Weil er sich nicht gegen Putins Krieg in der Ukraine positioniert, meiden einige westliche Konzerthäuser Teodor Currentzis. Das ärgert den griechisch-russischen Dirigenten. Er beansprucht für Künstler die Freiheit zu schweigen.
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Zwar ist der griechisch-russische Dirigent Currentzis außer in Russland auch viel in Europa auf Tour, aktuell etwa mit seinem Utopia-Orchester und einem Programm mit Brahms und Mahler. Aber er ist nicht mehr überall ein gern gesehener Gast. Einige Konzerthäuser meiden den Dirigenten, weil er sich nicht vom russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Krieg in der Ukraine distanziert. In einem Gespräch mit dem Magazin "Spiegel" (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt) beansprucht Currentzis für sich das Recht zu schweigen und äußert deutliche Kritik.
"Wie kann es sein, dass es in Europa keine Redefreiheit mehr gibt? Noch schlimmer: Es gibt nicht mal mehr die Freiheit zu schweigen!", kritisiert der 53-Jährige im Gespräch mit dem Spiegel. Currentzis führt weiter aus: Manche Dirigentenkollegen hätten Geld von Russland bekommen und sich dann umgedreht und "irgendwo die ukrainische Hymne gespielt". Das passe für ihn nicht. "Vielleicht stehe ich nicht auf der richtigen Seite der Geschichte! Ich weiß nicht, wo das sein soll. Mein Navigator kann es nicht finden." Im Spiegel bezeichnet er sich außerdem als Anarchist und sagt, er traue keinen Autoritäten, vor allem keinen Politikern.
Vielleicht stehe ich nicht auf der richtigen Seite der Geschichte! Ich weiß nicht, wo das sein soll. Mein Navigator kann es nicht finden.
In der Forderung nach einem klaren Bekenntnis und den Absagen von Engagements sieht Currentzis Parallelen zum Vorgehen der Militärdiktatur in Griechenland in den 1970er-Jahren. "Das Gleiche haben sie in der Junta gemacht, unter der ich aufgewachsen bin", sagte er dem Magazin. Damals habe die Diktatur von seiner Mutter verlangt, schriftlich zu bestätigen, dass sie keine Kommunistin sei, wenn sie weiterarbeiten wolle. "Sie versuchen dieses Spiel mit mir zu spielen, aber sie haben eines nicht verstanden: Nicht mit mir!", betont er. Von Präsident Wladimir Putin und dem Krieg in der Ukraine hat sich Currentzis weder öffentlich distanziert, noch Unterstützung verbalisiert.
Kunst und Moral – Ein Klärungsversuch: Currentzis dirigiert in Salzburg Mozart. Warum ist die Diskussion um den Dirigenten eigentlich so kompliziert?
Currentzis wurde 1972 in Athen geboren und ging als 22-Jähriger nach Sankt Petersburg, um dort bei Ilja Mussin am Konservatorium zu studieren. Seit 2014 hat er auch die russische Staatsbürgerschaft. In Russland gründete Currentzis unter anderem 2004 sein Orchester MusicAeterna, zunächst mit Sitz in Nowosibirsk, inzwischen in Sankt Petersburg beheimatet. Im Zuge des Ukraine-Krieges entwickelte sich eine Diskussion über Auftritte des Ensembles in Westeuropa. Denn das Orchester wird von der russischen Bank VTB mitfinanziert, die auf der Sanktionsliste der EU steht.
2022 gründete Currentzis außerdem das internationale Utopia-Orchester, das anders als MusicAeterna nicht von russischen Geldern finanziert wird. Utopia trägt sich über Konzerteinnahmen und Sponsorengelder, maßgebliche Unterstützung leistet die Kunst und Kultur DM Privatstiftung. In Utopia wirken nach eigenen Angaben Musikerinnen und Musiker aus mehr als 30 Ländern mit. Kritiker argumentierten, dass es eine Schnittmenge zu MusicAeterna gebe und auch Musikerinnen und Musiker aus diesem Orchester mitspielen.
Laut Spiegel bietet Russland Currentzis ideale Arbeitsbedingungen – und könnte ihm womöglich bald einen großen Traum erfüllen: ein eigenes Konzerthaus für MusicAeterna in Sankt Petersburg. Bei einem solchen Projekt geht es immer auch um Politik und Beteiligung der Regierung: Dem Spiegel zufolge, der sich auf russische Medienberichte stützt, haben die VTB Bank und der Gouverneur von Sankt Petersburg eine Absichtserklärung unterzeichnet, für 900 Millionen Dollar eine große Konzerthalle zu bauen. In der Erklärung sei auch die Rede davon, dass die kulturelle Entwicklung zu den "strategischen Zielen" des russischen Präsidenten Putin gehöre.
Sendung: "Leporello" am 14. April 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Dienstag, 15.April, 12:17 Uhr
Gerd
Doppelstandard
Solange israelischen Interpreten keine politische Fragen gestellt werden, so dass sie erst gar nicht zu den Verbrechen ihrer Regierung "schweigen" müssen, sondern halt ganz normal ihre Privatmeinungen zu musikalischen Fragen kundtun (beispielsweise der Geiger Gluzman vor einigen Tagen hier in einem durchaus interessanten Interview), ist dieses immergleiche Geraune bezüglich Currentzis doch eine pure Heuchelei and ein himmelschreiender Doppelstandard.
Ich bin übrigens gar nicht der Meinung, dass man die Politik unbedingt im Musikjournalismus heraushalten muss, nur sollte dies dann auch transparent und mit einheitlichen Kriterien erfolgen. Wenn dies nicht geleistet werden kann, etwa weil die Aussagen von Vance auf der Sicherheitskonferenz zur Meinungsfreiheit in diesem Land im Kern richtig sind, dann wäre ein völlig unpolitischer Ansatz immerhin eine Notlösung.
Die gegenwärtige Heuchelei ist jedenfalls unerträglich.
Montag, 14.April, 21:51 Uhr
Alberti, Suzanna
Herr Currentzi...
..hat Mut und man kann nur hoffen, daß die Meinungsfreiheit in Europa nicht völlig abhanden kommt und Künstler überall auftreten können. Ob ich eine Eintrittskarte erwerbe, sollte meine persönliche Entscheidung sein!
Montag, 14.April, 21:14 Uhr
TLange
Dirigent fordert Freiheit zu Schweigen
Musik ist unpolitisch. Der Musiker ist es beim Musizieren auch. Als Mensch muß man jedoch Haltung zeigen. Nach Furtwängler funktioniert Heraushalten nicht mehr. Nach 1945 glaubten wir in Europa, Kriege um des Territoriums Willen gehörten der Vergangenheit. Musik ist tiefste Menschlichkeit. Wie kann man als Musiker bei einem Überfall nicht wissen, was richtig ist? Schweigen heißt Wegschauen.
Montag, 14.April, 19:04 Uhr
Henning
Schneeflocke
Wer sich als öffentliche Person nicht gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff positioniert, tut dies entweder aus Angst, Gleichgültigkeit oder sogar Überzeugung.
Wenn man als Russe dann aber Europäern vorwirft, es gäbe keine Redefreiheit mehr, weiß man doch wie der Hase läuft.
Currentzis' Ego und sein Erfolg scheinen ihm wichtiger zu sein, als ein Statement für Frieden für ein unschuldiges Volk.
In Russland sähe es für ihn bei einer "falschen" Positonierung sicherlich schlimmer aus, als in Europa.
Ganz zu schweigen von der teuren Konzerthalle, die Putin dann nicht mehr für ihn bauen lassen würde.
Dann wird man auch schnell mal zur Schneeflocke, die sich davon angegriffen fühlt, wenn Unternehmen nicht mit jemandem in Verbindung gebracht werden wollen, der an Putins Rockzipfel hängt.
Demaskierend und einfach nur nervig.
Diesem Mann sollte keine Bühne geboten werden.
Montag, 14.April, 14:39 Uhr
Wirth Hans-Peter
Moral und Dirigieren
Wenn Herr Currentzis seine Seite der Moral öffentlich debattieren kann ist von Diktatur wohl nicht die Rede. Eine Standortbestimmung könnten ihm womöglich die zig Opfer seiner selbstgerechten Haltung selbst Opfer zu sein weisen. Ich liebe Orchestermusik, mit einer solchen Leitung würde mich ein Brechreiz würgen...
Hans-Peter