Teodor Currentzis, der umstrittene Charismatiker unter den zeitgenössischen Dirigenten, polarisiert zuverlässig, politisch wie musikalisch. Derzeit tourt der griechisch-russische Dirigent mit seinem 2022 gegründeten Orchester Utopia durch Europa. Und brachte mit Brahms und Mahler am Sonntag die Münchner Isarphilharmonie zum Jubeln.
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Der Beginn idyllisch, das Ende paradiesisch. Dazwischen: abgründiges, brodelndes Musizieren am Ausdrucksextrem. Das Ausloten musikalischer Grenzen gehört zu Currentzis' Markenkern. Dafür wurde sein russisches Orchester "MusicAeterna" viel gerühmt und viel gescholten. Auch sein neues Ensemble Utopia, besetzt mit den Besten aus aller Welt, will den Staub von den Klassikern blasen. Dass das ausgerechnet mit Johannes Brahms' Zweitem Klavierkonzert gelingt, ist nicht nur Currentzis' Verdienst: Im jungen Pianisten Alexandre Kantorow findet er einen Bruder im Geiste.
Pianist Alexandre Kantorow und Dirigent Teodor Currentzis entwickeln in München eine spannende Dramaturgie. | Bildquelle: Sasha Gusov
So wirkt der einleitende Horn-Ruf, von Kantorow mit selbstbewussten Akkorden beantwortet, weniger als Eintritt in eine pastorale Sphäre. Vielmehr wird schon mit den ersten Takten klar, dass sich hier zwei treffen, um etwas zu erzählen – und dafür hebt sich hier der Vorhang. Gemeinsam entwickeln Kantorow und Currentzis eine Hochspannungs-Dramaturgie, die sich in dramatischen Ausbrüchen entlädt. Auf dunkles Bass-Grollen Kantorows etwa reagiert Currentzis mit herbem Paukenwirbeln. Wenn Currentzis die Orchester-Akkorde als kantige Sforzati ausführen lässt, spielt Kantorow mit vollgriffigem Staccato.
Im Duo gehen sie den Kontrastlinien bei Brahms nach, die bei weniger waghalsigen Interpretationen weichgezeichnet würden. Im leidenschaftlichen zweiten Satz lässt Currentzis derart wuchtige Crescendi blühen, dass Kantorow gar nicht anders kann, als mit granithart donnernden Bässen zu reagieren. All das verflüchtigt sich schnell, sobald das Seitenthema (tranquillo) einsetzt und Kantorow seinen glasklar lyrischen Anschlag demonstrieren darf. Als Klangmagier erweist sich der Franzose, der mit diesem Brahms-Konzert zurecht 2019 den Tschaikowski-Wettbewerb gewonnen hat, auch im Andante. So sensibel wie weitsichtig kristallisiert er die schier unendlichen Phrasen zum Nocturne. Selten hat man eine ausverkaufte Isarphilharmonie in so regungsloser Konzentration erlebt, die darauf abzielt, keinen kostbaren Ton zu verpassen.
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Großzügig wirft Kantorow dann im Finale luftige Oktaven, zeigt ungarisierenden Schwung und Brio. Und spornt damit ein letztes Mal das Ensemble und seinen Leiter an, der in den betont schmachtenden Orchester-Passagen die Musizierenden, denen es möglich ist, im Stehen spielen lässt. Wohl um zu demonstrieren, dass hier nicht das Orchester den Solisten begleitet, sondern sich zwei Gleichberechtigte begegnen. Aus dieser Begegnung ist ein echtes Konzerterlebnis entstanden. Das Publikum applaudiert heftig. Kantorow, nicht nur technisch makellos, sondern auch mit respektabler Kondition begabt, spielt als Zugabe Franz Liszts Transkription von "Isoldes Liebestod". Das Wagner-Stück als polyphone Klangstudie. Ein Triumph.
Currentzis nimmt die Anweisungen in Mahlers vierter Symphonie konsequent beim Wort. | Bildquelle: BR/Alexander Hellbrügge
Brahms' Abgründe sind gerade durchquert, da schickt sich Currentzis an, auch Gustav Mahlers Vierte Symphonie auf dunkle Flecken abzuklopfen. Wobei das Paradoxe, die leichtsinnige Tragik und erschütternde Fröhlichkeit als strukturell für Mahler gelten. Doch Currentzis schafft es auch hier, neue Türen aufzustoßen, weil er Mahler beim Wort nimmt. Wenn Mahler "breit gesungen" schreibt, lässt Currentzis sein Utopia-Orchester goldene Wärmeströme produzieren. Wo es "wild" heißt, krachen die Streicher-Bögen. Das könnte bei jedem anderen manieriert wirken oder effekthascherisch, doch Currentzis führt sein Programm so konsequent durch, dass davon ein Sog ausgeht, dem sich kaum jemand entziehen kann.
Das liegt nicht zuletzt an seinem akribisch geformten Orchester, in dem sich Weltklasse-Musiker wie der Konzertmeister Andrey Baranov befinden. Dieser darf im zweiten Satz als Geige spielender Tod brillieren, ehe der langsame Satz rührend schlichte, schimmernde Klänge einbringt. Hier nimmt sich Currentzis zurück, konzentriert sich auf die dazwischenfahrenden Bizarrerien und den glitzernden Schluss, zu dem die Sopranistin Aphrodite Patoulidou auftritt. Im Finale, der verträumten Schluss-Pointe der Symphonie, hat sie ihren Auftritt, kann ihren schön gerundeten Sopran in allen Registern zeigen. Das macht sie überzeugend, nur die opernhafte Gestik irritiert bisweilen. Am Gesamteindruck ändert es nichts. Nach Sekunden der Stille jubelt die Philharmonie und ist überrascht, als sich noch eine Zugabe anbahnt. Richard Strauss' Lied "Morgen!", in Bearbeitung für Streichorchester, ein meditativer, ungetrübt heller Abschluss eines denkwürdigen Konzerts.
Sendung: "Allegro" am 14. April 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (7)
Dienstag, 15.April, 12:52 Uhr
Hans Dimmer
An Evinka
Hat sich zum Beispiel das Rote Kreuz denn von Putin distanziert? Heißt Schweigen automatisch, ein Befürworter Putins zu sein?
Im Übrigen vielen Dank für die sachkundige Besprechung des denkwürdigen Konzerts.
Montag, 14.April, 22:19 Uhr
Lörges
Konzert currentzis
Danke
Montag, 14.April, 22:06 Uhr
Peter
Forster
TK kann man nur hassen oder lieben.
Montag, 14.April, 19:20 Uhr
Dr. Michael Adler
Konzert currentzis
Das p noch mehr p und f noch mehr f
Dazu cresc noch ....usw
Damit entstaubt man keine Klassiker ! Auch dieser Dirigent spielt keinen neuen Brahms ! Ihr Kritiker hört die Flöhe husten!
Montag, 14.April, 18:26 Uhr
Evinka
Russen ohne Rückrat
Currentzsis wie Netrebko haben sich immer noch nicht von Putin distanziert! Dafür verdienten sie Auftrittsverbot!
Montag, 14.April, 16:32 Uhr
Georgina
Kantorow, Currentzis, München
Der Begriff "Denkwürdig" im Titel müsste nicht wiederholt durch die üblich gewordenen Currentzis Attribute aus Mode und Politik ergänzt werden. Ich habe mit gejubelt gestern Abend. Die Leidenschaft des gemeinsamen Musizierens, individuelle Interpretation ohne eitle Selbstdarstellung, auch im Klassikgeschäft leider abnehmend, 2 besondere Zugaben als Reverenz an München, diese Sprache haben alle verstanden.
Montag, 14.April, 12:58 Uhr
Tom
schön wäre es einmal eine kritik zu maestro currentzis zu lesen, die ganz ohne die worte "umstritten", "politisch", "polarisiert" auskommt!