Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust führt das Jewish Chamber Orchestra Munich ein Werk des in Auschwitz ermordeten Komponisten Viktor Ullmann auf. Dirigent und künstlerischer Leiter Daniel Grossmann erklärt, warum er die Musik aber auch gerne mal von den Gedenktagen entkoppeln würde.
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Der Unterschied zwischen Privatleben und Öffentlichkeit ist für Daniel Grossmann in einem Punkt besonders wichtig. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts gibt der Dirigent mit dem Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM) am 28. Januar 2022 ein Konzert in Bayreuth. Unter anderem mit Werken des von den Nazis ermordeten Komponisten Viktor Ullmann. Für die Gesellschaft und fürs kollektive Gedenken seien solche Veranstaltungen wichtig. Doch für Grossmanns Privatleben, für das Gedenken an seine Familie, brauche er keinen offiziell dafür vorgesehenen Tag. Dieses Gedenken kommt und geht.
Das Chewish Chamber Orchestra Munich bei einem Konzert in Augsburg. | Bildquelle: Robert Brembeck Wenn er mit Musik umgeht, setzt sich Grossmann zugleich mit seiner Identität auseinander, mit seinem Selbst. Geboren wurde er in München als Sohn einer ungarisch-jüdischen Familie. Mit seiner Idee, ein eigenes Orchester zu gründen, habe er einen Klangkörper formen wollen, der sich mit jüdischen Themen in der Musik oder mit jüdischen Komponisten und Komponistinnen beschäftigt. Und das hat durchaus gesellschaftliche Relevanz. Manche Stücke, die er aufführt, sind relativ bekannt. Doch viele Stücke hat er mit seiner Arbeit der Vergessenheit entrissen. Manchmal gelangen solche Werke eher zufällig in Grossmanns Hände. Er stößt auf Namen, bekannte und unbekannte, recherchiert, sucht dann Musik, um diese vielleicht wieder aufzuführen. Für Grossmann ist dabei das persönliche Schicksal der Komponisten und Komponistinnen, ob sie verfolgt wurden oder gar umgebracht, nicht ausschlaggebend dafür, ob ihre Werke aufgeführt werden: "Ich muss schon vom Werk überzeugt sein."
Überzeugt ist Grossmann von Viktor Ullmann. Dessen Melodram "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" ist das letzte Werk, das der gebürtige Tscheche Ullmann in Theresienstadt kurz vor seiner Deportation nach Auschwitz komponierte. 1944 wurde er in Auschwitz ermordet. Daniel Grossmann vermutet, dass Viktor Ullmann mit diesem Stück auch einen "Abschiedsgruß an seinen Vater" geschrieben hat. Denn die relativ martialische Textauswahl überrascht zunächst – doch Ullmanns Vater war ein Berufssoldat mit großer militärischer Karriere. Die Textvorlage von Rainer Maria Rilke erzählt von einem naiven jungen Mann, der begeistert in den Krieg zieht. Dann aber in kürzester Zeit umkommt. Für Daniel Grossmann zielt dieser Text deshalb auch auf die Sinnlosigkeit jedes Krieges ab.
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Doch Ullmanns Stück hat Grossmann eben auch musikalisch überzeugt: das Melodram als Form genauso wie die stilistisch breit aufgefächerte Musik, die von zarten Momenten zu hochdramatischen führt und dann auch wieder etwas Marschartiges habe.
Das ist sehr kunstvoll geschrieben.
Im Konzert stellt Grossmann dem nun Gustav Mahler gegenüber. In dessen Werk finden sich gelegentlich Erinnerungen an jüdische Volksmusik und Klezmer – als Fragment, als Ahnung. Der später zum Christentum konvertierte Mahler gehört, anders als Ullmann, zu den bekanntesten jüdischen Komponisten der Musikgeschichte. Auch deshalb bleibt es Daniel Grossmanns Ziel und Wunsch, dass es bei den etablierten Ensembles und Orchestern mehr Bemühungen gibt, die Werke jüdischer Komponisten in das alltägliche Repertoire zu integrieren. Musik wie die von Viktor Ullmann sollte unabhängig von irgendwelchen Gedenktagen gespielt werden.
Am 28. Januar 2022 findet das Konzert in Bayreuth in „Das Zentrum“ statt. Beginn 19:30 Uhr. Auf dem Programm stehen Gustav Mahler (1860-1911) "14 Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit" und Viktor Ullmann "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" (1944), ein Melodram für Ensemble und Erzähler.
Sendung: "Allegro" am 27. Januar 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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