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Bayreuther Stadtrat NS-Dokumentationszentrum vor dem Aus?

Uneinigkeit im Bayreuther Stadtrat: Der Kulturausschuss hat das geplante NS-Dokumentationszentrum im ehemaligen Wohnhaus des Wagner-Schwiegersohns Houston Stewart Chamberlain abgelehnt. Unter anderem mit Stimmen der Grünen und der SPD. Wie geht es nun weiter?

Bisher Jean-Paul-Museum, künftig NS-Dokuzentrum? Das einstige Wohnhaus von Richard Wagners Tochter Eva und deren Mann Houston Stewart Chamberlain | Bildquelle: dpa/Daniel Karmann

Bildquelle: dpa/Daniel Karmann

Die Familie Wagner und ihre Geschichte im Dritten Reich: Das ist eine dunkle, lange großräumig umschiffte und kultur- wie gesellschaftspolitisch wichtige Angelegenheit. Es war also höchste Zeit, als 2022 Pläne konkreter wurden, in Bayreuth ein NS-Dokumentationszentrum zu installieren. Platz finden sollte es im ehemaligen Wohnhaus von Houston Stewart Chamberlain, einem Schwiegersohn Richard Wagners und hochgradig antisemtischen Rasseideologen. Doch die Pläne sind vorerst auf Eis gelegt - nach einer aktuellen Sitzung des Bayreuther Stadtrats vom 22. April 2024. Dort wurde das Projekt bei Stimmengleichheit abgelehnt. Das geht aus einem Brief hervor, den Sven Friedrich verschickt hat, Leiter des Richard-Wagner-Museums und Hauptinitiator des geplanten NS-Dokuzentrums.

Kosten von 23 Millionen Euro so gut wie gesichert

Friedrich listet darin auf, dass die anvisierten Kosten von ca. 23 Millionen Euro "zu fast 90 Prozent über Drittmittel gesichert" seien. So habe der Bund eine Finanzierung in Höhe von 11,5 Millionen Euro in Aussicht gestellt, die Oberfrankenstiftung 4,6 Millionen. Auch die Städtebauförderung "könnte 60 Prozent der förderfähigen Kosten übernehmen", wie es in dem Brief weiter heißt. Warum also hat der Kulturausschuss im Stadtrat dem Projekt eine Absage erteilt?

Begründung laut Friedrich "nicht stichhaltig" bis "hanebüchen"

Museumsdirektor Sven Friedrich | Bildquelle: Sven Friedrich Sven Friedrich, Direktor des Richard-Wagner-Museums Bayreuth | Bildquelle: Sven Friedrich Eine Begründung bezieht sich laut Friedrich auf die laufenden Betriebskosten. Diese würden aber vom Richard-Wagner-Museum übernommen, weshalb der Leiter diesen Punkt als "nicht stichhaltig" einstuft. Gar "hanebüchen" sei laut Friedrich die Befürchtung, man könne mit dem Zentrum eine Verehrungsstätte für Chamberlain errichten. So gesehen "wäre beispielsweise das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ebenfalls als Verehrungsort für die NS-Propaganda einzuschätzen", so Friedrich in dem Brief. Hinzu kommt eine Prise Unlogik durch die Tatsache, dass die Kosten für die fällige Sanierung des Hauses ohne die geplante Nutzung und die damit zusammenhängende Bezuschussung komplett bei der Stadt liegen würden.

Bayreuther Kulturreferent und Oberbürgermeister: "Ein Schock"

Ähnlich besorgt zeigen sich der Oberbürgermeister der Stadt, Thomas Ebersberger, (CSU), sowie der Kulturreferent Benedikt Stegmayer, der sich in einer Stellungnahme gegenüber BR-KLASSIK fassungslos zeigt: "Die (knappe) Entscheidung des Kulturausschusses war für mich und auch den Oberbürgermeister ein Schock. Das hatten wir nicht erwartet und es widerspricht der Haltung der Stadtverwaltung." Stegmayer betont weiter, dass es "aus Sicht der Stadtverwaltung ein absolut zentrales Desiderat der Stadt Bayreuth" sein sollte, ein solches Dokumentationszentrum zu realisieren, weil es um Ideologiegeschichte gehe, "die von der Entstehung des Antisemitismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Wagner, Bayreuther Kreis mit Chamberlain etc.) über die NS-Zeit bis zur Gegenwart reicht und auch den Blick auf den Antisemitismus heute und seine Verbreitung richten kann".

Veto unter anderem von SPD und den Grünen

Das sehen manche im Kulturausschuss offenbar anders. Mitglieder von SPD, Grüne und Bayreuther Gemeinschaft stimmten am 22. April dagegen. Auf Anfrage von BR-KLASSIK verweist die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sabine Steininger, zum einen auf den Sanierungskostenanteil der Stadt "von mindestens 2,7 Millionen Euro zuzüglich Personalkosten für die wissenschaftliche Begleitung". Dies allein sei für eine Ablehnung jedoch nicht ausreichend, wie Steininger betont. "Die Stadt Bayreuth stößt viel zu oft neue Projekte an, die sehr schön klingen, die u.U. auch wünschenswert wären, die aber in ihren Konsequenzen nicht zu Ende gedacht sind." Damit meint Steininger vor allem den "geradezu gigantischen Investitionsstau in Schulen, Kindergärten und weiterer Infrastruktur", wie sie gegenüber BR-KLASSIK betont. Auch in Richtung Sven Friedrich hat Steininger eine klare Botschaft: "Unsere Fraktion hat es sich bereits seit Jahren auf die Fahne geschrieben, inhaltliche Arbeit und Projekte zu fördern, anstatt Geld in Infrastruktur zu stecken und dann darauf zu hoffen, dass sich etwas entwickelt. Als Negativ-Beispiel hierfür sei das Richard-Wagner-Museum genannt."

"Bildung muss an anderen Orten stattfinden"

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Steininger, verweist in dem Schreiben an BR-KLASSIK außerdem auf die Fülle an Erinnerungsorten in Bayreuth – "von der Synagoge, der Mikwe und dem jüdischen Gemeindehaus über die Villa Wahnfried, der Dauerausstellung "Verstummte Stimmen"" – an denen schon heute – unter Einbindung der unterschiedlichsten Akteur*innen – eine wesentlich intensivere Aufarbeitung der Geschichte Bayreuths im Dritten Reich und danach" stattfinden könnte. Das ehemalige Wohnhaus von Chamberlain sieht Steininger vor allem als Forschungseinrichtung, die in die Arbeit des Richard-Wagner-Museums eingegliedert werden könne: "Die Bildung muss an anderen Orten und mit anderen Konzepten stattfinden."

Wie geht es weiter?

Das Votum des Kulturausschusses hat vorberatende Funktion für den gesamten Stadtrat. Der muss in der nächsten Sitzung darüber entscheiden, ob das "Projekt NS-Dokuzentrum" angenommen oder abgelehnt wird. Die Sitzung ist auf den 15. Mai 2024 gesetzt, wobei noch nicht klar ist, ob die Causa tatsächlich auf die Tagesordnung kommt oder noch mal geschoben wird. Es scheint jedenfalls zu brodeln unter der kommunalpolitischen Oberfläche.

Sendung: "Leporello" am 30.04.2024 ab 16:05 Uhr

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