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Igor Levit bei den Salzburger Festspielen Hartmann, Dessau und Gedanken über den Krieg

Musik von den Komponisten Karl Amadeus Hartmann oder Paul Dessau findet sich nur unregelmäßig auf den Spielplänen. Pianist Igor Levit bringt sie nun bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne. Er meint: Mit diesen Kompositionen lässt sich die aktuelle Weltlage verarbeiten.

Igor Levit | Bildquelle: Robbie Lawrence

Bildquelle: Robbie Lawrence

BR-KLASSIK: Igor, Du spielst sehr, sehr ungewöhnliches Repertoire: die Sonate "27. April 1945" von Karl Amadeus Hartmann –  die kann man immer wieder mal hören. Aber "Guernica" von Paul Dessau, ein Klavierstück nach Picasso, das hört man fast nie. Es geht um die Opfer des Krieges.

Igor Levit: Die "Guernica" ist schon in den allerersten Takten ein Werk wie ein Schrei. Es ist ein Schmerzensschrei, es ist ein Schrei nach Außen und nach Innen. Das Werk ist unglaublich intensiv, teils wirklich herzzerreißend einsam. Ein sehr kurzes Stück, auch nicht besonders schwer zu spielen, aber in seiner Intensität und in seiner Schärfe ziemlich einzigartig.

Wer das Werk hört, dem ist der Schrei des Bildes sofort vor Augen.
Igor Levit

BR-KLASSIK: Das Bild von Picasso ist ja vielleicht eines der berühmtesten Beispiele für politische Kunst. Es ist es unglaublich human. Auf der anderen Seite: Jeder versteht sofort, wenn er dieses Bild sieht, was Picasso sagt, was Picasso fühlt und welcher Appell da drin steckt. Wie ist es in diesen Klängen? Nehmen die irgendwie Bezug auf das Bild? Oder ist das rein assoziativ? Wie funktioniert das im Zusammenspiel mit Picasso?

Pablo Picassos Guernica im Reina Sofia Museum in Madrid | Bildquelle: Picture alliance/AP Images Pablo Picassos "Guernica" im Reina Sofia-Museum in Madrid. | Bildquelle: Picture alliance/AP Images Igor Levit: Musik ist immer frei und ist immer assoziativ. Und ich glaube, wir sollten nicht versuchen, bestimmte Töne gleichzusetzen mit dem Bild. Das würde das Musikstück als solches, glaube ich, viel kleiner machen als es ist. Es ist geprägt von diesem Bild, es ist geprägt von dem, was dieses Bild aussagt. Es ist geprägt von den Erfahrungen, sicher auch von Dessaus eigener Erfahrung. Wer das Werk hört, dem ist der Schrei des Bildes sofort vor Augen. Aber jetzt bestimmte Phrasen oder Stellen oder Klänge auf das Bild zu übertragen – das wäre mir fremd.

BR-KLASSIK: Paul Dessau ist ja so ein bisschen in Vergessenheit geraten. So ein etwas klischeehaftes Stichwort ist "DDR-Komponist", aber er hat sich ein Staatsbegräbnis verbeten. Er wollte nicht in dieser offiziellen Funktion ins Gedächtnis eingehen. Und er hat auch immer wieder den Funktionären einiges um die Ohren gehauen an Avantgarde, was die gar nicht hören wollten. Interessanter Typ, oder?

Igor Levit: Ganz interessanter Typ. Ein unglaublich interessanter Komponist. Sein Vater war ja Kantor in der deutsch-israelischen Gemeinde in Hamburg. Also er ist infach eine unglaublich interessante Figur. Und jemand, der – wie so häufig in unserer Musikwelt – unnötigerweise sträflich vernachlässigt wird.

BR-KLASSIK: Karl Amadeus Hartmann ist ein ganz interessanter Gegenfall. Dessau war im Exil – er musste vor den Nazis fliehen, weil er Jude war. Aber Karl Amadeus Hartmann war in der sogenannten inneren Emmigration. Er hat einfach verzichtet, dass seine Werke aufgeführt werden. Er hat aber ganz klar in seiner Musik Stellung bezogen gegen die Nazis. Und dann diese unglaubliche Geschichte am 27. April 1945. Kannst Du uns erzählen, was da passiert ist?

Igor Levit: Also am 27. April 1945 sah er Gefangene aus dem Konzentrationslager Dachau. Und basierend auf dieser Erfahrung schreibt er dieses Stück. Das beginnt mit einem quasi wörtlichen Zitat des "Les Adieux"-Motivs aus Beethovens Es-Dur Sonate. Die drei Töne, bei Beethoven mit "Les Adieux" überschrieben, sind bei Hartmann ein sehr klares, auch ein Stückweit sehr hartes Bam, Bam, Bam.

Die Gedanken daran, in was sich das Land, in dem ich geboren wurde, verwandelt hat. Dafür brauche ich diese Stücke.
Igor Levit

BR-KLASSIK: "Lebewohl" heißt es bei Beethoven.

Igor Levit: Genau. Durchmischt mit jüdischen, hebräischen Gesängen, wenn man will. Durchmischt mit Anklängen an die Internationale, an Partisanenlieder, an „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“. Es wird sehr, sehr viel zitiert. Das Stück ist unglaublich intensiv. Es ist wirklich ein Monolith mitten im Feld. Es ist eine große Anklage. Ich wollte das Stück immer schon spielen, aber ich brauche dann einen Anlass. Der Anlass ist – wie so häufig in meinem Leben bisher – Markus Hinterhäuser, der mich anrief. Und er konnte nicht wissen, dass ich die Hartmann-Sonate immer spielen wollte...

BR-KLASSIK: …also der Intendant der Salzburger Festspiele.

Salzburg Stadtansicht | Bildquelle: TSG / Breitegger Igor Levit spielt ads Programm "In memoriam" am 25. Juli 2022 bei den Salzburger Festspielen. | Bildquelle: TSG / Breitegger Igor Levit: Wir haben eine so enge Verbindung, und irgendwie funktionierte das. Und damals fragte er mich nach Präludien und Fugen. Dieses Mal fragte er mich explizit nach der Hartmann-Sonate. Und das war dann der Anlass, der Funke, wo ich sagte, jetzt nehme ich die Gelegenheit wahr und spiele sie. Und eine schönere kann ich mir nicht vorstellen.

BR-KLASSIK: Jetzt gibt es im Augenblick auch massive Opfer von kriegerischer Gewalt und die Verbindung zum Faschismus ist, glaube ich, nicht aus der Luft gegriffen, wenn man schaut, mit welcher mörderischen, mit welcher nationalistischen Ideologie Putin gegen die Ukraine vorgeht. Kommen dir diese Gedanken auch? Also die Idee war natürlich schon früher geboren, aber diese Verbindung ist jetzt evident.

Igor Levit: Die Verbindung ist evident. Die Gedanken an diesen Krieg, die Gedanken daran, was dieser Krieg mit den Menschen in der Ukraine macht. Die Gedanken daran, was dieser Krieg mit der Welt macht. Die Gedanken daran, in was sich das Land, in dem ich geboren wurde, verwandelt hat. Für diese Gedanken brauche ich diese Stücke.

Natürlich diskutiere ich viel mit Menschen. Diejenigen, mit denen ich diskutiere, sind aber auch sehr eindeutig.
Igor Levit

BR-KLASSIK: Würdest Du sagen, dass es eine Art Faschismus ist?

Igor Levit: Ja. Es ist ein faschistoider Staat, geführt von einem Diktator, der einfach dieses Land in etwas ganz Schlimmes verwandelt hat – über Jahrzehnte. Und der die Welt in eine Zeitenwende geführt hat, die niemand wollen konnte, der wir uns jetzt aber alle gemeinsam stellen.

BR-KLASSIK: Hast Du Kontakt zu Menschen in Russland?

Igor Levit: Nein.

BR-KLASSIK: Und die russische Community – vielleicht Bekannte, Freunde, Deine Eltern. Gibt's da Menschen, mit denen Du diskutierst?

Igor Levit: Ich habe keine Kontakte nach Russland. Die hatte ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ich war vielleicht viermal dort, als wir emigriert sind, und das war 1995. Natürlich diskutiere ich viel mit Menschen. Diejenigen, mit denen ich diskutiere, sind aber auch sehr eindeutig. Und diejenigen, die nicht eindeutig sind – das ist ein weites Feld. Aber Kontakt dahin habe ich keinen.

Sendung: "Allegro", am 25. Juli 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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Dienstag, 26.Juli, 17:44 Uhr

Tuotilo

Korrektur

Am 27. April 1945 sah K. A. Hartmann nicht "befreite Gefangene" aus dem KZ Dachau, wie im Interview gesagt wird. Er wurde Augenzeuge eines der sogenannten "Todesmärsche", in denen man, angesichts der herannahenden alliierten Befreier, Gefangene aus den KZs ziellos in Richtung Alpen trieb. Dieses Erlebnis hat er in seiner Klaviersonate, die als Namen das Tagesdatum trägt, verarbeitet.

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