – etwas, dass einen komplett ausfüllt.
BR-KLASSIK: Sie sind gebürtige Schwedin. Ihre Landsfrau Birgit Nilsson war eine Ihrer Lehrerinnen, eine der Wagner-Sängerinnen des 20. Jahrhunderts – gibt es speziell zur Brünnhilde etwas, das sie Ihnen mit auf den Weg gegeben hat?
Iréne Theorin: In einem Atemzug mit Birgit Nilsson genannt zu werden, das ist wirklich immer eine Ehre. Sie war eine sehr starke Frau. Und ich glaube, das habe ich von ihr gelernt: sich nicht beirren zu lassen und sich selbst nicht zu verlieren. Natürlich wollen alle immer etwas von einem. Es immer allen rechtmachen zu wollen, über diesen Punkt bin auch ich längst hinweg, obwohl es zu einem gewissen Teil ja auch zu unserer Arbeit gehört. Birgit Nilsson hat sich nie in der Arbeit verloren. Eine einzigartige Künstlerin! Und ich würde sagen, bisher hat niemand ihr den Platz streitig machen können, auch in ihren Rollen nicht!
Es immer allen rechtmachen zu wollen, über diesen Punkt bin auch ich längst hinweg.
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